Mursi: Mehr als nur ein Einzelfall
19. Juni 2019Für die Muslimbrüder ist die Sache klar: Sie warfen den Behörden "Mord" an dem aus ihren Reihen stammenden ägyptischen Ex-Präsidenten Mohammed Mursi vor. Die schlechten Haftbedingungen hätten zum Ziel gehabt, Mursi langsam zu töten, hieß es aus der den Muslimbrüdern verbundenen Partei "Freiheit und Gerechtigkeit".
Im Gefängnis habe man Mursi Medikamente vorenthalten und ihm "ekelerregendes Essen gegeben", so die Partei weiter. Man habe dem Gefangenen "grundlegende Menschenrechte" verwehrt.
Die staatliche Nachrichtenseite "Al-Ahram" meldete demgegenüber unter Berufung auf medizinische Kreise, der ehemalige Präsident habe einen Herzinfarkt erlitten. Eine offizielle Bestätigung dafür blieb bislang allerdings aus. Der Staatsanwalt hat eine Untersuchung der Todesursache angeordnet.
Solange diese ausbleibt, sieht sich die ägyptische Regierung dem Vorwurf ausgesetzt, für die angemessene Behandlung von Gefängnisinsassen nicht ernsthaft Sorge zu tragen. Dies gilt offenbar selbst für einen derart prominenten Verurteilten wie Mohammed Mursi.
Warnung vor "vorzeitigem Tod"
Bereits im März 2018 hatte eine unabhängige britische Kommission kritisiert, dass der an Diabetes und Nierenschwäche leidende Mann 23 Stunden am Tag in Isolationshaft sitze. "Die Verweigerung einer medizinischen Grundversorgung, auf die er Anspruch hat, könnte zu seinem vorzeitigen Tod führen", hatte der Kommissionsvorsitzende Crispin Blunt damals gewarnt.
Mursis Anwalt Abdel-Menem Abdel-Maksud sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der 67-Jährige sei während seiner Haft in schlechter gesundheitlicher Verfassung gewesen. "Wir haben mehrere Anträge auf Behandlung gestellt", sagte er. "Einige wurden genehmigt, andere nicht."
Der Tod Mursis werfe Licht auf den generellen Umgang des ägyptischen Staates mit Gefängnisinsassen, sagt Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, im Gespräch mit der DW. "Wenn man annimmt, dass ein ehemaliger Präsident an den Haftbedingungen stirbt, dann kann man sich vorstellen, wie schlecht diese sind."
Vorwurf: "Regierungskritiker werden entsorgt"
Im Jahr 2016 hatte Human Rights Watch Recherchen zu dem Hochsicherheitsgefängnis "Skorpion" in Kairo angestellt. Diese brachten der Menschenrechtsorganisation zufolge erschreckende Befunde zutage. Die Mitarbeiter des Gefängnisses schlügen Häftlinge brutal, isolierten sie in engen sogenannten "Disziplinarzellen", behinderten ihre medizinische Behandlung und unterbänden den Kontakt zu Angehörigen und Anwälten.
Das Gefängnis bilde den Endpunkt der staatlichen Repressionskette, heißt es in dem Bericht. "Es sorgt dafür, dass politische Gegner ihre Stimme und ihre Hoffnung verlieren", zitiert die Website von HRW den stellvertretenden Direktor der Nahost- und Nordafrika-Abteilung von Human Rights Watch, Joe Stork. "Der einzige Zweck dieses Gefängnisses ist es offenbar, als ein Ort zu dienen, an dem Regierungskritiker entsorgt und vergessen werden können."
"Misshandlung an der Tagesordnung"
Die Gefangenen würden aber auch aktiv misshandelt, ergänzt Wenzel Michalski. "Wir wissen von Elektroschocks und von Schlägen mit Kabeln mit sexuellem Missbrauch, auch angedrohten oder auch vollzogenen Vergewaltigungen von männlichen Gefangenen. Es ist an der Tagesordnung."
Von schweren Verletzungen der Gefangenenrechte in ägyptischen Gefängnissen berichtet auch Gamal Eid, Direktor und Gründer des "Arabischen Netzwerks zur Information über die Menschenrechte". So wurden Gefangene häufig sehr lange in Einzelhaft gehalten. "Diese überschreiten in einigen Fällen die gesetzlich zugelassenen Fristen", so Eid im Gespräch mit der DW.
Das Gesetz werde in den Gefängnissen des Landes vielfach missachtet. Gegen Beamte und Angestellte, die ihre Pflichten verletzten, würde nicht ermittelt. Darum sei Mursi nicht der erste Insasse, der schlechten Haftbedingungen erliegt. "Aber er ist ein prominenter Fall, der Licht auf die generellen Umstände in den Gefängnissen wirft." Zudem kritisiert Eid auch die unterschiedlichen Haftbedingungen der Gefangenen. Er selbst habe gesehen, wie einige Minister der gestürzten Mubarak-Regierung in Wagen mit Air-Condition zu ihren Prozessen gebracht worden seien. Politische Gegner des Regimes seien dagegen in üblichen Gefängnisbussen transportiert worden.
Ägypten sei ein Militär- und Polizeistaat, so Wenzel Michalski. Darum versuche die Regierung nicht, Andersdenkende von ihrer Politik zu überzeugen, Mehrheiten zu bilden und auf Ausgleich zu setzen. Stattdessen setze sie ihre Interessen durch. Eine große Rolle spiele der Umstand, dass das Militär weite Teile der Industrie kontrolliere. "Die Militärs haben eine große politische und wirtschaftliche Macht, und die gilt es zu erhalten. Dazu setzen sie auf brutale Methoden, die der Machtsicherung dienen."
Aufforderung zur Kritik
Angesichts der Menschenrechtslage in Ägypten plädierten Stephan Roll und Luca Miehe von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" bereits im März mit Blick auf Deutschland und die EU für eine "deutliche Kritik an den andauernden Einschränkungen der Menschen- und Bürgerrechte, etwa im Forum des VN-Menschenrechtsrats."
Die Verbesserung der Menschenrechtslage, der Bürgerrechte und der Regierungsführung sollten stärker in den Mittelpunkt etwa der Entwicklungsarbeit gestellt werden, so die beiden Forscher. "Bei Projekthilfen sollte deutlich mehr auf die Umsetzung des »Do-No-Harm«-Ansatzes geachtet werden, um zu verhindern, dass die Hilfen für den weiteren Ausbau repressiver Herrschaftsstrukturen genutzt werden."