Merkel: Mit schwerem Gepäck nach China
5. September 2019Es gab Zeiten, da galten Wirtschaftsabkommen im Wert von 150 Milliarden Euro als eher kleines Mitbringsel für einem Regierungsbesuch in Peking. Und eine deutsche Regierungschefin konnte sich in China vor laufender Kamera mit einem chinesischen Geistlichen über seine Zeit im Gefängnis unterhalten. Die Zeiten sind vorbei.
Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel am 5. September in die Volksrepublik China reist, sitzt wieder eine deutsche Wirtschaftsdelegation mit im Regierungsflieger. Auf dem zweitägigen Programm steht neben Gesprächen mit der politischen Führung Chinas auch ein Treffen mit Studenten. Doch das Verhältnis zu China ist komplexer denn je und die Liste unbequemer Themen lang.
Menschenrechte: Xinjiang und Hongkong
Kurz vor Merkels geplanter Reise hat Joshua Wong, ein Anführer der Protestbewegung in Hongkong, die Bundeskanzlerin in einem offenen Brief um Unterstützung gebeten. Bei ihrem letzten Besuch konnte Merkel die Ausreise von Liu Xia, Witwe des verstorbenen Dissidenten und Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, erreichen. Doch Gespräche über die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen Chinas werden schwieriger und seltener. Zeitweise wurde der Menschenrechtsdialog beider Länder ausgesetzt. Die Kritik des deutschen Außenministers an Chinas Umgang mit den Uiguren sorgte für einen Eklat. Schätzungsweise eine Millionen muslimische Uiguren werden in der westlichen Provinz Xinjiang gegen ihren Willen festgehalten.
Drohende Wirtschaftsflaute
China ist Deutschlands wichtigster Lieferant und nach den USA und Frankreich der wichtigste Abnehmer deutscher Exportgüter. 2018 tauschten beide Länder Waren im Wert von 199,3 Milliarden Euro. Doch China ist nicht nur Deutschlands wichtigster Handelspartner, sondern auch wirtschaftlicher Konkurrent. Anfang des Jahres warnte der Bund der deutschen Industrie in einem Grundsatzpapier vor einem "Systemwettbewerb" mit dem "staatlich geprägten" Wirtschaftsmodell Chinas. Wirtschaftsexperten zufolge steht Deutschland obendrein eine Rezession bevor. Die Angst vor einem wirtschaftlichem Abschwung könnte Deutschlands Bemühungen für bessere Handelsbeziehungen mit China beflügeln.
Die neue Seidenstraße
Denn Chinas wirtschaftlicher Einfluss auf Europa bahnt sich stetig neue Wege. In Form von Häfen und Zugstrecken: Mit einem globalen Infrastrukturprojekt, der sogenannten Belt and Road Initiative (BRI), will China See- und Landwege nach Afrika und Europa ausbauen. Einige Mitgliedsländer der EU haben bereits ihre Kooperation mit dem Projekt zugesagt. Allerdings gibt es Befürchtungen, China könne über diese neue Seidenstraße nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Einfluss nehmen. Als Beispiel wird Griechenland genannt, das als eines der ersten EU-Mitglieder am BRI-Projekt beteiligt ist. Griechenland hatte 2017 gegen eine gemeinsame EU-Menschenrechtserklärung, die Chinas Menschenrechtsverletzungen anprangerte, Veto eingelegt. Experten befürchten, weitere EU-Länder könnten dem Beispiel Griechenlands folgen.
Die USA, der Iran - und Huawei
Auch der andauernde Handelsstreit zwischen den USA und China belastet die Beziehungen Deutschlands mit beiden Ländern. Mit seinem Austritt aus dem Atomabkommen mit dem Iran, hat US-Präsident Donald Trump die Bundesregierung zusätzlich unter Druck gestellt. China dagegen begrüßte den iranischen Außenminister Zarif Mohammad Javad Zarif zu Gesprächen in Peking, in denen es darum ging, wirtschaftliche Anreize für den Iran zu schaffen, im Nuklear-Abkommen zu bleiben. Deutschland könnte zwischen die Fronten geraten. Für weitere Spannungen im Verhältnis mit den USA und China sorgt auch die Position der Bundesrepublik zu Huawei. Der chinesische Telekommunikationskonzern ist ein führender Lieferant für den Ausbau von 5G-Technologie, bei Sicherheitsexperten aber umstritten. Die USA haben Huawei-Technologien vom eigenen Netzausbau ausgeschlossen. Deutschland zeigt sich unentschieden.
EU-China-Abkommen
Ein Mitbringsel des Merkel-Besuchs, dass vor allem den China-Skeptiker und EU-Partner Frankreich erfreuen könnte, wären chinesische Zusagen im geplanten Handelsabkommen zwischen der EU und China. Berlin hat bereits signalisiert, seine guten Kontakte zu Peking während seiner EU-Ratspräsidentschaft 2020 zugunsten eines gemeinsamen EU-China-Gipfels in Deutschland zu nutzen. In Peking könnte Merkel dafür in diesen Tagen wichtige Vorarbeit leisten.
Der Beziehungsstatus
Die Kommission der Europäischen Union hat die Volksrepublik jüngst als "systemischen Rivalen" erklärt. Berlin selbst unterhält mit Peking ein Verhältnis, die beide Seiten als "umfassende strategische Partnerschaft" bezeichnen. Bereits fünf Mal haben sich deutsche und chinesische Regierungsvertreter zu gemeinsamen Konsultationen getroffen. Auch eine gemeinsame Militärübung deutscher und chinesischer Soldaten fand in diesem Jahr erstmals in Deutschland statt. "China ist strategischer Partner, aber auch Wettbewerber", bezeichnet Bundeskanzlerin Merkel die Situation. Doch die Ambivalenz sorgt in Deutschland und im Ausland für Unsicherheit.