Mit Zwangsarbeit zum Großereignis
9. Februar 2015In Mesaieed, etwa 40 Kilometer südlich von Doha, liegt derzeit das Rohmaterial, aus dem die acht oder zwölf WM-Stadien - über die Anzahl wird Ende des Monats die FIFA gemeinsam mit den Gastgebern entscheiden - gebaut oder rekonstruiert werden. "Acht Millionen Tonnen Sand liegen hier", sagt A., ein Ingenieur der Qatar Primary Materials Company (QPMC), und verweist auf die grauen Berge gewaschenen Sands, die sich hinter dem Zaun erstrecken. Der Sand ist ein Grundbestandteil des Betons, aus dem die Stadien gefertigt werden. Extra für das WM-Infrastrukturprogramm vergrößerte QPMC seine Produktionskapazität.
Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Fahrer der Bagger und Lastwagen besitzt in dem Unternehmen mit der Monopolstellung allerdings nur geringe Priorität. Zwar hat auch QPMC aufgrund des weltweiten Drucks auf Katar wegen der beklagenswerten Zustände seines migrantischen Arbeitsheers ein paar neue Bestimmungen eingeführt. "Sie haben jetzt eine Arbeitszeit von acht Stunden pro Tag festgelegt. Sie haben aber auch gesagt, dass Überstunden bis hin zu zwölf, im Einzelfall bis 15 Stunden pro Tag erlaubt sind, wenn andernfalls das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht wird. Was machen sie in dieser Situation? Sie sagen natürlich immer, dass sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten würden, wenn wir keine Überstunden machen. Von vier, fünf Überstunden pro Tag bezahlen sie den Arbeitern aber nur zwei", erzählt A., der wegen der Turbulenzen des arabischen Frühlings seine Heimat verließ und in Katar anheuerte. Seinen Namen und seine Nationalität will er aus Angst vor Repressionen nicht nennen. "Lieber nicht", sagt der muskulöse Mann, der zudem beklagt, dass auch für ihn, einen Mann mit abgeschlossenem Studium, die üblichen, Fronarbeits-ähnlichen Zustände gelten. "Ich habe einen Vertrag von fünf Jahren. Ich komme da aber vorher nicht raus und kann auch nicht meinen Arbeitgeber wechseln", klagt er.
Moloch Industrial Area
Was er erzählt, deckt sich mit Berichten von Amnesty International, Human Rights Watch und dem Gewerkschaftsdachverband ITUC. Arbeiter haben keine freie Arbeitsplatzwahl. Ihre Löhne werden oft spät und zum Teil unvollständig ausgezahlt. "Sie machen es so: Wenn dein Visum ausläuft und du nach Hause musst, zahlen sie dir einfach den Rest deines Lohns nicht", erzählt Nabin, ein Bauarbeiter aus Nepal, den DW im Industrial Area von Doha trifft. Das ist ein etwa 8 x 8 km umfassendes Gebiet am Rande der Hauptstadt, das in Ost-Westausrichtung von 52 Straßen durchschnitten wird, die noch immer nur Nummern tragen anstatt Namen. Warenhäuser, Industrieanlagen und Wohnheime sind in dieser Schachbrett-förmigen Großanlage munter durcheinander gewürfelt. Oft wohnen die Arbeiter auch in den Industrieanlagen selbst.
Nurdeen, ein Rohrleger aus Bangladesch, teilt sich in einem Lagerhaus mit neun Landsleuten einen Raum. "Fünf Doppelstockbetten, nur eine Lampe, kein Fenster. Du willst das nicht wirklich sehen", meint er nur. Nurdeen ist mit einem sogenannten freien Visum da. Es kostete ihn 25.000 Rupien, etwa 350 Euro und damit das Doppelte des normalen Visums. Um das Geld zu haben für das Visum und den Flug, verkaufte Nurdeens Vater ein Reisfeld. Beide hielten es zumindest anfangs für eine gute Transaktion. "Mit einem freien Visum kannst du 2000 Rial im Monat machen, mit einem, das dir dein Arbeitgeber besorgt, nur 1.000 Rial", rechnet er vor. 1.000 Rial sind etwa 250 Euro. Allerdings: Von den neun Monaten, die er bislang in Katar verbracht hat, hat er nur für vier Monate Arbeit gefunden. Und dabei noch die Erfahrung der Ausbeutung untereinander gemacht. "Der katarische Arbeitgeber zahlte wirklich 2.000 Rial. Der Vorarbeiter, der mir den Job vermittelt hat, strich aber 1.000 Rial ein", meint Nurdeen. Dennoch geht er gleichmütig Tag für Tag auf den Tagelöhnermarkt in der Innenstadt Dohas, nur einen Steinwurf vom wundervoll hergerichteten Souk Waqif mit kleinen Cafes und Läden entfernt, und hofft auf einen neuen Job.
Nurdeen weiß, warum er das Risiko mit den sogenannten freien Visas auf dem Graumarkt der Dokumentenbeschaffung eingegangen ist. Wer sich regulär rekrutieren lässt, zahlt zwar weniger für ein Visum, muss sich für die Rekrutierungsgebühr aber verschulden.
Der Fluch der Rekrutierungsgebühr
Nabin, der Bauarbeiter aus Nepal, hat eine Million nepalesischer Rupien als Rekrutierungsgebühr bezahlt. Das sind knapp 9.000 Euro. Er verdient im Monat mit Überstunden 1.300 Rial - ein durchaus üblicher Tarif, deutlich über dem Mindestlohn von 900 Rial, den Nepal für seine ins Ausland geschickten Arbeiter gesetzlich festschreiben ließ. Allerdings: Nur um die Rekrutierungsgebühr abzuzahlen, müsste Nabin theoretisch 28 Monate arbeiten - und dabei nicht krank werden, immer Überstunden haben und diese auch bezahlt bekommen. Wenigstens Letzteres passiert momentan. "Mein australischer Vorarbeiter achtet darauf. Ein guter Mann", sagt Nabin und zeigt mit dem Daumen nach oben.
Wenn es anders wäre, könnte er das auch nicht ändern. Keine Chance, Geld einzuklagen, wenn der Arbeitgeber nicht zahlt, wie es Nabin bei früheren Engagements passierte. "Wohin sollten die Leute auch gehen? Zur Personalstelle im Unternehmen? Zum Nationalen Komitee für Menschenrechte? Es bringt doch alles nichts", ist A., der Ingenieur vom Sandproduzenten für die Stadien, überzeugt. Die Realität gibt ihm Recht. "Die Arbeiter haben nur unzureichend Möglichkeiten, Beschwerden einzureichen. Das Nationale Komitee für Menschenrechte nimmt sie an. Aber es passiert kaum etwas. Katar setzt mittlerweile Arbeitsinspektoren ein. Aber es sind zu wenig. Und ihre Eingriffsmöglichkeiten sind gering", erzählt Nicholas McGeehan, Experte für die Golfregion von Human Rights Watch. Als im November letzten Jahres etwa 600 nepalesische Arbeiter zum letzten Mittel griffen und streikten, reagierten die katarischen Behörden mit der Ausweisung von mehr als 100 von ihnen. Wo der Rest gelandet ist, wissen nicht einmal die Lokaljournalisten, die diese Geschichte verfolgten. Die nepalesische Botschaft reagierte gar nicht auf Anfragen.
Die harte Hand Katars, verbunden mit der Tatsache, dass man bei einer Ausweisung erst recht nicht die Gebühren wieder zurückerstatten kann, führt dazu, dass die meisten Arbeiter lieber still halten und nur untereinander oder gegenüber Journalisten murren.
"Sie sind gefangen in einem System der Zwangsarbeit", kritisiert Human Rights Watch-Experte McGeehan im Gespräch mit DW die Situation. "Die einzelnen Probleme sind an sich schon gravierend. Aber zusammen wirken sie toxisch. Denn sie ergänzen und verstärken sich gegenseitig", analysiert McGeehan.
Die WM als Motor der Veränderung?
Immerhin sieht er in seinem inzwischen mehrjährigen Engagement Fortschritte: "Die staatliche Qatar Foundation und das Supreme Committee (die Ausrichterorganisation für die WM) haben sich ethischen Standards verpflichtet, die Vermittlungsgebühren und Lohndumping verbieten. Der Staat hat neue Gesetze angekündigt, die die Ausreise und einen Arbeitgeberwechsel zumindest nach Auslaufen des Vertrags ermöglichen. Es ist auch positiv, dass Journalisten und Nichtregierungsorganisationen nach Katar kommen und das Thema bearbeiten können. Wir haben Zugang zu den Ministerien, wir haben Zugang zu den Arbeitercamps. Wir können insgesamt mehr machen als in allen anderen Ländern der Region." In Dubai etwa steht McGeehan wegen seiner Arbeit auf einer schwarzen Liste und darf nicht einreisen.
Damit Katar diese im Mai versprochenen Reformen auch umsetzt, bedarf es nach Ansicht von Human Rights Watch des weiteren öffentlichen Drucks. Und auch des Drucks der westlichen Regierungen. "Sie können ihre Unternehmen hier doch nicht allein lassen; die sind in der schwierigen Lage, möglicherweise Aufträge auf diesem lukrativen Markt zu verlieren, wenn sie die Sozialstandards, nach denen sie in ihren Heimatländern arbeiten, hier durchsetzen wollen", erläutert McGeehan.
Er hofft darauf, dass die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit wegen der WM zu größeren Veränderungen in Katar und in der gesamten Golfregion führt. Denn auch in den Nachbaremiraten herrschen ähnliche Bedingungen für Arbeitsmigranten. Nur wird dort eben nicht an einer Fußball-WM gewerkelt.
Ein Fußballfeld übrigens sucht man in den Wohn- und Arbeitssiedlungen der etwa 1,8 Millionen Arbeitsmigranten im Lande des WM-Ausrichters vergebens. Zwar gibt es exzellente Sportanlagen wie etwa die Aspire Academy, wo Großvereine wie der FC Bayern München regelmäßig ihr Winterquartier aufschlagen. Für die Arbeiter aber gibt es keine Ablenkung. "Katar ist deprimierend. Hier kannst du nur arbeiten, essen und schlafen. Du darfst nicht tanzen, nicht singen, keinen Alkohol trinken. Das ist kein freies Land", meint Nabin, der Arbeiter aus Nepal, und widmet sich seiner einzigen Freude hier: einem Curryhuhn aus der Bräterei um die Ecke. Wer will in Stadien sitzen, deren Beton die Wut, die Verzweiflung und die Resignation ihrer Erbauer aufgesogen hat?