Mordfall Caruana Galizia: Etappensieg für den Rechtsstaat
30. Juli 2021Der Untersuchungsbericht zum Mord an Daphne Caruana Galizia ist über 400 Seiten dick, stützt sich auf rund 120 Zeugenaussagen und ist das Werk von drei renommierten Richtern. Die Schlussfolgerung aber ist ein schwerer Schlag gegen den maltesischen Staat: "Eine Kultur der Straflosigkeit" auf höchster Regierungsebene habe zu einem "Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit" geführt. Die Investigativ-Journalistin habe sich, seitdem sie Geldwäsche und andere Korruptionsdelikte von maltesischen Spitzenpolitikern aufdeckte, in einer "Konfrontation" mit der Regierung befunden, "die bis zu ihrer Ermordung immer mehr eskaliert" war. Am Ende wird der Regierung eine Mitschuld an ihrem Tod attestiert.
Die gleiche Partei weiter am Ruder
Wie so häufig in den letzten Jahren waren auch am Donnerstagabend, nach der Veröffentlichung des Berichtes, protestierende Bürger vor den Regierungssitz gezogen, um weitere Rücktritte und tiefgreifendere politische Folgen zu fordern. Die schärfste Kritik richtet sich jetzt gegen den ehemaligen Premierminister Joseph Muscat, in dessen Amtszeit die Journalistin 2017 ermordet worden war.
Ihn und seine Labour-Regierung hatten bereits Ende 2019 die größten Demonstrationen, die der kleine Inselstaat seit seiner Gründung 1974 erlebte, wegen dem Fall Caruana Galizia zum Rücktritt gezwungen. Muscat ist als damaliger Regierungschef für viele dafür verantwortlich, dass die "Straflosigkeit die schweigende Zustimmung, wenn nicht sogar den Segen des gesamten Kabinetts" genossen habe.
Ex-Kabinettchef der wahre Drahtzieher?
Besonders aber die Rolle von Muscats Kabinettschef Keith Schembri ist bis heute nicht aufgeklärt. Er galt als rechte Hand des Regierungschefs, und der Verdacht, er sei der eigentliche Drahtzieher hinter dem Mord an Daphne Caruana Galizia, ist bis heute nicht ausgeräumt. Jedenfalls gab es Verbindungen zwischen ihm und dem als Auftraggeber beschuldigten Geschäftsmann Jorgen Fenech, der vor Gericht jede Verantwortung leugnet.
Am Freitagmorgen dann begann die Sondersitzung des Parlaments zu dem Untersuchungsbericht mit einem Eklat. Die Öffentlichkeit wurde ausgesperrt und Zuhörern der Zugang zur Tribüne versagt mit der Begründung, die COVID-19-Lage mache das erforderlich. Die Bürgerrechtsgruppe "Repubblika" zog umgehend dagegen vor Gericht: Die Begründung für den Ausschluss sei ein Vorwand, da die allgemeinen Corona-Einschränkungen in Malta längst aufgehoben seien.
Regierungspartei bleibt, die Vorwürfe auch
Drinnen dann lobte Premierminister Robert Abela die Reformen, die seine Regierung in den letzten eineinhalb Jahren umgesetzt hat: "So wie der Staat heute funktioniert, ist er nicht wiederzuerkennen im Verhältnis zum Januar 2020." Damals hatte Abela, der wie sein Vorgänger Muscat der regierenden Labour Party angehört, das Amt angetreten. Später verteidigte der Regierungschef die Geschäftswelt in Malta, der in dem Untersuchungsbericht eine "zu große Nähe zur Regierung" vorgeworfen wird. Seine Minister, von denen elf auch der Vorgängerregierung angehört hatten, wehrten Fragen von Journalisten im Anschluss an die Sitzung weitgehend ab.
Der konservative Oppositionsführer Bernard Grech dagegen warf der Regierung vor, keinen echten Bruch mit der Vergangenheit vollzogen zu haben. "Labour verteidigt ihn noch immer, oder vielmehr hat zu viel Angst, Joseph Muscat nicht zu verteidigen", sagt Grech. Die Partei habe Daphne Caruana Galizia dämonisiert und "Verbrecher geschützt, wie ein Krake, der die volle Kontrolle über die Institutionen übernommen hat."
Familie fordert Konsequenzen
Am Tag nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes nahm die Familie der ermordeten Journalistin die Entschuldigung von Premierminister Abela an. Sohn Paul Caruana Galizia betonte, die Entschuldigung sei "dem ganzen Land geschuldet, das ein unglaubliches Trauma erlebt habe". Jetzt aber müsse es Konsequenzen geben: "Wir glauben, es sollte volle Verantwortlichkeit für jedes einzelne Versagen geben, wer immer die Person auch ist. Wir wissen, es gibt noch Leute, die für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden müssen, und wir werden nicht nachlassen."
Die Anwälte der Familie schilderten erneut ihren Kampf um die Einrichtung der Untersuchungskommission nach dem Mord, um ihre Unabhängigkeit und um ihre Aufgaben. Erst nach scharfer Kritik des Europarats und durch das Europäische Parlament hatte die Regierung 2019 einer unabhängigen Untersuchung zugestimmt.
Die Abgeordnete der maltesischen Oppositionspartei Partit Nazzjonalista Therese Comodini Cachia hat die Familie in dem Prozess als Anwältin vertreten. Jetzt erklärte sie, voranzugehen bedeute, "alle Empfehlungen des Berichtes und ihre Auswirkungen umzusetzen". An diesem Prozess solle ein unabhängiges Komitee von Experten und Journalisten teilnehmen. "Das ist nicht das, was der Premierminister heute im Parlament versprochen hat. Reformen müssen unabhängig und unparteiisch sein, um Versöhnung und ein Klima zu fördern, in dem Journalisten geschützt sind."
Schlacht gewonnen, Krieg geht weiter
"Ich glaube die Richter haben enormen Mut gezeigt", lobt der prominente Aktivist und Blogger Manuel Delia das Ergebnis der zweijährigen Untersuchung. Delia hat sich seit dem Tod seiner Kollegin dem Kampf um die Rechtsstaatlichkeit auf Malta verschrieben. Der Bericht sei eine gute Entwicklung, ein Sieg und zeige, dass es Menschen in den Institutionen gebe, die den notwendigen Wandel wollten. Unglücklicherweise seien sie nicht die Chefs, die Politiker die jetzt um ihr Überleben kämpften und deshalb an den korrupten Beziehungen festhalten müssten, die zum Tod von Daphne geführt hätten. "Es ist ein Sieg, aber ein Sieg in einem Kampf in einem sehr langen Krieg."
Delia und seine Mitstreiter fordern den Rücktritt aller Minister, die schon in der Vorgängerregierung waren. Die Labour Party bereite sich auf Neuwahlen im nächsten Jahr vor, sagt Delia: "Premier Abela, seine Regierung, seine Partei und das politische System in Malta kämpfen um ihr Überleben und haben die Absicht, in ihren Posten zu bleiben." So lange ihnen das gelingt, werde es keinen echten Wandel und keine grundsätzlichen Veränderungen geben.
Forderung nach einer neuen Republik
Der Bericht stelle auch zum ersten Mal fest, dass es korrupte Beziehungen zwischen Politikern, der Geschäftswelt und Kriminellen in den Institutionen des Staates gebe, meint Delia. "Die Untersuchung weist darauf hin, dass Malta ein Anti-Mafia-Gesetz braucht, etwas nach italienischem Vorbild." Es werde anerkannt, dass die Insel ein Mafia-Problem habe, ein Mafia-Staat sei, so Delia: "Ich glaube nicht, dass das Land jetzt plötzlich aufgewacht ist und das alles erkennt." Als Aktivisten fühle er sich verpflichtet, weiter für ein erneuertes Malta zu kämpfen.
Es sei ein wichtiges Ergebnis, dass der Staat seine Verantwortlichkeit für den Mord an Daphne Caruana Galizia anerkennt. "Das ist ein guter Augenblick in diesem langen Marsch, aber nichts kann uns zufriedenstellen außer eine echte 2. Republik, ein demokratischer Staat ohne den Einfluss des organisierten Verbrechens." Aber dahin sei es noch ein langer Weg, sagt Manuel Delia.