Tahir-ul-Qadri: Der schillernde Geistliche
13. August 2014Eigentlich sollten Qadris Revolutionspläne den Westen aufatmen lassen: Schließlich ist der Mann, der versucht, Pakistans Premier Nawaz Sharif zu stürzen, ein Geistlicher - und kein Anhänger der Taliban. Genau genommen ist der 63-jährige Mohammad Tahir-ul-Qadri sogar das absolute Gegenteil der islamistischen Hardliner, die den Wahabiten Saudi Arabiens nahestehen. Qadri ist der geistliche Führer der größten sunnitischen Gruppe Pakistans, der Hanafiten - eine gemäßigte Form des Islam, beeinflusst von den arabischen, persischen und indischen Mystikern.
Obwohl Qadris 1981 gegründete religiöse Organisation, die Minhaj ul-Quran International, die Politik meidet, steht er selbst seit mehr als zwei Jahrzehnten auf der politischen Bühne seines Landes. So gründete er beispielsweise 1989 die Partei "Volksbewegung Pakistans" (PAT) und führt sie heute an.
Revolutionsversuch Nummer eins: gescheitert
2005 wanderte Qadri nach Kanada aus, wurde sogar kanadischer Staatsbürger. Doch im Januar 2013 kehrte er in seine Heimat zurück, um den "Marsch der Millionen" gegen die Regierung des damaligen Präsidenten Asif Ali Zardari anzuführen. Der sei korrupt, inkompetent und betreibe Vetternwirtschaft, kritisierte Qadri. Doch die Kundgebung hatte keinen Erfolg, Qadri musste mit leeren Händen wieder nach Kanada abreisen.
Ob der aktuelle Marsch mehr Erfolg hat, wird sich zeigen. Dieses Mal hat sich Qadri die Unterstützung zahlreicher politischer Parteien gesichert, darunter auch die der "Pakistanischen Bewegung für Gerechtigkeit" (Pakistan Tehreek-e-Insaf, kurz: PTI) des ehemaligen Cricket-Spielers Imran Khan.
Der Islam des Tahir-ul-Qadri
"Qadri mischt die mystischen Lehren des Sufismus mit Politik. Er glaubt, dass die spirituellen Traditionen des südasiatischen Islams eine Basis für sozialen Wandel sein könnten", sagt Adeel Khan, Redakteur bei der Zeitschrift "Religions" aus Doha, im DW-Interview.
Qadri hat sich vehement gegen islamistische Terroristen ausgesprochen: Im März 2010 veröffentlichte er eine 600-seitige Verordnung, in der er islamistische Terroristen und Selbstmordattentäter geißelte. Deren Vorgehen würde durch die islamische Lehre nicht gerechtfertigt. Das US-Außenministerium nannte die Fatwa eine bedeutende Publikation, die "den Islam von den Terroristen zurückerobert".
Qadri reist rund um die Welt, um in Vorträgen seine Lehre des Glaubens und des Friedens zu verbreiten. Im August 2010 organisierte er an der Universität Warwick sogar ein Anti-Terrorismus-Camp für muslimische Jugendliche. Das Ziel: Den Extremismus in Großbritannien eingrenzen.
"Die Fatwa ist recht unverblümt, wenig nuanciert und eindeutig", sagt Khan. "Das zeigt, wie polemisch Qadri sein kann, wie wenig sachlich, wenn es um drängende Fragen für Muslime und den Rest der Welt geht."
Die politische Macht des Tahir-ul-Qadri
Quadris PAT-Partei sitzt zwar nicht im pakistanischen Parlament, doch viele Bürger sympathisieren mit ihr - und der Einfluss des Parteichefs auf die Politik des Landes ist deutlich spürbar. Das Ziel der Partei ist, die Korruption in Pakistan zu beseitigen - und ähnelt damit der Aam Aadmi Partei, die in Indien gegen Bestechung kämpft.
Allerdings: "Die meisten Menschen in Pakistan denken, dass Qadri vom Establishment, vor allem der Armee unterstützt wird", sagt der Journalist Ghazi Salahuddin der DW. Die mächtigen militärischen Generäle, die mit der Politik von Premier Sharif unzufrieden seien, gäben ihm Rückhalt, sagen Kritiker. Denn das Militär beäugt das herzliche Entgegenkommen, mit dem Sharif gegenüber dem Erzrivalen Indien auftritt, kritisch. Der Premierminister und die Armee sind auch uneins über die Ausrichtung der Afghanistan-Politik Pakistans. Größter Streitpunkt ist jedoch der Umgang mit dem inhaftierten ehemaligen Militärchef und Ex-Präsidenten Pervez Musharraf.
Qadri weist die Vorwürfe zurück. "Ich bin gegen eine Machtübernahme des Militärs und werde mich dagegenstellen, sollte es soweit kommen", sagte Qadri im DW-Interview.
Am Donnerstag (14.08.2014) soll sein neuer "Marsch der Millionen" Islamabad erreichen - es ist der finale Test für Qadris Politik, für seine Zukunft. Denn eine weiteren misslungenen Auftritt kann er sich nicht leisten.