Mit Schwung für Europa
9. Januar 2006Bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und den Kommissionsmitgliedern in Wien sagte Schüssel, Schwerpunkte seines bis Juni andauernden EU-Vorsitzes seien die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Wiederbelebung der Verfassungsdebatte. Zu neuen Erweiterungsrunden sagte Schüssel: "Wir dürfen Europa nicht überfordern."
"Das vergangene Jahr war nicht unbedingt das glücklichste Jahr", sagte Schüssel mit Blick auf die negativen Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden und dem Finanzstreit, der erst im Dezember gelöst worden war. "Wir müssen in diesem Jahr Europa neuen Schwung geben." Auch wenn die Verfassung "nicht tot" sei, werde es nach Schüssels Worten "schwer" sein, die EU-Verfassung wiederzubeleben. Seine Präsidentschaft wolle aber Mosaiksteine dazu beitragen.
Diskussion über das europäische Lebensmodell
Im Juni wollen die EU-Staats- und Regierungschefs entscheiden, wie es mit dem neuen Vertrag weitergehen soll. Schüssel sagte, er könne der Entscheidung jetzt nicht vorgreifen. Erforderlich sei "eine breite Diskussion" auch über das europäische Lebensmodell insgesamt. Nach seiner Meinung dürfe es dabei nicht um ein Kerneuropa gehen. "Wir müssen die Energien aller nutzen". Vor allem die Bürger müssten an der Debatte beteiligt werden. Die EU-Kommission müsse dabei helfen, "das europäische Zukunftsmodell mit Leben zu erfüllen". Auch Barroso betonte: "2006 kann und muss das Jahr für neuen Schwung für Europa werden."
Der EU-Gipfel im März soll ganz im Zeichen der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik stehen. Dies sei "das Thema, das die europäischen Bürger am meisten berührt", sagte Schüssel. "Europa muss hier mehr tun." Wichtig sei vor allem, den Mittelstand zu fördern und größeres Augenmerk auf Forschung und Entwicklung zu legen. Zudem müsse sich Europa auch "um jene kümmern, die zu kurz gekommen sind".
Realistischer Blick auf künftige Erweiterungen
Weiterer Schwerpunkt der österreichischen Präsidentschaft soll die Heranführung der Balkan-Staaten an die EU sein. Österreich fühlt sich seinen Nachbarländern im Süden traditionell verpflichtet. Heikel könnte dabei sein, dass die EU bei den Österreichern derzeit nicht sehr populär ist. Nur 32 Prozent gaben in einer Umfrage vom Dezember an, dass die Mitgliedschaft ihres Landes eine gute Sache sei. Das war der niedrigste Wert unter den 25 Mitgliedstaaten.
Einige österreichische Politiker führen dies auch auf die jüngste EU-Erweiterung zurück. Schüssel betonte dessen ungeachtet: "Die Tür bleibt offen." Allerdings müsse die EU "künftige Erweiterungen realistisch sehen". So müsse die Aufnahmefähigkeit der EU selbst stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.
Beschlossen sind bereits die Aufnahmen Bulgariens und Rumäniens. Beide Länder sollen am 1. Januar 2007 beitreten. Möglich ist aber noch eine Verschiebung der Aufnahme um ein Jahr, sollten beide Länder in ihren Reformbemühungen nachlassen. Die EU-Kommission will dazu im Mai einen Bericht vorlegen, auf dessen Grundlage die Mitgliedstaaten entscheiden. Mit Kroatien und der Türkei hat die EU am 3. Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Wie sich diese entwickeln werden, ist völlig ungewiss. (wga)