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Musikalisches Säbelrasseln

Klaus Gehrke 6. August 2014

Zwischen 1871 und 1914 standen viele europäische Staaten wirtschaftlich und kulturell in der Blüte. Trotzdem wuchsen nationale Ressentiments gegen die Nachbarn – die sich auch in der Musik niederschlugen.

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1.Weltkrieg Musikparade
Bild: picture alliance / akg-images

Joseph Haydn hatte sicherlich weniger nationale als künstlerische und finanzielle Hintergedanken, als er um 1797 im zweiten Satz seines C-Dur-Streichquartetts op. 76.3 die Hymne des österreichischen Kaiserreichs aufgriff und kunstvoll variierte. Ebenso dachte Ludwig van Beethoven bei seinen Variationen über "Rule Britannia" vor allem an den englischen Musikmarkt und nicht an den Monarchen. Patriotische Musik spielte im europäischen Konzertleben immer schon eine durchaus wichtige Rolle - und das ganz besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Vivat, Heil und Hurra

Hymnen waren damals ein fester Bestandteil nicht nur des politischen, sondern auch des öffentlichen Lebens; sie erklangen regelmäßig bei Militärparaden oder wenn die Regimentsmusikkorps zur sonntäglichen allgemeinen Unterhaltung aufspielten. Nicht selten erklangen sie auch als Abschluss von klassischen Konzerten und selbstverständlich immer dann, wenn gekrönte Häupter persönlich anwesend waren. Zudem erfreuten sich Märsche und andere patriotische Kompositionen im Konzertsaal großer Beliebtheit - man denke nur an die zwischen 1901 und 1907 komponierten fünf "Pomp and Circumstance"-Märsche" aus der Feder des Engländers Edward Elgar. Der erste gilt bis heute als inoffizielle Hymne Großbritanniens.

National gesinnt

Elgar machte zeitlebens aus seiner nationalen Gesinnung keinen Hehl. Als Deutsche, Franzosen und Briten 1915 erbittert in der Flandernschlacht kämpften, begann der Komponist mit der Arbeit zu "The Spirit of England" für Chor und Orchester; zwei Jahre später schloss er das Werk ab.

Komponist Edward Elgar
Der Brite Edward Elgar komponierte fürs VaterlandBild: picture-alliance/MAXPPP

Wie Elgar war auch der Franzose Claude Debussy ein glühender Patriot, der besonders deutscher Musik sehr kritisch gegenüberstand. Mit seinen ab 1915 komponierten Sonaten wollte er einen bewussten Gegenpol zur Tradition der Werke Beethovens schaffen und darüber hinaus das französische Musikerbe wiederbeleben. Nachdem deutsche Truppen im August 1914 in Belgien einmarschiert waren, komponierte Debussy die "Berceuse héroique" und widmete sie dem belgischen König und den gefallenen Soldaten des Landes.

Für Volk und Vaterland

Heroisch-patriotische Töne gab es selbstverständlich auch im deutschen Kaiserreich: Viele heute weitgehend vergessene Komponisten schrieben zackige Märsche und markige Kampflieder, die beim Publikum großen Widerhall fanden. Allerdings konnte das geneigte Auditorium auch im noblen Konzertsaal nationalgestimmte Klänge erleben - beispielsweise in der "Vaterländischen Ouvertüre op. 140" für großes Orchester von Max Reger, die kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im September 1914 entstand. In dem "Dem deutschen Heere" gewidmeten Werk verarbeitete Reger neben anderen bekannten Melodien auch Hoffman von Fallerslebens "Deutschlandlied".

Kaiser Wilhelm II. winkt der Menge zu
So manches patriotische Opus wurde Kaiser Wilhelm II. gewidmetBild: ullstein bild - ullstein bild

Reger wurde zu Lebzeiten von seinen Zeitgenossen gefeiert wie kaum ein anderer deutscher Komponist. Auch sein Kollege Hans Pfitzner hatte damals einen bekannten Namen. Er schrieb zwischen 1915 und 1916 zwei nationalistisch motivierte "Deutsche Gesänge" für Bariton, Männerchor und Orchester op. 25 nach Texten der Dichter August Kopisch und Joseph von Eichendorff.

Dem Grauen gewichen

Schon lange vor dem Krieg gab es Anfeindungen gegenüber den Musikgöttern der anderen Nationen, die nach 1914 rigorose Ausmaße annahmen: Waren zunächst beispielsweise Richard Wagners Opern in verschiedenen französischen Kreisen nicht sonderlich gelitten, so wurde mit Kriegsausbruch die gesamte deutsche Musik verdammt.

Gleiches galt auf der anderen Seite für die vorher überaus beliebten Werke von Jacques Offenbach oder Charles Gounod. Angesichts der Dauer des Krieges und seiner Auswirkungen auf die Bevölkerung wichen die patriotischen Klänge mehr und mehr einer musikalischen Auseinandersetzung mit den Geschehnissen zwischen 1914 und 1918; die Überwindung der gegenseitigen musikalischen Ressentiments setzte nach Ende des Ersten Weltkrieges erst langsam ein.

Junge Männer ziehen 1914 begeistert in den Krieg
Die anfängliche Euphorie verflog schnellBild: picture-alliance/dpa