Glyphosat: Viel Gemauschele um eigene Interessen
23. März 2017Deutsche Welle: Herr Burtscher, Sie haben eine Untersuchung veröffentlicht, bei der es um die Frage geht, wer eigentlich die Forschung über das Totalherbizid Glyphosat bestimmt. Was ist dabei herausgekommen?
Helmut Burtscher: Die neue Gesetzeslage in Europa verlangt erstmals, dass auch unabhängige Literatur und Forschung im Zulassungsverfahren [von Chemikalien] berücksichtigt wird. Wir haben nun festgestellt, dass die Hersteller - an vorderster Stelle Monsanto - darauf so reagiert haben, dass sie selber unabhängige Forschung produziert haben. Dafür haben sie Wissenschaftler eingestellt und bezahlt.
Durch Emails, die in den USA veröffentlicht worden sind, wurde belegt, dass sie sogar darüber nachgedacht haben - und es offensichtlich auch in manchen Fällen getan haben - Wissenschaftler dafür zu bezahlen, dass sie ihren Namen unter "unabhängige", von Monsanto geschriebene Studien, setzen.
Diese flossen dann in den Zulassungsprozess in den USA und in der EU ein und wurden von den Behörden dankbar aufgegriffen, um kritische Studien vom Tisch zu fegen. Das waren Studien, die für die Zulassung von Glyphosat ungünstig waren, weil sie krebserregende oder Erbsubstanz-schädigende Wirkungen gezeigt haben.
Wenn die Europäische Chemikalien Agentur (ECHA) entscheidet, welche Bewertung sie für eine Chemikalie abzugeben hat, zieht sie natürlich mehrere Studien zu Rate. Aber es sollte ja keine Quantitäts-Entscheidung sein, nach dem Muster: Ich lege die kritischen Studien auf einen Haufen und die Entlastenden auf einen anderen und dann schaue ich mal, welcher von den beiden höher ist…
Es wird keiner sagen: "Ja so ist es." An sich sollten die Behörden und auch die Wissenschaftler eine gewichtete Wertung der wissenschaftlichen Beweise vornehmen. Sie sollten ohne Vorurteile vorgehen und versuchen, das Gesamtbild zu erfassen. Das ist aber im europäischen Zulassungsverfahren nicht passiert. Auch wenn die Behörden und Industrie-Wissenschaftler immer vorgegeben haben, das zu tun, haben sie das in Wirklichkeit vermieden.
Vielmehr haben sie die einzelnen Beweisstränge auseinandergeflochten, die sagen: Glyphosat hat krebserregende Eigenschaften. Dann haben sie diese in Teilbeweise zerlegt und jeden einzelnen davon für sich genommen und als Zufallsergebnis verworfen. Auf diese Art und Weise konnten die Behörden dann schlussfolgern: Glyphosat ist nicht krebserregend. Alles was übrig geblieben ist, waren die Industriestudien, und die haben das natürlich immer gesagt.
In der Wissenschaft gilt, dass Studien immer replizierbar - also durch Wiederholung nachprüfbar - sein müssen. Eigentlich sollte da eine Transparenz herrschen. Sie werden von anderen Forschern geprüft ("peer review") und erfüllen festgelegte wissenschaftliche Ansprüche. Wie ist es möglich, den Dreh einer Studie so zu ändern, dass die Kernaussage günstig oder ungünstig erscheint.
So funktioniert Wissenschaft. Aber genau gegenteilig funktionieren regulatorische Studien [Studien die dazu dienen, Gesetzestexte zu begründen]. Sie werden nicht veröffentlicht. Die [Giftigkeits-] Studien mit Mäusen und Ratten aber auch die Studien zur Erbgutschädigung macht Monsanto selber oder lässt sie von Vertragslabors machen, erklärt sie zum Firmengeheimnis und reicht sie bei der Behörde ein. Da gibt es keinen dritten Wissenschaftler, der einen Blick drauf werfen und sagen kann: "Moment, aber so kann das nicht funktionieren!"
Und damit sind diese Studien dann draußen und man kann nur hoffen, dass sich eine Behörde die Studien genauer anschaut. Wie wir jetzt wissen, hat aber das Deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung BfR genau das nicht getan. Es hat jene Studien, die signifikante dosisabhängige Zunahmen von Tumoren - Nierenkrebs und Krebs der Blutgefäße - konstatierten, so interpretiert, dass es keine Hinweise auf eine krebserregende Wirkung gebe.
Die WHO-Krebsforschungsagentur (IARC) hatte genau diese Studien aus den 1980er und 1990er Jahren zur Grundlage ihrer Bewertung gemacht, dass Glyphosat "wahrscheinlich krebserregend" sei.
Als das BfR mit der Frage konfrontiert wurde, wie es zu einer ganz anderen Bewertung kommt als die IARC, musste das Institut zugeben, dass es auf die in den Herstellerstudien mitgelieferten statistischen Auswertungen vertraut hatte. Wenn man sich aber diese statistischen Auswertungen anschaut, haben die nicht den OECD - Maßstäben entsprochen, die überall gelten und die auch ganz klar sagen, wie man so eine Studie auszuwerten hat.
Sie haben einen statistischen Test hergenommen, der unter dem erforderlichen Signifikanz-Niveau ein Ergebnis ausspuckt und damit gesagt: "Diese Studie zeigt: Es ist eine zufällige Krebsverteilung." Das war es aber nicht, denn in allen Studien geht die Tumorzahl nach oben.
Zahlreiche Behörden haben sich der Einschätzung, dass Glyphosat nicht krebserregend sei angeschlossen: Neben dem BfR ist es die ECHA aber auch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA und die entsprechenden US-Behörden. Die IARC steht dagegen recht einsam da. Wie kommt es dazu?
Das ist auch das liebste Argument von Monsanto, das sie immer wieder ins Rennen führen: Dass alle Behörden dieser Welt - sei es in Kanada, Japan, den USA oder Europa - immer wieder sagen: "Glyphosat ist nicht krebserregend." Und dann kommt die IARC und sagt: "Es ist krebserregend. Wer hat da wohl recht?"
Tatsächlich ist es aber so, dass alle Behörden dieser Welt die Studien von Monsanto oder anderen Herstellern bekommen. Und sie bekommen die Schlussfolgerungen gleich mitgeliefert. Die Studien werden nicht nur von Monsanto bezahlt und teilweise selber durchgeführt. Auch die Studienberichte schreibt Monsanto. Und dann dürfte die Industrie es geschafft haben, sich in allen Teilen der Welt relevante Behörden zum Freund gemacht zu haben.
Und dann ist es auch noch so, dass man dem deutschen BfR den großen Vorwurf machen muss, dass es auch die Öffentlichkeit in die Irre geführt hat, indem es sagt: "Schauen sie: Wir haben es festgestellt und auch andere Behörden haben es festgestellt."
Wenn man aber genauer hinschaut, erkennt man, dass in all diesen Behörden das BfR federführend vertreten war. So hat das BfR nicht nur die erste Bewertung in Europa gemacht - in den 90er Jahren - sondern hat auch über die Lebensmittelbehörde der Europäischen Kommission die eigene Bewertung von früher evaluiert.
Sogar die Personen waren die selben. Und sie haben dann 2004 einen Bewertungsvorschlag für ein Untergremium zu Pestizid-Rückständen (joint meeting on pesticide residues) des UN-Welternährungsprogramms FAO geschrieben. Das gleiche haben sie dann fünf Jahre später wieder gemacht und jetzt wieder aktuell im EU-Zulassungsverfahren. Sie sind also an verschiedensten Orten federführend bei der Bewertung von Glyphosat.
Übrigens, das "joint meeting on pesticide residues" ist eines der intransparentesten Gremien, das mir bekannt ist, und es hat - zugespitzt gesagt - noch jedem Pestizid den Persilschein ausgestellt. Sie waren jedenfalls immer sehr schnell, wenn es darum ging, Zweifel an der Sicherheit von Pestiziden zu zerstreuen.
Wie steht es denn um die Studien, die Glyphosat eine krebserregende Wirkung bescheinigen - gibt es da ein klares Bild? Wissenschaft soll ja objektiv sein - es kann ja eigentlich nicht sein, dass sie zwei widersprüchliche Wahrheitswelten aufbaut.
Es gibt in der Wissenschaft immer Diskussionen und eine Orientierung der Wahrheitsfindung. Und es gibt auch immer einen Wettbewerb der Ideen und der Erklärungsversuche. Aber zu etwas so einfachen, wie einen OECD normierten Versuch mit Mäusen, den man schon in den 1970er Jahren gemacht hat - kommt da jetzt ein positives Ergebnis heraus, oder nicht - kann es keinen Expertenstreit geben. Dieser scheinbare Expertenstreit zu Glyphosat passiert nur, weil die Ergebnisse nicht zu den Interessen der Industrie passen.
Was die Datenlage betrifft, hat die WHO gesagt: Glyphosat ist wahrscheinlich beim Menschen krebserregend, weil es begrenzte Beweise beim Menschen aus epidemiologischen Studien gibt. Es gibt eine Art von Lyphdrüsenkarzinom, das in allen Fallstudien beim Menschen, die mit Glyphosat gearbeitet haben, als erhöht berichtet wurde. Im Durchschnittlich um einen Faktor 1,4 bis 1,5.
Das sind nur begrenzte Beweise, weil es in der Natur der Studien liegt. Man versucht durch Abfragen auch alle anderen möglichen Einfluss-Faktoren mitzubekommen, aber das wird nie funktionieren: Gerade Landwirte, die mit Glyphosat arbeiten, arbeiten auch mit anderen Pestiziden. Damit ist die Kausalität nicht restlos bewiesen.
Aber auch beim Tierversuch gibt es - so die WHO - ausreichende Beweise. Das heißt, die Forscher der WHO haben keinen Zweifel daran, dass Glyphosat im Tierversuch Krebs erzeugt hat - und den habe ich auch nicht.
Das Interview führte Fabian Schmidt
Der Biochemiker Dr. Helmut Burtscher arbeitet als Umweltchemiker bei der Initiative Global2000. Dort beschäftigt er sich seit 15 Jahren mit den toxikologischen Auswirkungen von Pestiziden und anderen Chemikalien auf die Umwelt und den Menschen.