Mumbais Schutzmauer gegen die Fluten
27. März 2019Krähen picken in dem Müll vor Mumbais Küste. Es ist ein schwüler Tag und im dicken Smog lassen sich die grauen Konturen der Gebäude auf der anderen Seite der Bucht schemenhaft ausmachen.
In diesem Teil von Mumbais Wald ist der Boden kahl, hier und da gesprenkelt mit trüben Pfützen und Plastikmüll.
"Es ist so dreckig", sagt die 19-jährige Studentin Kajal Jadhab, während sie sich im Müll umsieht.
Es ist ein trauriges Bild: Kahlschlag und Müll, wo einst ein großer Mangrovenwald stand. Viele der Bäume sind den Umweltproblemen und dem Bau neuer Wohnsiedlungen zum Opfer gefallen. Dabei erfüllen Mangroven wichtige Funktionen. Sie speichern Kohlendioxid und können Küstenstädte wie Mumbai vor Überschwemmungen schützen.
Die Megacity hat in den letzten Jahrzehnten etwa 40 Prozent seiner Mangroven verloren. Was bleibt sind trostlose Areale wie dieses – Momentaufnahmen der schwierigen Beziehung des Landes zu seiner Umwelt.
Aber es gibt Anzeichen eines Wandels. Jadhab, bewaffnet mit einem Müllbeutel und Handschuhen, ist eine Freiwillige von Mission Mangroves, einem Projekt der NGO United Way Mumbai.
Jeden Monat nehmen Gruppen von etwa 20 Freiwilligen überall in den Feuchtgebieten Mumbais an Säuberungsmaßnahmen teil und etwa zweimal pro Woche pflanzt Mission Mangrove neue Setzlinge, um die Wälder aufleben zu lassen. In etwas über einem Jahr haben sie bereits 55.000 Mangroven gepflanzt, geplant sind 100.000.
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"Das Ziel ist, acht Hektar Feuchtgebiete neu zu begrünen, indem wir Mangroven pflanzen und Tausende von Einwohnern Mumbais darüber aufklären, wie wichtig die Mangroven sind", sagt Ajay Govale, Director of Community Impact bei United Way Mumbai.
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Bewusstsein schaffen
Die Luft ist stickig in der brennenden Vormittagssonne, aber die Studenten, die meisten noch Teenager, gehen direkt an die Arbeit. Sie füllen zig Mülltüten mit allen erdenklichen Arten von Abfall – Spritzen, Rucksäcke, Schuhe, sogar ein Motorradhelm.
Jadhab ist zum ersten Mal dabei. "Ich möchte lernen, wie ich mir selbst und anderen Menschen damit helfen kann, das Meer zu reinigen. Nur wenigen von uns ist das Problem bewusst und wir müssen verstehen, wie sehr uns die Mangroven helfen."
"Wir wollen keine Umweltverschmutzung in unserer Stadt und in Indien. Es hilft schon, kleine Dinge zu tun wie das hier", sagte Shweta Waghe, ebenfalls Studentin und zum ersten Mal dabei.
Weggeworfene Plastiktüten, Verpackungen und Flaschen sieht man oft an den Stränden und auf den Straßen Mumbais und Indien gehört zu den schlimmsten Ländern in Sachen Plastikmüllmanagement. Große Teile dieses Abfalls landen in den Feuchtgebieten, wo sie die Wurzeln der Mangroven, die die Inselstadt umgeben, verstopfen und verschmutzen.
"Die größten Gefahren [für die Mangroven] sind Bauvorhaben und Müllentsorgung. Ein großer Teil des Mülls, den man hier sieht, wird über Jahrhunderte nicht abgebaut werden und manches davon wird sich nie zersetzen", sagt Govale.
Magische Mangroven
Ein ähnliches Bild zeigt sich vielerorts auf der Welt. Zwischen 30 und 50 Prozent der weltweiten Mangrovenwaldfläche ist in den letzten 50 Jahren verschwunden. Schuld sind meist Landwirtschaft, Aquakultur, Baumaßnahmen und Müll. Und das hat Auswirkungen auf die Menschen.
"Die Mangroven sind die unbesungenen Helden des Lebensraums an der Küste", sagt Jock Mackenzie, Leiter der Forschungsgruppe MangroveWatch. "Mangroven erfüllen viele Funktionen im Ökosystem, die die Lebensgrundlage der Gemeinden an der Küste unterstützen, beschützen und verbessern."
Der Verlust der Mangrovenwälder bedeutet auch den Verlust von Nahrung, Schutz und Brutgebieten für eine große Bandbreite von Arten, von verschiedenen Krebsen bis hin zu Herzmuscheln und Garnelen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die örtlichen Fischer, die von diesen Meerestieren als Nahrung und Lebensgrundlage abhängig sind.
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Ohne die Mangroven als natürlichen Schutz gegen Überflutung und Erosion sind Küstenstädte wie Mumbai auch anfälliger gegenüber extremen Wetterphänomenen und dem Anstieg des Meeresspiegels infolge des Klimawandels. Dass der Verlust von fast 40 Quadratkilometern Mangroven in den 1990er Jahren nicht ohne Auswirkungen blieb, zeigte sich durch die katastrophalen Überschwemmungen 2005, bei denen mehr als 1000 Menschen starben.
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"Das hat uns allen die Augen geöffnet. Vorher sahen viele Menschen Mangroven als wildes Gestrüpp ohne Wert für die Umwelt und als uns die Überschwemmungen heimsuchten, wurde uns klar, dass sie ein Barriere sind, die die Inselstadt beschützt und das Gleichgewicht zwischen Land und Meer erhält", sagt er.
Aktiver Mangrovenschutz
Nach den Überschwemmungen unternahm Mumbai Schritte, um die Mangroven zu schützen. Die Lokalregierung schuf eine Forstbehörde namens "Mangrove Cell", deren Aufgabe es war, im Mangrovengebiet zu patrouillieren und Leute abzuschrecken, die Müll in den Feuchtgebieten entsorgen wollten. Die verbliebenen Mangrovenwälder sind inzwischen auch rechtlich geschützt vor den immer näher rückenden Wohnungsbauprojekten, einer ständigen Bedrohung in der schnellwachsenden und dicht besiedelten Stadt.
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"Die Präsenz von Rangern hat den Bau illegaler Häuser und die Entsorgung von Müll definitiv eingedämmt", sagt Govale. Vergangenen Monat haben Ranger einen Bauarbeiter erwischt, der dabei war, 10 Tonnen Schutt zu entsorgen – eine Straftat, auf die inzwischen hohe Geldstrafen oder sogar Gefängnisstrafen stehen.
Doch trotz Patrouillen und potentieller Strafen landet immer noch Müll an den Stränden. Das möchte Mission Mangrove mit ihren Säuberungsaktionen ändern. Die Leute sollen verstehen, wie sehr die Umweltverschmutzung in der Stadt, den Mangrovenwäldern schadet.
"Viel Müll wird an der Küste angeschwemmt", sagt Govale "Wir wissen, dass wir dauerhaft nichts verändern. Das einzige, das wir ändern können ist die Einstellung der Freiwilligen, die ihr Wissen weitergeben."
Die Säuberungsaktion hat bei der freiwilligen Helferin Asmita Mestra ein Gefühl von Dringlichkeit hervorgerufen. Die 19-Jährige glaubt, dass es die jüngere Generation sein wird, die die Umweltfolgen des Verlusts der Mangrovenwälder in den kommenden Jahren mit voller Wucht zu spüren bekommt.
"Junge Leute werden von dieser Verschmutzung und dem Verlust der Mangroven am meisten betroffen sein, deshalb müssen wir handeln", sagt Mestra. "Das ist unsere Natur, die uns beschützt, deshalb sollten wir auch sie beschützen."