Mit Raki und Efes gegen die Islamisierung
15. Oktober 2008Es ist eine sternenklare Nacht und immer noch spätsommerlich warm. Wer im schicken Istanbuler Vorort Moda keinen Balkon hat, setzt sich mit Freunden und Flaschen an die Uferpromenade. Das könnte man zumindest denken, wenn man die rund 50 jungen Leute mit ihren Raki-, Bier- und Weinflaschen sieht.
Dieses friedliche Bild stören allerdings Polizisten in Kampfanzügen, Fernsehkameras und die Plakate, die einige der Versammelten in die Luft halten. "Lang lebe die alkoholische Internationale!" steht auf einem Plakat. "Für eine beschwipste Türkei" auf einem anderen. Manche halten Porträts des Republikgründers Atatürk vor ihre Brust.
Toleranz auf beiden Seiten gefordert
Es ist eine Demonstration für den uneingeschränkten Zugang zu Alkohol - dem auch Atatürk selbst gerne zusprach. Die Demonstranten glauben, dass dieser freier Alkoholkonsum durch die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Erdogan bedroht ist. Serdar, ein Student mit langen Haaren, Flickenjeans mit einer Efes-Pilsen-Dose in der Hand ist empört: „Die Religiösen sollen fünf Mal am Tag beten, sie sollen fasten – aber sie sollen die anderen, die gerne Alkohol trinken, in Ruhe lassen.“
Auslöser der Demonstration ist ein Ausflugslokal in einem hölzernen Fährhaus, das auf dem Pier von Moda steht. In diesem Lokal gibt es seit kurzem keine hochprozentigen Getränke mehr, denn die städtische Gesellschaft "Beltur" hat das Lokal übernommen. Und in „Beltur“-Restaurants wird kein Alkohol ausgeschenkt. So will es der Bürgermeister der Stadt, ein Parteifreund von Premier Erdogan.
Trinken für den Laizismus
Und so trinken die Demonstranten nicht nur für das Recht auf einen guten Tropfen. Es geht auch um Freiheit und Demokratie - und um den Laizismus, also die Trennung von Staat und Religion. Die sieht Tunguc Koc, der Organisator des Freitagsumtrunks, in Gefahr. „Diejenigen, die den Alkohol verbieten wollen, vergreifen sich an den Grundfesten dieser Republik. Die Islamisten wollen diese Prinzipien Stück für Stück aufweichen“, sagt Koc, der den Alkohol als ein Symbol sieht.
Istanbuls Bürgermeister Kadir Topbas dagegen versteht die Aufregung nicht. Es fehle in der Stadt an preiswerten Lokalen, die auch ärmere und religiösere Familien besuchen könnten. Von einer Gängelung durch Islamisten zu sprechen sei Unsinn, schließlich gebe es noch hunderte andere Kneipen in der Stadt, in denen man sich betrinken könne.
Raki als Teil der türkischen Kultur
Doch die Protestler bleiben misstrauisch: Wurde nicht kürzlich ein Alkoholhändler in Ankara von städtischen Angestellten verprügelt? Und wurden sie nicht vom Regierungschef persönlich verhöhnt, sie sähen die Welt durch den Flaschenboden?
Nicht Weintrinker, sondern Abstinenzler stünden in der Türkei unter Druck, behauptet jedoch Erdogan. Tatsächlich ist der Alkoholkonsum in der Türkei einer Untersuchung zufolge in den sechs Jahren AKP-Ägide kräftig gestiegen.
Die Protesttrinker von Moda wollen dennoch erst aufgeben, wenn in dem Lokal am alten Anleger von Moda wieder Raki, das türkische Nationalgetränk, getrunken werden kann. Denn sonst fehle dem Ufer von Moda etwas, sagt Student Serdar. „Wenn du hier am Wasser sitzt, dazu die herrliche Aussicht: Dann gehört ein Glas Raki einfach dazu. Das ist Teil unserer Kultur.“