Mladic wird zu Kriegsverbrechen befragt
27. Mai 2011Ein alter Mann mit Mütze und Stock geht Schritt für Schritt durch einen Flur. Umgeben wird er von vier serbischen Polizisten, die ihn aufmunternd anschauen. Ganz nach dem Motto: "Du schaffst das schon, Alterchen." Nur langsam nähert er sich der Gefängnistür, die sich auf ungewisse Zeit hinter ihm schließt.
Erste Vernehmung gescheitert
Diese Fernsehbilder sind die ersten Aufnahmen des mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic seit rund 15 Jahren. Am Donnerstagmorgen war der so genannte "Schlächter von Srebrenica" in dem Dorf Lazarevo im Nordosten Serbiens nahe der rumänischen Grenze festgenommen worden. Mittags verkündete der serbische Staatschef Boris Tadic dann die von der ganzen Welt lange geforderte Festnahme. Seit 1996 wird Mladic mit internationalem Haftbefehl gesucht. Zuletzt war in Serbien ein Kopfgeld von zehn Millionen Euro ausgesetzt, die USA hatten zusätzliche fünf Millionen Dollar für seine Ergreifung ausgelobt. Jetzt soll ihm vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag der Prozess gemacht werden.
Die Anklage, die in Abwesenheit erfolgte, lautet auf Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Kriegs (1992-1995). Mladic soll für den Tod von rund 18.000 Menschen verantwortlich sein. So wird ihm die blutige Belagerung Sarajevos mit rund 10.000 Toten angelastet. Außerdem soll er Mitschuld daran tragen, dass im Sommer 1995 serbische Soldaten nach der Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica in Bosnien rund 8000 muslimische Männer und Jugendliche ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden.
Mladic antwortet nicht auf Fragen des Untersuchungsrichters
Doch zunächst soll Mladic in Belgrad von den Behörden vernommen werden. Am Donnerstag erschien er vor Gericht, wo er sich zur Anklage des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag äußern sollte. Doch die Vernehmung wurde schon nach kurzer Zeit beendet. Der 68-Jährige habe gesundheitliche Probleme. Mladic sei "psychisch und körperlich" in schlechter Verfassung und habe daher nicht mit dem Gericht kommunizieren können, sagte sein Anwalt Milos Saljic.
Auf die Fragen des Untersuchungsrichters habe er nicht antworten können. Er spreche unzusammenhängend. "Ratko sollte nicht nach Den Haag gebracht werden, weil er sehr krank ist", erklärte Saljic weiter. Mladic habe deutlich gemacht, dass er die Rechtmäßigkeit des UN-Kriegsverbrechertribunals, an das er ausgeliefert werden soll, nicht anerkenne. In Sicherheitskreisen hieß es, Mladic habe einen Schlaganfall erlitten, in dessen Folge eine Hand steif geblieben sei.
Die Staatsanwaltschaft bezeichnete Mladics angebliche Gebrechlichkeit als Teil seiner Verteidigungstaktik. In einem Interview mit dem Staatsfernsehen RTS beschrieb Behördensprecher Bruno Vekaric den 68-Jährigen als Mann, der seine Lage sehr wohl einschätzen und am Verfahren teilnehmen könne.
Auslieferung nicht vor Montag
Staatsanwalt Vekaric kündigte an, dass die Vernehmung am Freitag (27.05.2011) fortgesetzt würde. Sofern es der gesundheitliche Zustand zulässt, rechnet das Justizministerium in Belgrad damit, dass er frühestens am kommenden Montag, spätestens am darauffolgenden Mittwoch nach Den Haag gebracht werden könnte. Dort sitzt schon Mladics ehemaliger "Vorgesetzter", Serbenführer Radovan Karadzic, seit seiner Festnahme 2008 ein. Karadzic hatte jahrelang in Belgrad als Kräuterdoktor und esoterischer Heilpraktiker unter falschem Namen gelebt.
Der UN-Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) warnte vor einer Vorverurteilung Mladics. "Obwohl ihm schwerste Verbrechen vorgeworfen werden, gilt Mladic, wie alle anderen Angeklagten vor dem Tribunal, als unschuldig bis eine Schuld bewiesen ist“, heißt es in einer Stellungnahme des ICTY.
EU-Beitritt als Gegenleistung?
Die jahrelang ausbleibende Festnahme Mladics galt als eines der größten Hindernisse bei den Bemühungen Belgrads um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Entsprechend stellte Serbiens Präsident Tadic klar, dass Belgrad nun als Gegenleistung für die Verhaftung von Mladic einen zügigen EU-Beitritt erwarte. "Ich hoffe, dass jetzt die Türen offen stehen", sagte der Präsident im Rahmen der Pressekonferenz zur Bekanntgabe der Festnahme Mladics.
EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle sagte in Brüssel, mit der Festnahme Mladics habe Serbien ein "großes Hindernis" auf dem Weg in die EU beseitigt. Der ehemalige Bosnien-Beauftragte Christian Schwarz-Schilling argwöhnte dagegen, Mladic sei die ganzen Jahre von den serbischen Behörden unterstützt worden. "Das wäre ohne ein Netzwerk innerhalb der serbischen Autoritäten nicht möglich gewesen", sagte der CDU-Politiker der "Mitteldeutschen Zeitung" (Freitagsausgabe).
"Großer Moment auch für die Opfer"
Die EU und die USA lobten Serbien für die Verhaftung. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Festnahme Mladics am Rande des Treffens der acht großen Industriestaaten (G8) im französischen Deauville als "eine gute Nachricht, nicht nur für Bosnien und Herzegowina, sondern auch für Serbien, den Westbalkan und damit für ganz Europa". Die Verhaftung des Ex-Kommandeurs der bosnisch-serbischen Armee sei "längst überfällig" gewesen.
US-Präsident Barack Obama sagte in Deauville, Mladic habe "die systematische Hinrichtung von rund 8000 unbewaffneten Männern und Jungen in Srebrenica angeordnet, heute ist er hinter Gittern". Er müsse zügig vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden. "Auch wenn die Ermordeten dadurch nicht wieder lebendig werden, Mladic wird nun den Opfern und der Welt und dem Gericht Rede und Antwort stehen müssen."
Die frühere Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, sprach im Schweizer Rundfunk von einem "großen Moment nicht nur für die internationale Justiz und das Tribunal, sondern auch für die Opfer". Und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einem "historischen Tag für die internationale Justiz".
Autorin: Marion Linnenbrink (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot