Mubaraks mögliche Erben
18. Juni 2012Für viele Ägypter ist er ein typischer Apparatschik: Mohammed Mursi, Mitglied der Muslimbruderschaft und Präsident der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit. Bereits vor drei Jahrzehnten hat sich der promovierte Ingenieur der islamistischen Bewegung angeschlossen. Seither hat er innerhalb der Muslimbruderschaft Karriere gemacht: zunächst in der Abteilung für Religion, dann im Führungsbüro, und schließlich als offiziell unabhängiger Kandidat im ägyptischen Parlament.
Karriere bei den Muslimbrüdern
Dabei blieb es nicht. Im Jahr 2005 wurde Mursi, der zwischenzeitlich auch in den USA lebte, offizieller Sprecher der Muslimbruderschaft. Weil er im selben Jahr Proteste gegen die mutmaßliche Manipulation der Parlamentswahlen unterstützte, wurde der Politiker 2006 festgenommen und verbrachte sieben Monate in Haft. Nach dem Aufruhr in Ägypten und dem Sturz des früheren Machthabers Hosni Mubarak wurde Mohammed Mursi im April 2011 Präsident der im Umfeld der Muslimbruderschaft gegründeten Partei für Freiheit und Gerechtigkeit. Ende des vergangenen Jahres führte er die Partei in den Parlamentswahlkampf - und erzielte mit über 45 Prozent das beste Ergebnis.
Dass der 60 Jahre alte Islamist einmal Hosni Mubarak nachfolgen könnte – damit hat allerdings kaum einer gerechnet. Selbst für die Muslimbruderschaft ist Mursi lediglich die zweite Wahl. Die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit schickte ihn erst ins Rennen, nachdem sein Stellvertreter Chairat al-Schater von einer Kandidatur für das Präsidentenamt ausgeschlossen wurde. Al-Schater gilt als charismatisch, Mursi als Pragmatiker.
Eher Kontinuität als Wandel
"Mohammed Mursi ist eine blasse Figur", sagt auch Hamadi El-Aouni, Ägypten-Experte an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Er bemüht sich um Dialog, aber er bleibt ein Fundamentalist." Im Falle eines Wahlsiegs Mursis rechnet El-Aouni damit, dass er dem Programm der Muslimbruderschaft treu bleibt. Die Voraussetzungen dafür sind ohnehin günstig: Die Muslimbruderschaft ist die stärkste Kraft in der ägyptischen Politik und verfügt über beste Kontakte im ganzen Land. Darüber hinaus ist die Bewegung in den konservativen Teilen der ägyptischen Gesellschaft tief verwurzelt.
Dass die Muslimbruderschaft unter Hosni Mubarak verboten war, verleiht ihr in den Augen vieler Ägypter eine besondere Glaubwürdigkeit. Als Gesicht eines ägyptischen Neuanfangs könne Mohammed Mursi allerdings nicht gelten, sagt Andrea Teti, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Aberdeen und Senior Fellow des European Center for International Affairs. "Die Muslimbruderschaft hat sich immer dafür entschieden, mit dem alten Regime zu verhandeln, statt es herauszufordern", sagt er DW-Interview. Insofern stehe auch Mohammed Mursi, der sich zur Opposition gegen das alte Regime zählt, eher für Kontinuität als für Wandel.
Funktionär unter Mubarak
Dabei ist diese Position eigentlich schon besetzt: von Ahmed Schafik, dem Präsidentschaftskandidaten der alten Garde. Fast 40 Jahre lang diente er in den ägyptischen Streitkräften, wechselte später als Luftfahrtminister in die Politik und hielt Hosni Mubarak als Ministerpräsident bis zuletzt die Treue. Zusammen mit Mohammed Mursi hat er bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl die meisten Stimmen erhalten und Kandidaten wie Hamdien Sabbahi und Amre Mussa, die dem linken und liberalen Lager zugerechnet werden, hinter sich gelassen.
"Ahmed Schafik bemüht sich um Öffnung", sagt Hamadi El-Aouni. "Aber in Ägypten nimmt ihm das kaum einer ab. Die Menschen befürchten, dass er das alte Regime wieder einführen will – vielleicht mit kosmetischen Korrekturen." Die Nähe zum alten Machtapparat hätte ihm kurz vor der entscheidenden zweiten Runde der Präsidentenwahl am 16. und 17. Juni zum Verhängnis werden können. Doch das Verfassungsgericht in Kairo entschied, dass die Kandidatur von Ahmed Schafik rechtmäßig ist. Es erklärte ein Gesetz für ungültig, wonach hohe Funktionsträger unter Mubarak zehn Jahre lang nicht für öffentliche Ämter kandidieren dürfen.
Für die Demokratiebewegung unwählbar
Schafik hatte unter Hosni Mubarak Karriere gemacht. Nach seiner Ausbildung an der Luftwaffen-Akademie diente er zunächst als Kampfpilot. Er gilt als Held des Jom-Kippur-Krieges von 1973, wurde in den 1980er Jahren Militärattaché in der ägyptischen Botschaft in Rom, war in den 1990er Jahren Stabschef der Luftwaffe und führte bis 2002 die Teilstreitkräfte als Kommandeur. In seiner Zeit als Luftfahrtminister erarbeitete sich Schafik den Ruf eines harten Sanierers. Allerdings wurden auch immer wieder Korruptionsvorwürfe gegen ihn und sein Ministerium laut.
Im Wahlkampf gab sich der 70-Jährige als starker Anführer und erfahrener Politiker. Er hat versprochen, binnen 24 Stunden nach seinem Amtsantritt Recht und Ordnung im Land wiederherzustellen. Bei den alten Eliten ist er wegen seiner Verbindung zu den Machtzirkeln Mubaraks und seiner tiefen Verwurzelung im Militär beliebt. Genau das machte ihn allerdings für viele Anhänger der Demokratiebewegung unwählbar.
In ihren Augen hat aber auch Mohammed Mursi schlechte Karten. "Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden Präsidentschaftskandidaten klar voneinander", sagt Andrea Teti. "Letztlich sind sie aber nur zwei Seiten einer Medaille. Beide gehörten zur Ära Mubarak."