Mozart und Mohammed
29. Dezember 2006Jubiläen prägten viele kulturelle Veranstaltungen in Jahr 2006. Große Ausstellungen gab es in Deutschland und den Niederlanden rund um den 400. Geburtstag des Barockmalers Rembrandt. Es jährte sich der 150. Todestag des Komponisten Robert Schumann. Man feierte auch den 150. Geburtstag des Psychoanalytikers Sigmund Freud und den 50. Todestag des Schriftstellers Bertold Brecht.
Wolfgang Amadeus Mozart begann den Reigen der Jubilare. Sein Geburtstag jährte sich am 27. Januar, danach wurde es etwas stiller um das musikalische Wunderkind. Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny kann aber mit der Bilanz des Mozartjahres zufrieden sein. Insgesamt 30 Millionen Euro habe die Stadt zur Verfügung gestellt, und ein zusätzliches Umsatzvolumen von etwa 48 Millionen Euro konstatiert, erklärt er. Sein Fazit: "Investitionen in die Kultur zahlen sich direkt und indirekt für die Stadt aus."
Mailath-Pokornys letzter Satz war nach Berlin gerichtet, wo Sparpläne das Kulturangebot qualitativ zu schmälern drohen. Trotz der seit Jahren leeren Haushaltskassen gab es im Museums- und Theaterbereich in diesem Jahr einige Neueröffnungen, auch in Berlin. Auf der Berliner Museumsinsel können Besucher Kunstschätze von der Spätantike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im neu gestalteten Bode-Museum bewundern. In Marbach gibt es seit Juni ein Literaturmuseum der Moderne und in Dresden wurde im September nach jahrelanger Renovierung im Residenzschloss das historische Grüne Gewölbe wiedereröffnet, die ehemalige Schatzkammer des sächsischen Kurfürsten.
Das barocke Gesamtkunstwerk, das glänzt und glitzert, konnte den unrühmlichen Streit um den geplanten Bau der Dresdner Elbtalbrücke ein wenig in den Hintergrund drängen. Denn während die Altstadt von Regensburg in diesem Jahr in die Liste des Welterbes aufgenommen wurde, kamen die Dresdner im Juli auf die Rote Liste der UNESCO. Die Brücke würde die einzigartige Landschaft der Elbaue verschandeln.
Brücken bauen
Brücken ganz anderer und gern gesehener Art baut das Goethe-Institut, dessen Etat seit Jahren erstmals wieder aufgestockt wurde, um 13,5 auf nun 110 Millionen Euro. Mit diesem Geld sind neue Institute in Osteuropa und China sowie in der arabischen Welt geplant. Außerdem soll das Flagschiff der auswärtigen Kulturpolitik reformiert werden, indem es sich wieder auf seine Kernaufgaben besinnt. Dazu gehört die Pflege der deutschen Sprache.
Auch neue Synergieeffekte mit anderen Institutionen sind gefragt. Den ersten Zusammenschluss gab es bereits im Mai. In Abu Dhabi wurde das erste Gemeinschaftsinstitut von Goethe-Institut, DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) und GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) eröffnet. Dadurch soll auch der Kulturdialog mit der arabischen und islamischen Welt gefördert werden.
Schwieriger Dialog
Einen Rückschlag erlebte der Dialog der Kulturen im Februar mit dem so genannten Karikaturenstreit. Eine dänische Zeitung hatte umstrittene Mohammed-Karikaturen abgedruckt, die den Propheten unter anderem mit einer Bombe im Turban zeigten. Die Karikaturen wurden von mehreren europäischen Zeitungen nachgedruckt.
Die Karikaturen hatten nicht nur weltweit teils gewaltsame Demonstrationen zur Folge. Sie zogen auch eine langanhaltende Debatte über die Pressefreiheit nach sich. Darf man diese Karikaturen abbilden, auch wenn dadurch gewaltsame Proteste ausgelöst werden könnten? Oder muss hier die Freiheit der Presse eingeschränkt werden, muss also der Abdruck unterbleiben, um nicht Gewalt zu provozieren?
Neuen Aufwind bekam die Debatte im September, als Papst Benedikt XVI. bei seinem Heimatbesuch in Regensburg in einer Vorlesung einen byzantinischen Kaiser aus dem Mittelalter zitierte. Dieser wiederum hatte kritisiert, dass Mohammed seinen Glauben durch das Schwert verbreitet habe. Die Verwendung dieses Zitats rief abermals Empörung in der islamischen Welt hervor. Es erforderte einiges an diplomatischem Geschick seitens des Vatikans, um die Wogen zu glätten.
Sensibilisiert von den Konflikten zwischen der westlichen und der islamischen Welt verkündete die Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms, im September, sie wolle Mozarts Oper "Idomeneo" in der umstrittenen Inszenierung von Hans Neuenfels vom Spielplan nehmen. Die Schlussszene zeigt Kaiser Idomeneo mit vier abgeschlagenen Köpfen, darunter der Kopf Mohammeds.
Infolge ging ein Aufschrei nicht nur durch die Medien, sondern auch durch die Reihen der Politiker. Von vorauseilendem Gehorsam war die Rede und erneut entflammte die Diskussion, wie viel künstlerische Freiheit beim Thema Islam erlaubt ist.
Versöhnte Kulturen
Der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland gelang es, die Kulturen wenigstens zeitweise miteinander zu versöhnen. Die Welt war zu Gast bei Freunden und wenn Fremde dadurch auch noch keine Freunde wurden, so wurden sie doch als Gäste behandelt. Die Atmosphäre wurde durchweg positiv beurteilt.
Im Oktober ließ Sönke Wortmanns Dokumentarfilm "Deutschland - ein Sommermärchen." die Herzen der Fußballfans noch einmal höher schlagen. Über ein Jahr lang Wortmann die Nationalmannschaft mit der Kamara begleitet.
Film hatte die Nase vorn
Auch eine andere deutsche Produktion hatte in der Gunst des Publikums - im wahrsten Sinne des Wortes - die Nase vorn: "Das Parfüm". Die Geschichte eines Mörders, der um des Duftes Willen junge Mädchen tötet. Der deutsche Regisseur Tom Tykwer hatte den Erfolgsroman von Partrick Süskind verfilmt.
Gut verkaufen konnten sich auch deutsche Kunst und deutsche Literatur. Patrick Süskinds Roman "Parfüm" führte zeitweise wieder die aktuellen Bestsellerlisten an. Zu den meistverkauften Büchern weltweit gehörte Daniel Kehlmanns Bildungsroman "Die Vermessung der Welt".
Frischer Wind mit neuen Ideen wehte durch die Theaterlandschaft. Viele Hoffnungen ruhten auf dem Start neuer Intendanten. So wartete unter anderem die Intendantin Amelie Niermeyer am Düsseldorfer Schauspielhaus mit ungewöhnlichen Inszenierungen auf. Zum Beispiel mit einer Produktion der Gruppe Rimini Protokoll, die Laien auf die Bühne holt, die von sich und ihren Erfahrungen zu einem bestimmten Thema reden.
Bei den bestverkauften deutschen Künstlern weltweit liegt noch immer der zeitgenössische Maler Gerhard Richter an der Spitze. Höchstpreise erzielten Auktionshäuser in diesem Jahr aber auch mit deutschen Expressionisten. Dabei wurde der Auktionsherbst durch Verkäufe von so genannter NS-Raubkunst überschattet. Eine Debatte schloss sich an.
Literarische Vergangenheitsbewältigung
Der Schriftsteller Günther Grass offenbarte in seinem neuen Roman "Beim Häuten der Zwiebel" einen unrühmlichen Abschnitt seiner Jugend: seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Das späte Eingeständnis eines schuldbewussten alternden Mannes oder alles nur ein großer Werbefeldzug für das neue Buch? Günther Grass, den viele als Moral-Apostel der Nation sahen, wurde von allen Seiten attackiert.
Viele forderten, Günter Grass solle seinen Literaturnobelpreis zurückgeben, darunter der Schriftsteller Peter Handke. Er war selbst im Frühjahr in die öffentliche Diskussion geraten, als ihm der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf verliehen werden sollte. Gegner der Verleihung kritisierten sein Engagement für Serbien und seine Rede zum Begräbnis des ehemaligen Diktators Slobodan Milosevic. Sehr zum Bedauern von Oberbürgermeister Joachim Erwin machte Handke der Diskussion selbst ein Ende, indem er den Heinrich-Heine-Preis ablehnte.
Viel Aufregung rund um den Heinrich-Heine-Preis - und das im Heinrich-Heine-Jahr, denn auch er gehörte zu den Jubilaren 2006. Dabei stand Heines 150. Todestag aber weit im Schatten der Geburtstage von Mozart und Rembrandt.
Zum Jahresende wurde in Konzertsälen und Fernsehprogrammen noch einmal kräftig Mozart aufgespielt. Portraits, Spielfilme, Zeichentrickserien und Konzertmitschnitte, die Palette für die Fernsehzuschauer war breit gefächert. Und auch Mozarts Oper Idomeneo kam zu guter Letzt wieder auf den Spielplan der Deutschen Oper Berlin.