Mord oder Irrtum? Urteil für Pistorius
In Südafrika geht der Prozess gegen Oscar Pistorius zu Ende. Richterin Thokozile Masipa verliest ihr Urteil in einer für viele ungewohnten Reihenfolge: Erst die Begründung, dann der Richterspruch: Schuldig - oder nicht.
Starke Plädoyers
Anfang August haben Anklage und Verteidigung im Prozess gegen den südafrikanischen Sportstar ihre Plädoyers gehalten. Der Chefankläger Gerrie Nel erneuerte seinen Mordvorwurf, Verteidiger Barry Roux forderte Freispruch.
Schuldfähig oder nicht?
Um diese Frage beantworten zu können, war der Prozess für eine psychiatrische Untersuchung unterbrochen worden. Eine Zeugin hatte ausgesagt, Pistorius leide unter einer Angststörung. Dies könnte dazu beigetragen haben, dass er seine Freundin Reeva Steenkamp in der Nacht zum 14. Februar 2013 erschoss. Vier Ärzte im Weskoppies Psychiatric Hospital hatten Pistorius begutachtet.
Ein Tag in der Psychiatrie
Sie führten mehrstündige Interviews mit Pistorius, unterzogen ihn Persönlichkeits- und neuropsychologischen Tests. Hätte sich herausgestellt, dass der Sportler zum Tatzeitpunkt richtig und falsch nicht unterscheiden konnte, hätte er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen werden können. Der Prozess wäre vorbei gewesen. Aber die Ärzte bescheinigten dem Sportler, voll schuldfähig zu sein.
Der Mann, der Sportgeschichte schrieb
Mehrfach hatte der beidseitig beinamputierte Pistorius bei den Paralympics Gold im Sprint gewonnen. 2012 trat der "Blade Runner" dann bei den Olympischen Sommerspielen in London gegen nichtbehinderte Läufer an - und rannte als erster beinamputierter Athlet bis ins 400-Meter-Halbfinale. Ein umjubelter Erfolg. Doch nur ein Dreivierteljahr später folgt der Absturz.
Steenkamp tot, Pistorius verhaftet
In der Nacht zum 14. Februar 2013 tötet Pistorius seine Freundin Reeva Steenkamp mit mehreren Schüssen. Die Staatsanwaltschaft spricht von vorsätzlichem Mord - die Verteidigung von einer tragischen Verwechslung. Pistorius beteuert seine Unschuld: Er habe seine Freundin versehentlich durch die geschlossene Toilettentür seines Hauses erschossen, weil er dachte, sie sei ein Einbrecher.
Das Model und der Sprinter
Zum Zeitpunkt ihres Todes waren Reeva Steenkamp und Oscar Pistorius erst seit wenigen Monaten ein Paar - aber eines mit hohem Glamour-Faktor: Er galt als Südafrikas heißester Star, auch die 29-Jährige wurde regelmäßig unter die "100 sexiest women" gewählt. Ganz harmonisch war ihre Beziehung jedoch wohl nicht. So schrieb Steenkamp Pistorius etwa per SMS: "Ich habe manchmal Angst vor Dir."
Zusammenbruch vor Gericht
Am 3. März 2014 beginnt der Prozess gegen Pistorius in Pretoria. Unter Tränen beteuert der 27-Jährige abermals seine Unschuld. Bei der Aussage des Pathologen, der Steenkamps Leiche obduziert hat, bricht Pistorius zusammen und übergibt sich. In der Vergangenheit trat er allerdings auch weniger zart besaitet auf: Zeugen berichten von Wutanfällen, Schießereien, Untreue.
Im Kreuzverhör
Punkte, um die es Staatsanwalt Gerrie Nel auch im Kreuzverhör geht. Er kommt zu dem Schluss: "Sie haben Reeva erniedrigt. Sie hatte Angst vor Ihnen." In seiner Befragung treibt Nel Pistorius in die Enge, zeigt Widersprüche auf. Pistorius bricht abermals zusammen, die Richterin vertagt - und ermahnt den Staatsanwalt ob seiner Wortwahl.
Entlastung durch die Nachbarn
Anfang Mai werden Pistorius' Nachbarn befragt - und stützen seine Darstellung der Ereignisse. Keiner habe Schreie einer Frau gehört. "Er schrie, er weinte, er betete", erzählt ein Mann. Auch die Sozialarbeiterin Yvette van Schalkwyk, die Pistorius in der Todesnacht betreute, sagt: "Ich sah einen gebrochenen Mann, der emotional litt." Pistorius habe in der Polizeizelle "tieftraurig" gewirkt.
Wut und Misstrauen
Steenkamps Mutter June verfolgt jeden Prozesstag im Gericht. Bei ihr, der Familie und Freunden der Toten bittet Pistorius in seiner Aussage um Entschuldigung. Er bezeichnet die tödlichen Schüsse als "Tragödie". Immer wieder bricht er zusammen, weint, muss sich übergeben. Die Angehörigen des Opfers misstrauen solchen Auftritten: Pistorius sei ein widerlicher Lügner, sagt Steenkamps Schwester.
Live-Übertragung bis zu Schluss
Begleitet wurde der Prozess von Anfang an von großem medialem Getöse: Erstmals ist ein Mordprozess in Südafrika weitgehend live im Fernsehen zu sehen. Nur Aussagen des Angeklagten und von Zeugen werden ausschließlich per Audio übertragen. Mit dem Urteilsspruch folgt jetzt der letzte Akt.