1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mori - der Mann im Wald

Anne-Sophie Brändlin20. September 2015

Sein Studium hat er geschmissen, seine Wohnung aufgelöst. Jetzt lebt Mori im Wald - aus Protest gegen dessen drohende Abholzung. Sein Name ist ein Pseudonym. Denn was Mori tut, ist illegal.

https://p.dw.com/p/1GNWo
Climate Heroes Mori und Mila
Bild: DW/A. S. Brändlin

Wenn Mori barfuß, mit einem pinkfarbenen Rock bekleidet, durch den Wald läuft, dann sieht er nicht aus wie ein typischer 25-Jähriger. Mori lebt auch nicht wie ein typischer 25-Jähriger. Um in sein Schlafzimmer zu gelangen, muss er 16 Meter an einem frei baumelnden Seil hochklettern. Das entspricht ungefähr einem fünfstöckigen Wohnhaus. Mori lebt in einem Baumhaus im Wald – seit fast 2 Jahren. Sein Zuhause ist Mona, ein 250 Jahre alter und 30 Meter hoher Baum mitten im Hambacher Forst, 40 Kilometer von Köln entfernt.

Der Wald ist über 12.000 Jahre alt. Das Grundstück, auf dem er wächst, gehört dem Energiekonzern RWE. Und dieser plant den Wald abzuholzen, damit der benachbarte Braunkohletagebau Hambach - der größte Tagebau Deutschlands - auch hier Kohle fördern kann. Mori will das verhindern. Er möchte Mona und die anderen Bäume retten. Und dafür ist er bereit, auch illegale Mittel anzuwenden.

Gemeinsam mit ein paar Dutzend anderer Kohleaktivisten, die seit Jahren in Baumhäusern in diesem Wald und in einem Camp am Waldrand leben, besetzt er nicht nur Bäume, sondern klettert auch auf Bagger im benachbarten Kohletagebau. Er kettet sich an ihnen fest – und legt damit den Betrieb für Stunden still. So macht er es auch bei der Hambachbahn, mit der die Braunkohle vom Tagebau zu den angrenzenden RWE-Kraftwerken befördert wird.

Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch illegal. Deshalb benutzt Mori ein Pseudonym. Er möchte nicht von RWE identifiziert werden können, denn noch kann der Konzern ihm nicht nachweisen, dass er tatsächlich jemals einen Bagger besetzt hat – auch wenn ihm der Energiekonzern momentan in einem Gerichtsverfahren vorwirft, die Hambachbahn gestört zu haben.

Braunkohle Aktivist Hambacher Forst
Einen 250 Jahre alten Baum zu schützen, das ist das Ziel von Mori und seinen Mitstreitern, die unerkannt bleiben wollen. Was sie tun, ist illegal.Bild: DW/A.-S. Brändlin

Was genau hat Mori dazu bewegt sein Studium hinzuschmeißen, weg aus der Stadt auf einen Baum zu ziehen und sogar ein Gerichtsverfahren in Kauf zu nehmen? Es gab "keinen Klickmoment", sagt Mori, in dem er begonnen habe, das "momentane Gesellschaftskonstrukt" abzulehnen und für die Umwelt zu kämpfen, "komme was wolle". Er nennt es anders. "Es war ein schleichender Prozess."

Wie aus einem Studenten ein Kohleaktivist wurde

Mit seinen zwei jüngeren Geschwistern und seinen beiden Eltern ist Mori in einem kleinen Dorf bei Gießen in Westdeutschland aufgewachsen. Von der deutschen Wiedervereinigung hat er nicht viel mitbekommen. „Die spielte für mich keine große Rolle“, sagt er. Er war bis heute erst ein paar Mal im Osten. Mori hatte nie Probleme in der Schule, absolvierte sein Abitur und fing danach an, Philosophie und Germanistik in Gießen zu studieren. Weil man das eben so macht, nach dem Abi: studieren. "Das ist der Werdegang, den die Gesellschaft erwartet", sagt Mori. Doch einen Plan, was genau er mit dem Studium später machen wollte, hatte er nicht. "Als ich ganz klein war, wollte ich eigentlich immer Tiefseetaucher werden", erzählt er heute.

Nach zwei Semestern stellte Mori fest, dass das mit der Uni eigentlich nichts für ihn ist und brach sein Studium ab. Er wollte reisen, raus aus Gießen und die Welt entdecken. "Ich habe festgestellt, dass ich eigentlich nur studiere, weil ich sonst nicht weiß, was ich machen soll. Deshalb hab ich mich entschieden, lieber alles abzubrechen und etwas zu finden, woran ich glaube." Das war der Anfang von Moris Prozess, sich langsam von der Gesellschaft zurückzuziehen.

Nachdem er vier Monate durch Spanien getrampt und dort auf Bauernhöfen gegen Kost und Logis gearbeitet hatte, fing er - zurück in Gießen - an, Kinderzirkusgruppen zu leiten. Dort lernte er über eine Bekannte schließlich den Hambacher Forst und die Kohleaktivisten kennen. "Das war das erste Mal, dass ich mit Menschen in Kontakt gekommen bin, die eine andere Form von Gesellschaft leben, eine, an die ich glaube", sagt Mori. Er ging immer und immer wieder in den Forst, bis er sich irgendwann entschied, ganz dort zu bleiben – nicht nur um etwas gegen den Klimawandel zu tun, sondern auch, um in einer alternativen Gesellschaftsform zu leben - gemeinsam mit den anderen Kohleaktivisten.

Braunkohle Aktivist Hambacher Forst
Eine alternative Gemeinschaft mit anderen Kohleaktivisten - das zog Mori an.Bild: DW/A.-S. Bändlin

Protest statt Arbeit und Besitz

"In der momentanen Gesellschaft definieren sich viele Menschen über ihre Arbeit, die ihnen noch nicht einmal Spaß macht und die sie nur unter Druck setzt", erklärt er. „Sie arbeiten ein Leben lang darauf hin, irgendwann mal im Alter frei zu haben. Daran glaube ich nicht. Ich möchte lieber jetzt schon so leben, wie es mich glücklich macht".

Mori besitzt kaum noch etwas. Er hat keinen Job, verdient kein Geld und lebt von dem, was er im Wald findet. Immer wieder schenken ihm auch Bäckereien und Gemüseläden in den umliegenden Dörfern übrig gebliebenes Essen. Aber ganz losgesagt von allen weltlichen Besitztümern hat sich Mori noch nicht. Ein altes Handy und einen Laptop, den die Gemeinschaft im Camp - wenn auch ohne Internetzugang – zusammen benutzt, hat er aus seinem alten Leben mitgebracht.

Er hat grundsätzlich nichts gegen Technik. Man müsse sie eben in Maßen benutzen. Nicht nur, dass viele Rohstoffe verschwendet werden, wenn man sich jedes Jahr das neueste iPhone kauft, Technik wird auch schnell zur Realitätsflucht. Das kennt Mori von sich selbst. Während der Schul- und Studienzeit hat er viel Zeit mit Computerspielen und Serien anschauen verbracht. "Ich bin froh, dass ich mittlerweile in der echten Welt spiele", sagt er und lacht. "Wobei ich ab und zu auch hier im Wald mal eine Serie auf dem Laptop schaue“, gibt er zu. "Aber lange nicht mehr so viel wie früher."

Braunkohle Aktivist Hambacher Forst
Ein Haus mit Frau und Kindern? Nichts für Mori. Er lebt im Baumhaus.Bild: DW/A.-S. Bändlin

Auch an Menschen möchte Mori keine Besitzansprüche stellen. An Monogamie glaubt er daher nicht. "Ein Haus mit Frau und Kindern kommt für mich nicht in Frage", sagt er, lacht und betont gleich darauf, dass das nicht heiße, dass er sich nicht vorstellen könne einmal Kinder zu haben. "Aber die würde ich außerhalb der Vater-Mutter-Kind Struktur großziehen. Meine Kinder sollen mehrere Bezugspersonen haben."

Das Leben in der Natur, im Wald mit Leuten, die seinen Lebensentwurf teilen, ist ihm lieber als die Hektik in der Stadt. "Wenn ich nach ein paar Monaten hier im Wald wieder in die Stadt gehe, dann wird mir das schnell zu viel. Zu viele Menschen, zu viel Werbung, zu viel Geschwindigkeit. Da vermisse ich den Wald ganz schnell. Es gibt nichts Schöneres als morgens im Baumhaus aufzuwachen, über die Blätter zu schauen und die Vögel zwitschern zu hören".

Appell an die Gesellschaft

Ist das Leben im Wald also vielleicht doch eher eine private Entscheidung als ein politischer Protest? Mori antwortet mit einem Appell: "Wenn die Gesellschaft so weitermacht wie bisher, verschwenderisch lebt, immer mehr sinnlosen Plastikkram produziert, Ressourcen verschwendet, Treibhausgase in die Atmosphäre spuckt, rücksichtslos mit anderen Lebewesen umgeht, dann geht unsere Welt den Bach runter. Ich will mich daran nicht beteiligen. Ich will etwas dagegen tun. Und deshalb bin ich hier."

Braunkohle Aktivist Hambacher Forst
Bild: DW/A.-S. Bändlin

Aber: Was genau kann diese Form des Protests, weit ab von der Gesellschaft, eigentlich bewirken? "Ich finde das ist ein guter Anfang hier“, sagt Mori. „Wir initiieren Aktionen vor Ort, die hier den Tagebauablauf stören. Natürlich ist das nur ein kleiner Beitrag, aber wir setzen ein Zeichen. Und wir haben einen Blog, auf dem wir dokumentieren, was hier passiert. Wir sind also auch Zeugen der Zerstörung, bringen das an die Öffentlichkeit, klären auf und erzeugen so Aufmerksamkeit.“ Er sage gar nicht, dass alle in den Wald ziehen und Beeren sammeln müssen. „Ich sage nur, denkt doch mal ein bisschen bewusster darüber nach, wie ihr lebt und was ihr wirklich braucht.“

Existenzängste hat Mori keine. "Wenn man weniger besitzt hat man auch weniger zu verlieren. Ich sehe ja, dass es möglich ist auch ohne Geld zu überleben", sagt er.

Wenn man Mori fragt, wo er sich in ein paar Jahren sieht, sagt er trocken: "Wahrscheinlich im Knast". Sich an Baggern festzuketten und Bäume zu besetzen, ist illegal, das ist ihm bewusst. Aber das ist es ihm auch wert. "Man muss tun, was man für richtig hält. Ich kann nicht einfach hier sitzen und nichts tun, während der Wald gerodet wird".

Braunkohle Aktivist Hambacher Forst
Bild: DW/A.-S. Bändlin