"Urteil für Russland vernichtend"
25. Juli 2013DW: Sind Sie mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zufrieden?
Karina Moskalenko: Wir sind mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zutiefst zufrieden. Die Hauptbeschwerde von Chodorkowski und Lebedew war, dass gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen wurde. Wir stehen seit vielen Jahren auf dem Standpunkt, dass sie in einem unfairen Gerichtsverfahren verurteilt wurden. Dies hat heute das Gericht in vollem Umfang bestätigt. Darauf haben wir lange warten müssen. Es ist ein schwieriges Urteil, das eine Reihe begleitender Artikel enthält. Einiges wurde anerkannt, anderes nicht, aber das alles ist sekundär. Das Wichtigste wurde anerkannt. Laut russischem Strafprozessrecht muss, nachdem die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren anerkannt wurde, natürlich die Verurteilung aufgehoben werden. Dafür kämpfen wir seit vielen Jahren.
Der erste Prozess gegen Chodorkowski war nach Einschätzung der Richter nicht politisch motiviert. Somit liege ein Verstoß gegen Artikel 18 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vor. Wie bewerten Sie das?
Die Staatsmacht will jetzt die Aufmerksamkeit der Presse auf die Entscheidung bezüglich Artikel 18 konzentrieren, also was die politische Motivation betrifft. Doch auch diese Entscheidung der Richter ist für die russische Staatsmacht vernichtend. Denn das Gericht macht deutlich, dass es bereit ist, anzuerkennen, dass Vertreter der Regierung unlautere Motive für die Verfolgung hatten. Wir bemühen uns nun, dass das Urteil reibungslos umgesetzt wird und das Oberste Gericht der Russischen Föderation die einzig mögliche Entscheidung trifft und die Verurteilung aufhebt.
Aber viele meinen, gerade die Entscheidung bezüglich Artikel 18 sei die wichtigste.
Ich spüre, dass dies irgendeine geplante Aktion ist. Lassen Sie uns über das Urteil klar werden. Alle werden noch sehen, was dieses Urteil ausmacht: Es bestätigt den Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Dazu habe ich nichts hinzuzufügen. Ob es für diesen Verstoß politische oder wirtschaftliche Motive gab, spielt keine Rolle. Warum sich die Staatsmacht gerade darauf konzentriert, ist klar. Irgendjemand drängt sie dazu und möchte, dass das Urteil gerade so gesehen wird.
Das Gericht stellte fest, dass Chodorkowski keine Steuern nachzahlen muss, die sein damaliges Unternehmen Yukos an den Staat hätte entrichten müssen. Im Gegenteil - die Richter entschieden, dass Russland Chodorkowski jetzt 10.000 Euro Entschädigung zahlen muss.
Auch letztes Mal waren es 10.000 Euro. Wir hatten nur um einen symbolischen Beitrag gebeten. Das ist keine Entscheidung, was die Rückgabe von Yukos-Vermögenswerten betrifft. Es ist eine moralische Entschädigung und Chodorkowski wird sie für wohltätige Zwecke spenden.
Karina Moskalenko ist Russlands führende Menschenrechts-Anwältin. Gemeinsam mit ihren Kollegen des "International Protection Centre" hat sie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zahlreiche Fälle gegen die russische Regierung gewonnen. Die Moskauer Nichtregierungsorganisation unterstützt Opfer von Menschenrechtsverletzungen bei Klagen vor internationalen Gerichten.
Michail Chodorkowski hatte bereits 2011 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht einen Teilerfolg erzielt. Damals beurteilten die Richter die Behandlung des früheren Ölunternehmers in seiner Untersuchungshaft und vor Gericht als herabwürdigend. Chodorkowski und dessen Geschäftspartner Platon Lebedew wurden 2005 in Russland wegen Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt. In einem weiteren Prozess wegen Betrugs erhielten beide 2010 noch einmal sechs Jahre Gefängnis. 2012 verringerte ein Moskauer Gericht das Strafmaß um zwei Jahre. Chodorkowski unterstützte in den Anfangsjahren der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins (2000-2008) offen die Opposition gegen den Kreml-Chef.