Viren gegen Krebs
8. März 2014Viren können Krebszellen gezielt infizieren und sich in ihnen vermehren. Wissenschaftler sprechen dabei von Onkolyse. "Durch die Vermehrung dieser Viren werden die Krebszellen zerstört und platzen auf", erklärt Ulrich Lauer vom Universitätsklinikum Tübingen.
Das Prinzip ist schon seit über hundert Jahren bekannt. Immer wieder habe man Patienten beobachtet, die einen äußerlich sichtbaren Krebs gehabt hätten und zufällig gleichzeitig auch eine Virusinfektion, sagt Lauer. "Parallel zu dieser Virusinfektion ist der Tumor geschrumpft und zum Teil ganz verschwunden." In einem Projekt der Universitätsklinik Tübingen und dem Paul-Ehrlich-Institut haben Forscher jetzt onkolytische Masern-Impfviren erzeugt und untersucht. Finanziert haben die Arbeit das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Der Schlüssel zum Eintritt in die Zelle
Als Grundlage dienten Viren, mit denen Kleinkinder gegen Masern geimpft werden. Die Forscher wollten herausfinden, wie sie die Viren modifizieren können und müssen, um damit Krebszellen möglichst effektiv zu bekämpfen. "Wir haben etwas versucht, was vor uns noch keine andere Arbeitsgruppe gemacht hat", erklärt Christian Buchholz vom Paul-Ehrlich-Institut. "Wir haben die Viren so verändert, dass sie spezifisch auf bestimmte, sogenannte Tumorstammzellen wirken."
Der erste Schritt bei einer Infektion ist immer der Zelleintritt. "Dazu brauchen die Viren einen Rezeptor, an den sie anbinden können, der ihnen gewissermaßen die Tür in die Zelle hinein öffnet. Wir haben die Viren so modifiziert, dass sie anstelle des natürlichen Rezeptors nun einen Rezeptor nutzen, der auf Tumorstammzellen und Blutstammzellen vorhanden ist." Dadurch infizieren diese Viren nur die Tumorstammzellen und zerstören sie. Es bilden sich weitere Viren. Die breiten sich aus und können dann wieder weitere Tumorzellen angreifen.
Stammzellen, die für die Bildung von Blutzellen zuständig sind, werden nach bisherigen Erkenntnissen der Forscher von den modifizierten Masern-Viren nicht attackiert. Der Grund: Diese Zellen verfügen über eine angeborene Immunität. Die schützt sie vor einem Angriff durch Masern-Impfviren. In Tumorzellen aber ist diese Immunität oft defekt. Es ist also einfach für die Viren einzudringen. Forscher gehen davon aus, dass der Einsatz von modifizierten Masern-Viren genau so sicher ist wie die Impfung gegen Masern, die seit Jahrzehnten verabreicht wird.
Modifizierte Viren
Modifiziert werden die Viren mit einem gentechnischen Verfahren. Wissenschaftler kennen von allen bekannten Viren die wesentlichen Erbinformationen und können sie verändern. "Eine der häufigsten Modifikationen besteht darin, sogenannte Marker-Gene in das Viruserbgut einzubauen", erklärt Lauer. Marker-Gene werden nach einer Infektion in Marker-Eiweiße umgewandelt. Die geben Signale, die man unter dem Mikroskop sehen oder im Blut messen kann. "Man weiß dann immer genau, ob ein Virus im Körper eines Patienten ist. In welcher Menge ist es vorhanden? Und über welchen Zeitraum ist es bereits im Körper?"
Man kann die Viren auch zusätzlich mit so genannten Suizid-Genen bestücken. Dadurch werden in den infizierten Tumorzellen künstlich zusätzliche Eiweißstoffe hergestellt. Sie verstärken die Abtötung der Tumorzellen und führen auch dann zum Tod der Tumorzellen, wenn deren Infektion nur auf niedrigem Niveau stattfindet. Ein weiterer Ansatz besteht darin, zusätzliche Gene in die Viren zu packen, welche das Immunsystem gegen Krebszellen stimulieren können. "All diese Modifikationen sollen die Effizienz der Viren verstärken und die Viren besser überwachen", sagt Lauer.
Bei Patienten, die in der Kindheit gegen Masern geimpft wurden und diesem Virus erneut ausgesetzt werden, nachdem eine Krebserkrankung ausgebrochen ist, wird die Immunantwort deutlich stimuliert. Löst das Virus nun eine Krebszelle auf, setzt sie nicht nur die Virusbestandteile frei, sondern gleichzeitig auch sehr viele Tumorbestandteile.
Dieses Gemisch wirkt sehr stark stimulierend auf das Immunsystem. Das erkenne dann nicht nur Virusproteine gut, sondern eben auch die Proteinstoffe der Krebszellen, so Lauer. "Der positive Effekt ist die Stärkung, die Stimulierung des Immunsystems gegen Krebszellen. Wenn eine Impfung vorliegt, kann es aber auch sein, dass eine Virusgabe gegen Krebs abgefangen wird und die Krebszellen gar nicht erst erreicht. Um diese Fragestellung zu überprüfen, werden in den klinischen Studien Dosissteigerungen vorgenommen." Möglicherweise könne man mit einer hohen Dosis an Viruspartikeln diese erste Schwelle der Immunantwort gewissermaßen überspringen.
Gibt es Risiken?
Patienten, die bereits mit onkolytischen Viren behandelt werden, sind laut Lauer hauptsächlich Menschen, die bereits Strahlentherapien und multiple Chemotherapien hinter sich gebracht haben. "Man hat bisher noch keine Gefährdungen beobachtet, die direkt durch das Virus hervorgerufen wurden. Natürlich steckt das Ganze noch in den Anfangsstadien der Forschung", erläutert Lauer.
Die Studien, die im Moment mit Krebspatienten laufen, seien im Wesentlichen darauf ausgerichtet, auch mögliche Gefährdungen zu erfassen. "Man muss überprüfen, inwieweit solche Viren ausgeschieden werden und möglicherweise für das medizinische Personal oder Dritte, zum Beispiel für Familienangehörige eine Gefährdung darstellen", sagt Lauer. "Bisher hat man so etwas nicht gefunden, aber es wird laufend geprüft."
Seit April 2012 behandelt Lauer im Universitätsklinikum Tübingen Patientinnen und Patienten mit nicht operablem Bauchfellkrebs. Er bringt genetisch veränderte Pocken-Impfviren direkt in die Bauchhöhle ein. So sollen sie auf möglichst schnellem und geradem Weg zum Tumor gelangen. Lauer ist überzeugt, dass Viren in der Zukunft eine wichtige Rolle in der Krebstherapie spielen werden.