Mubarak erwartet sein Urteil
1. Juni 2012Da lag er, der alte Mann auf seiner Trage. Kaum schien er sich mehr bewegen zu können, kaum dem Geschehen um ihn herum folgen zu können. Beobachter warfen ihm zwar vor, Gebrechlichkeit nur vorzutäuschen, um Gericht und Öffentlichkeit milde zu stimmen. Doch der Wirkung des Bildes konnte das nichts anhaben: Der Mann auf der Bahre verkörperte absolute Ohmacht und Hilflosigkeit - ein schockierender Eindruck bei einem Mann, der für die Ägypter wie kein anderer die absolute Macht verkörpert hatte. Nun, vor Gericht, musste sich Hosni Mubarak seinen Landsleuten gegenüber verantworten, den Bürgern jenes Staates, den er 30 Jahre lang regiert hatte. Das Urteil wird für Samstag (02.06.2012) erwartet.
Der Präsident hinter Gittern: Ein stärkeres Symbol für den Erfolg der Revolution ließ sich kaum denken. Zum ersten Mal überhaupt stand ein ehemaliges Staatsoberhaupt der arabischen Welt vor Gericht. War der tunesische Präsident Zine el-Abedine Ben Ali in Abwesenheit verurteilt worden, musste sich Mubarak seinen Richtern persönlich stellen. Unter seiner Amtszeit hatten ägyptische Politiker fast durchweg Straffreiheit genossen - nun zeigte der Prozess gegen Mubarak, dass diese Zeiten vorüber waren. Das, erklärt Mona Abaza, Soziologin an der "American University in Cairo", empfanden viele Ägypter als erlösend.
Drei Anklagepunkte
Die Staatsanwaltschaft klagt Mubarak in drei Punkten an. Der schwerwiegendste Vorwurf ist der der Mitverantwortung für Mord und versuchten Mord an hunderten friedlicher Demonstranten in Kairo, Alexandria, Suez und anderen ägyptischen Städten zwischen dem 25. und 31. Januar 2011 - jener entscheidenden Woche der ägyptischen Revolution, in deren Folge er am 11. Februar zurücktrat. Mubarak wird vorgeworfen, den Befehl zur gewaltsamen Niederschlagung der Proteste gegeben zu haben. Zwar starben auch in den folgenden Tagen noch Demonstranten an den Folgen des staatlichen Gewalteinsatzes. Doch die Anklage beschränkt sich auf die Vorfälle bis zum 31. Januar 2011.
Zweitens geht es um widerrechtliche Einflussnahme zugunsten des Unternehmers und Immobilienentwicklers Hussein Salem. Dieser, so der Vorwurf, hatte dank Mubarak in dem ägyptischen Badeort Sharm el-Sheikh ein Grundstück für den Bau eines Golf- und Tourismus-Ressorts zu Preisen weit unter Marktwert erworben. Als Gegenleistung soll er dem Präsidenten mehrere Luxusvillen geschenkt haben. Drittens wirft die Staatsanwaltschaft Mubarak vor, seine Hand auch bei profitablen Gasgeschäften Salems mit Israel im Spiel gehabt zu haben.
Schwierige Beweislage
Die Ägypter, erklärt der Rechtsanwalt Hafez Abu Seada, Vorsitzender der "Ägyptischen Organisation für Menschenrechte", beobachteten den Prozess aufmerksam. Insbesondere die vielen Toten der letzten Januarwoche des Jahres 2011 hätten sie erzürnt. "Die meisten Ägypter erwarten ein hartes Urteil gegen Präsident Mubarak. Sie sind der Ansicht, dass er wegen des während der Revolutionstage vergossenen Blutes verurteilt werden muss."
Ob es dazu allerdings kommt, vermag Abu Seada nicht zu sagen. Eindeutig geklärt sei allein Mubaraks Rolle bei den Gasgeschäften. "Allein in diesem Punkt liegen Beweise vor." Im Hinblick auf die beiden anderen Anklagepunkte gibt sich der Anwalt verhalten. Gerade im für viele Ägypter wichtigsten Anklagepunkt, dem Befehl zum Einsatz von Gewalt während der entscheidenden Revolutionstage, sei die Beweislage schwierig. "Das liegt auch daran, dass die beiden Hauptzeugen, der damalige Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi und der ehemalige Geheimdienstchef und ägyptische Vizepräsident Suleiman bei ihrer Gerichtsaussage erklärt haben, dass Präsident Mubarak dem Innen- und Verteidigungsminister keine Befehle erteilt habe, Gewalt gegen die Demonstranten einzusetzen."
Vorwurf rechtlicher Willkür
So erwarten die Ägypter mit Spannung, wie das Gericht die Beweislage bewerten wird. Eines aber stört sie ganz unabhängig von dem Urteil: der Umstand nämlich, dass sich Mubarak vor einem Zivilgericht zu verantworten hat - während zugleich 12.000 Demonstranten vor Militärgerichten stehen. Dort haben die Angeklagten erheblich weniger Rechte als vor Zivilgerichten. So können sie weder ihren Anwalt frei wählen noch ihre Verteidigung angemessen vorbereiten. Skeptisch sind viele Ägypter auch im Hinblick auf andere Prozesse, in denen sich Offiziere wegen Gewaltanwendung verantworten müssen. Viele ihrer Landsleute, erklärt Mona Abaza von der "American University" in Kairo, bezweifelten aber, dass deren Verhalten juristisch angemessen aufgearbeitet würde.
Wie immer das Urteil gegen Mubarak ausfallen mag: Juristisch sind die Ereignisse der Revolution und die Verantwortung der unterschiedlichen Staatsorgane nicht einmal im Ansatz geklärt. Seine Organisation, erklärt Hafez Abu Seada, sehe sich darum vor allem drei Aufgaben gegenüber. Erstens versuche sie Geist und Institutionen der Zivilgesellschaft zu schützen, die sich derzeit vielerlei Angriffen ausgesetzt sehe. Zweitens arbeite sie an der Entwicklung der Freiheits- und Bürgerrechte und verfolge die entsprechenden Diskussionen im ägyptischen Parlament. Und drittens arbeite sie weiterhin Folterfälle aus der Zeit des alten Regimes auf.
Aus Sicht vieler Demonstranten hat die ägyptische Revolution insbesondere nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen eine ernüchternde Wendung genommen. Angesichts der starken Symbolwirkung, den der Auftakt des Prozesses gegen Mubarak hatte, wird sich nun zeigen, welche Signale dessen Ende aussendet.