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Gesellschaft

Mossul erwacht wieder zum Leben

Florian Neuhof Mossul, Irak
18. Januar 2017

Die irakische Armee hat die IS-Terrormiliz aus Vierteln der nordirakischen Metropole Mossul zurückgedrängt. Nun gelten die drastischen Regeln des "Islamischen Staates" nicht mehr. Von Florian Neuhof, Mossul.

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Irak Kampf um Mossul gegen den IS - befreite Stadtgebiete | Markt
Bild: DW/F. Neuhof

Auf der Straße drängen sich die Menschen um Handkarren, die mit Waren beladen sind. Dabei sind in diesem Teil der einstigen irakischen Metropole Mossul regelmäßig dumpfe Explosionen von Granaten zu hören. Denn der "Islamische Staat" ist nicht weit. Die Terromiliz kontrolliert weiterhin einige Viertel im Osten der Stadt. Von dort beschießen IS-Kämpfer die befreiten Quartiere. Sie betrachten jeden, der sich nicht mit ihnen verschanzt hat, als Ungläubigen, der den Tod verdient hat. Doch die Käufer auf dem improvisierten Markt im befreiten Viertel Zuhour achten kaum darauf. Obst, Gemüse, Eier und Kochgeschirr stehen auf ihren Einkaufslisten: billige Notwendigkeiten für die verarmten Stadtbewohner.

Am 17. Oktober starteten die irakischen Streitkräfte ihre Offensive gegen den IS in Mossul. Die ersten Einheiten drangen im November am Ostufer des Tigris in die Stadt ein. Seitdem hat sich die Frontlinie quer durch die östliche Hälfte Mossuls geschoben, die Bewohner waren den Kämpfen zwischen Armee und Dschihadisten schutzlos ausgeliefert. Seit Jahresbeginn hat sich die Offensive durch Truppenverstärkung und eine neue Taktik beschleunigt. Eine Reihe von Stadtvierteln wurde in schneller Abfolge befreit.

Darunter ist das Viertel Zuhour, wo der Straßenmarkt innerhalb weniger Tage nach der Befreiung eröffnet wurde. Nun liefern und verkaufen Händler Essen, Treibstoff und andere Dinge. Die Lieferkette von der naheliegenden kurdischen Region direkt ins Herz der Millionenstadt entstand schnell und verbindet Mossul nun nach über zwei Jahren wieder mit der Welt außerhalb des "Islamischen Staats".

Improvierter Markt in Mossul
Improvierter Markt in Mossul: Waren, die es unter der Herrschaft des IS nicht gabBild: DW/F. Neuhof

Zuhour liegt weniger als einen Kilometer von der Fronlinie entfernt. Etwas weiter die Straße hinunter stoppen Betonwände den Verkehr in Richtung der Ruinen von Ninive. Die Überreste der einstigen Hauptstadt des assyrischen Königs Sennacherib ist heute ein Niemandsland. Dahinter liegt das schrumpfende "Kalifat" des IS. Doch das hält die Leute von Zuhour nicht davon ab, ihr Viertel wieder zum Leben zu erwecken.

Autos fahren durch die von Kratern übersäten Straßen, die eilig von Barrikaden geräumt wurden. Bulldozer verfüllen bereits die Löcher, die von Selbstmordattentätern oder Minen des IS in den Asphalt gesprengt worden waren. Vor Fassaden mit Einschusslöchern und neben Ruinen spielen Kinder. Glatt rasierte Männer plaudern mit ihren Nachbarn. Die buschigen Bärte, die sie sich unter IS-Herrschaft wachsen lassen mussten, sind ab.

Wieder Zigaretten und Handys

Zuhour ist nicht das einzige wiederbelebte Viertel. In Gogjali, dem Stadtteil, der als erstes von der irakischen Armee zurückerobert wurde, werden auf einem Markt schon seit Längerem Waren an die Menschen aus den befreiten Gebieten verkauft.

Auf einem ungepflasterten Platz neben der Straße machen sich die Bewohner von Mossul wieder vertraut mit den kleinen Annehmlichkeiten, die nach der Eroberung der Stadt durch den IS im Juni 2014 verboten waren. Zigarettenkartons stapeln sich, Handys und SIM-Karten sind in hölzernen Kisten ausgestellt, ein Container wurde in ein Teehaus umgebaut, vor dem Männer sitzen und Wasserpfeife rauchen.

Die Dschihadisten hatten eine ultrastrenge Version des Islams durchgesetzt: Rauchen war streng verboten und Mobiltelefone wurden konfisziert. Nachdem der IS an den Fluss zurückgedrängt wurde und mit seinen Granaten Gogjali nicht mehr erreichen kann, schlendern die Menschen entspannt über den Markt auf der Suche nach Schnäppchen.

Die Wirtschaft in Mossul war unter der Herrschaft des IS zum Stillstand gekommen. "Das Leben ist wieder normal geworden. Aber wir bekamen kein Gehalt unter der Herrschaft des IS. Und wir bekommen noch immer kein Geld", sagt Ziad Ahmed, ein 41-jähriger Angestellter bei der Stadt, während er seine Einkäufe von Gogjali in das angrenzende Viertel Al Quds trägt.

Umkämpftes Gebiete um Mossul im September
Umkämpftes Gebiete um Mossul im September: Stillstand der Wirtschaft unter IS-HerrschaftBild: DW/F. Neuhof

"Die Leute haben nicht viel Geld, sie kaufen die billigen Telefone", sagt Jassem Mohammed, der an einem Stand Handys und SIM-Karten verkauft. Die Waren kommen aus den kurdischen Gebieten und werden in Gogjali ausgeladen, wo Händler sie in großer Stückzahl kaufen und sie weiter in die Stadt transportieren.

Nach dem Beginn der Offensive sind Nahrungsmittel knapp geworden. Nachdem am vergangenen Dienstag Teile des Viertels Hay Sumer befreit wurden, zogen die Bewohner auf der Suche nach Lebensmitteln sofort in den benachbarten Stadtteil Palestine. Seitdem verbindet die beiden Stadtteile ein steter Strom von Menschen, beladen mit Körben voller Eier und Taschen voller Gemüse.

Mangel an Medikamenten, Baumaterial und Energie

Doch vieles fehlt noch in Mossul. Im Stadtteil Shukak steht Abdul Ahmed im Haus seiner Familie. Das Nachbarhaus wurde als Basis vom IS genutzt und von Bomben der Anti-IS-Koalition getroffen. Eine Rakete durchschlug das Dach und zerstörte das Innere. Der Geruch des Todes hing über dem Schutt. Abdul Ahmed war mit seiner Familie zu Verwandten geflüchtet. Nach seiner Rückkehr bemerkte er, dass die Explosion in der Nachbarschaft auch den hinteren Teil seines Hauses zerstört hatte. Die Familie hat kein Geld für die Reparatur und Baumaterial ist knapp.

Abdul Ahmed hofft auf Hilfe der Regierung, um sein Haus wieder aufzubauen. Aber er hat noch größere Sorgen. Der psychische Zustand seines behinderten Sohnes Ali hat sich verschlechtert. "Sein Zustand wurde immer schlimmer, weil wir keine Medizin mehr für ihn kaufen konnten, nachdem der IS die Stadt erobert hatte", sagt er. "Wir konnten ihn nicht zum Arzt bringen, weil der aus der Stadt geflohen war. Es wurde noch schlimmer durch den Stress, als die Schlacht begann."

Obwohl sie jetzt wieder zu Hause sind, hat sich die Situation des 11-Jährigen noch nicht gebessert. Der Grund: Die Behörden erlauben es den Bürgern Mossuls bislang nicht, in die Nachbarstädte zu reisen. Auch Medikamente kommen kaum in die Stadt. Andere Hürden auf dem Weg zur Normalität bestehen ebenfalls weiterhin: Die Energieversorgung ist noch nicht wiederhergestellt. Lediglich Generatoren erzeugen Strom. Auch das Wasserleitungsnetz am Ostufer des Tigris wurde zerstört.

Zwar zeigt Mossul seine Widerstandsfähigkeit, doch die Stadt ist weiterhin in Not.