Mit Partymusik gegen Neonazis
22. August 2012Es gibt Dinge, die dafür sorgen, dass Neonazis die Haltung verlieren: Lachende Menschen und fröhliche Partymusik. Genau das ist das Konzept, mit dem sich die Menschen in der niedersächsischen Kleinstadt Bad Nenndorf gegen einen braunen Spuk zur Wehr setzen, der den Kurort alljährlich in der ersten Augustwoche heimsucht. Die rechtsextreme Veranstaltung nennt sich "Trauermarsch" und ist mittlerweile fester Bestandteil von Aktivisten der rechtsextremen Szene aus der ganzen Bundesrepublik.
Mit einer bunten Partymeile entlang der Aufmarschroute der Neonazis sorgen jedoch die Bad Nenndorfer dafür, dass das rechte Spektakel für die "Trauermarschierer" Jahr für Jahr zu einem Spießroutenlauf wird. Sie postieren sich am Rande des Marschweges, um zu protestieren, die inszenierte Trauer zu stören und die Neonazis zu provozieren. Die Bad Nenndorfer haben guten Grund sich zur Wehr zu setzen, denn die Rechtsextremisten um den Neonazi-Aktivisten Mathias Schulz haben ihre braune Kundgebung bis zum Jahr 2030 in der Kurstadt angemeldet.
Langfristiger Störfaktor
Als im Jahr 2006 zum ersten Mal für diesen "Trauermarsch" getrommelt wurde, waren es nur einige Dutzend Neonazis, die nach Bad Nenndorf kamen. Doch in den Folgejahren wuchs ihre Zahl rasch an. Bis zu 1000 Rechtsextremisten waren dem Aufruf gefolgt, in diesem Jahr waren es rund 450. Auch wenn die Zahl den braunen Marschteilnehmer im Sinkflug ist, "die Perspektive, das Spektakel noch bis zum Jahr 2030 erdulden zu müssen, ist für uns eine Katastrophe", sagt die Vorsitzende des Schulelternbeirates im Bad Nenndorfer Gymnasium, Gitta Matthes.
Mit Sorge blickt auch Niedersachsens Verfassungsschutz auf diese Entwicklung: Nach dem endgültigen Verbot der sogenannten Rudolf-Heß-Gedenkmärsche im fränkischen Wunsiedel im Jahre 2009 könnte Bad Nenndorf zu einem neuen Symbolort für die rechtsextreme Szene werden, mit Ausstrahlungswirkung auf das gesamte Bundesgebiet. "Neonazis brauchen solche Veranstaltungen, sie berauschen sich geradezu daran", sagt der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel.
Glorifizierung geschichtlicher Ereignisse
Die Geschichtsfälschung der Rechtsextremisten ist durchschaubar: Experten wie der frühere Leiter des Berliner Instituts für Antisemitismus-Forschung, Wolfgang Benz, sprechen von einem Versuch, "die Verbrechen des Dritten Reiches zu relativieren". Konkret geht es um das Wincklerbad in Bad Nenndorf. Dort hatte die britische Armee nach dem Zweiten Weltkrieg ein Verhörzentrum für gefangene Nationalsozialisten eingerichtet. Zwar kam es damals zu vereinzelten Misshandlungen von Häftlingen, doch sind diese Übergriffe seit Jahrzehnten juristisch und politisch aufgearbeitet.
Redner der braunen "Trauermärsche" ziehen dennoch einen unmittelbaren Vergleich zu den Stätten des Massenmords im Dritten Reich. Die damaligen Übergriffe im Wincklerbad setzen die Rechtsextremisten also mit den Massenmorden in Konzentrationslagern gleich - zum Beispiel die aus Niedersachsen stammende und jetzt in Pirmasens lebende Neonazi-Aktivistin Ricarda Riefling. Sie sagte bei einem dieser "Trauermärsche": "Eines Tages werden die Schulen nicht mehr ins Konzentrationslager Bergen-Belsen fahren, sondern sie werden hier nach Bad Nenndorf kommen um zu betrauern, was dem deutschen Volk angetan wurde."
Zuerst schauen die Einwohner weg
In Bad Nenndorf tat man sich in den ersten Jahren dieser Neonazi-Märsche schwer, eine Antwort auf diese zynischen Parolen zu geben. Viele Bad Nenndorfer hätten in den ersten Jahren wohl am liebsten weggeschaut, als die Braunen kamen.
Zu ihnen gehört auch die stellvertretende Vorsitzende des Sportvereins, Sigrid Bade: "Ich hätte diesen Menschen mit Glatzen und Bomberjacken nicht zugetraut, dass von ihnen eine ernste politische Gefahr ausgehen könnte", bekennt die Bad Nenndorferin. Nachdem sie aber die Ansprachen der braunen Redner gehört hatte, sei ihr klar geworden: "Da sind geschulte Leute dabei, die sind wirklich gefährlich."
Bunt geschmückte Straßen
Heute gehört Sigrid Bade in Bad Nenndorf zu den aktivsten Streitern gegen die Rechten. Viele Mitglieder ihres Vereins ziehen da mit. Mittlerweile ist in der Kurstadt nicht nur ein breites Bündnis namens "Bad Nenndorf ist bunt" entstanden. So finden die rechten "Trauermarschierer" regelmäßig eine bunt geschmückte Bahnhofstraße vor, wenn sie dort mit Trommeln und Fackeln zu ihrem Aufmarsch antreten.
"Wir lassen uns von diesen Nazis nicht vorschreiben, wann, wie und wo wir feiern", sagt der Bad Nenndorfer Apotheker Jürgen Übel. Die "Spitze der Gegenbewegung" aber waren die seit dem vergangenen Jahr entlang der "Trauerroute" von den Bad Nenndorfern veranstaltete Protest-Partys - und zwar laut.
Neonazis "stumm geschaltet"
So laut, dass die dumpfen Trommeln der rechten "Trauermarschierer" nur für sie selbst wahrnehmbar waren. Zumindest akustisch haben die Kurstädter den Braunen eine Narrenkappe aufgesetzt und sie damit der Lächerlichkeit preisgegeben. Das haben offenbar auch die Neonazis erkannt - mit sauertöpfischen Minen und gesenkten Häuptern zogen sie von dannen, als ihre Marschzeit abgelaufen war.
Dennoch wollen die Neonazis im kommenden Jahr wiederkommen. Bad Nenndorf wird vorbereitet sein: In der Stadt heißt es: "Nach dem Aufmarsch ist vor dem Aufmarsch". Das ganze Jahr über wird in Schulen, Vereinen, Kirchengemeinden immer wieder über Rechtsextremismus, die Gefahren für die Demokratie und deren Vorteile diskutiert.