Gegen die Schatten der Vergangenheit
25. Juni 2012
Bukarest, auf dem Platz der Freiheit vor dem monströsen Palast Ceauşescus, einem der größten Gebäude der Welt. Es ist in Mode gekommen unter den Bewohnern der rumänischen Hauptstadt, sich zu festlichen Anlässen vor diesem Beton-Ungetüm ablichten zu lassen. Wer es sich leisten kann, mietet für die Anfahrt eine Stretch-Limousine.
Der Künstler Iosif Király ist 55 Jahre alt und einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler Rumäniens. Seine Karriere begann er in der düstersten Zeit der Ceauşescu-Diktatur, in den 1980er Jahren, als Lebensmittel, Strom und Heizung streng rationiert waren, und die allmächtige Geheimpolizei Securitate die Gesellschaft im Würgegriff hielt. In Királys Werken – in seinen Fotografien, Collagen, Skulpturen und Installationen – geht es viel um diese Vergangenheit, um die Erinnerung an sie, um die Art und Weise von Vergessen und Gedenken.
Jetzt sieht Király diese jungen, unbekümmerten Leute auf dem Platz der Freiheit und muss daran denken, was der gigantomanische Ceauşescu-Palast für Bukarest, für ganz Rumänien bedeutete: Für das "Haus des Volkes”, wie der Diktator seinen Palast nennen ließ, und einen drei Kilometer langen Prachtboulevard wurde in den 1980er Jahren ein großer Teil der Bukarester Altstadt abgerissen. Während die Menschen froren und nach Lebensmitteln anstanden, Kinder in ungeheizten Schulen saßen und der medizinische Rettungsdienst bei Rentnern nicht mehr erschien, ließ Ceauşescu alle verfügbaren Ressourcen für den Palastbau mobilisieren. "Ich bin nicht empört und nicht traurig, dass junge Leute ein lockeres Verhältnis zu dieser Vergangenheit haben”, sagt Iosif Király. "Ich empfinde nur eine gewisse Melancholie.“
Kunst im einstigen Schlafzimmer des Diktators
Nach dem Sturz Ceauşescus wurde der Bau des Palastes unterbrochen, einige Jahre lang geriet er so zum unfreiwilligen Asyl für Bukarester Straßenhunde. Nach dem Sturz Ceauşescus wurde der Bau des Palastes unterbrochen, einige Jahre lang geriet er so zum unfreiwilligen Asyl für Bukarester Straßenhunde. Dann entschieden die Parlamentarier, das „Haus des Volkes” zum Sitz ihrer Institution zu machen. Außerdem zog das Verfassungsgericht ein. Zeitweise feierten Bukarester Unterweltgrößen und Neureiche in seinen fast fußballfeldgroßen Sälen rauschende Feste, doch das ist inzwischen nicht mehr erlaubt. Ab und zu finden in ihnen heute internationale Konferenzen statt.
Im Jahr 2003 entschied Rumäniens damaliger Regierungschef und Kunstliebhaber Adrian Năstase, dass in einem leerstehenden Teil des Palastes ein Museum für zeitgenössische Kunst eingerichtet werden sollte – und zwar in den ehemaligen Privatgemächern Ceauşescus, unter anderem in einem 300 Quadratmeter großen Schlafzimmer des Diktators. Ausgerechnet in diesen Räumen, ausgerechnet Năstase. Der Ex-Regierungschef verkörpert in den Augen der Kritiker exemplarisch jenen Typ des opportunistischen, korrupten rumänischen Politikers, der schon unter der Ceauşescu-Diktatur zur Elite gehörte und der es nach dem Sturz des Tyrannen umstandlos zu immer mehr Macht und Reichtum bringt.
Die Einrichtung des Museums in Ceauşescus Palastprojekt war eine der umstrittensten kulturpolitischen Entscheidungen im postkommunistischen Rumänien, die die Bukarester Kunstszene bis heute spaltet. Es gibt viele Künstler, die im MNAC, wie das Nationale Museum für zeitgenössische Kunst abgekürzt heißt, prinzipiell nicht ausstellen, weil sie damit die furchtbare Geschichte des Palastes legitimieren würden.
Mihai Oroveanu, der Direktor des Museums, sitzt in seinem Büro im vierten Stock des MNAC und raucht eine Zigarette nach der nächsten. "Ich verstehe, dass viele hier nicht ausstellen wollen”, sagt er. "Ja, es ist ein verfluchter Ort. Aber wir haben keinen anderen in Bukarest.“
Kunst als Alibi
2003 erging die Anfrage Năstases an Oroveanu, ob er im Palast ein Museum für zeitgenössische Kunst einrichten wolle. Er akzeptierte. Und träumte: Das Museum würde ein Virus im Körper des verhassten Palastes sein, um ihn herum würde man einen subversiven Statuen-Park, ein Freilicht-Theater und weitere Ausstellungssäle bauen. Der Ort würde eine große Touristenattraktion werden, man könnte unter anderem die Geschichte des Palastes kritisch beleuchten.
Sieben Jahre nach der Eröffnung des Museums erinnert sich Oroveanu teils schmerzlich, teils lakonisch an seinen Enthusiamus und zeigt nach draußen. Die Zufahrt zu diesem Flügel des Palastes liegt einen halben Kilometer entfernt, kein Schild weist den Weg ins Museum, die Zufahrtsstraße ist mit tiefen Schlaglöchern übersät. Genau gegenüber dem Museum erstreckt sich eine riesige Baugrube. Hier entsteht keine Freilichtbühne, sondern ein neuer Bau der Superlative: die überdimensionierte orthodox-christliche Kathedrale mit dem monströsen Namen "Kathedrale der Erlösung der Nation“. "Wir wollten mit dem Museum einen Gegenpol schaffen“, sagt Oroveanu. "Damit sind wir gescheitert. Wir sind hier nur ein Alibi. Damit man vorzeigen kann, dass es auch noch etwas anderes gibt.“
Geht immer: der Mythos Dracula
Als das Museum vor sieben Jahren öffnete, war unter den ersten ausgestellten Werken auch eines von Iosif Király, genauer, eines von ihm und seinem Künstlerkollegen Călin Dan: das "Karpatenschloss” – ein Nachbau des Ceauşescu-Palastes aus Schachteln der populären Zigarettenmarke Carpati. Dan und Király arbeiteten in den 1990er Jahre unter dem Namen subReal zusammen. Damals schuf das Duo unter dem Namen Draculaland eine multimediale Kunstinstallation, die in komplexer, ästhetischer Weise viele Mythen der rumänischen Geschichte und vor allem die Realität der Ceauşescu-Diktatur reflektierte.
Wie so oft in der rumänischen Kunst- und Literaturgeschichte mussten auch Dan und Király sich mit ihrem Draculaland-Zyklus erst im Ausland Bekanntheit und Ruhm erwerben, ehe sie in Rumänien breite Anerkennung erfuhren. Dieser Zyklus wurd übrigens dieser Tage im MNAC im Rahmen einer großen Retrospektive des Künstlerduos erstmals vollständig gezeigt. Die beiden Künstler haben keine Bedenken, ihre Werke im Ceauşescu-Palast zu präsentieren. "Es ist wichtig, dass junge Leute an einen Ort wie diesen kommen können“, sagt Călin Dan. "Ohne das Museum hinge dieses Gebäude ganz von der Gnade des Parlaments ab, das eine intransparente und häufig undemokratische Institution ist.“ Iosif Király ergänzt: "Wenn Ceauşescu etwas nicht gewollt hat, dann war es ein Museum für moderne Kunst in diesem Gebäude. Deshalb ist es durchaus eine subversive Entscheidung gewesen, hier so ein Museum zu bauen.“
Bleiben oder gehen?
Die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit und dem Überwachungsstaat der Securitate liefern Király viele Sujets für politisch und gesellschaftlich relevanten Projekte. Das ist auch der Grund, weshalb Király gern als Künstler in Rumänien lebt. Er hat schon öfter einige Monate im Ausland verbracht, sich dabei die Frage gestellt, ob er seine Heimat verlassen solle. Immer wieder kehrte er zurück. "Es ist zwar materiell schwer, hier als Künstler zu leben, denn alles ist sehr unsicher, die Bürokratie kann mit einem Federstrich alle Arbeit kaputtmachen“, sagt Király. "Aber es gibt vieles zu sagen und zu tun, man hat viel mehr künstlerisches Material als im Westen. Wer kann schon sagen, dass er eine Revolution erlebt hat? Wo sonst in Europa dreht sich das Rad der Geschichte so schnell mit so viel spektakulären und extremen Ereignissen?“
Daheim zu bleiben ist ein seltenes Lebensgefühl in Rumänien. Drei Millionen rumänische Staatsbürger arbeiten überwiegend oder permanent im Ausland, vor allem junge Leute gehen nach ihrer Ausbildung weg. Der Fachkräftemangel, besonders der an Ärzten, medizinischem Personal, Lehrern und Verwaltungsfachleuten, erreicht ein dramatisches Ausmaß.
Liebevoll-ironische Kritik an der postkommunistischen Gesellschaft
Eine, die wie Iosif Király dableiben will, ist die Künstlerin Ana Bănică. Die 34-jährige lebt in der Schwarzmeer-Hafenstadt Constanţa und gilt als eine der talentiertesten und interessantesten rumänischen Künstlerinnen der postkommunistischen Generation. Sie lässt sich schwer einordnen und will auch nicht eingeordnet werden. Ihre Werke sind mal klassische Malereien und Collagen, mal schminkt sie Ikonen oder zeichnet mit Lippenstift auf Spiegeln und Badezimmerkacheln.
Ana Bănică wuchs in einem Dorf in Südrumänien auf, beim Sturz Ceauşescus war sie elf Jahre alt. Sie habe eine perfekt schöne Dorf-Kindheit gehabt, erzählt Ana Bănică. Daraus schöpft sie bis heute. Dabei sind Kunstwerke entstanden, in denen sie sich auf eigentümliche Weise mit der rumänischen Vergangenheit und den Traditionen des Landes auseinandersetzt: 2006 beispielsweise schuf sie einen Zyklus von Leinendeckchen, die nach dörflicher Art bestickt sind. Bănicăs Leinendeckchen karikieren das Lebensgefühl der rumänischen Gesellschaft auf liebevoll-provokante Weise: Zu sehen sind PS-starke Autos und Motorräder, Fernseher und Mobiltelefone, sex- und liebeshungrige Männer und Frauen, das Ganze eingerahmt von folkoristischen Blumenmotiven. Dazu gibt es Sinnsprüche wie diesen: "Voller Sehnsucht erwarte ich dich, halte vor dem Fernseher in den Armen mich!”
Ana Bănică träumt davon, mit ihren Kunstwerken über die Dörfer zu ziehen und sie dort in Wanderausstellungen zu zeigen. Einen Sponsor für das Projekt hat sie noch nicht gefunden, sie fürchtet auch eine geringe Resonanz. Einmal wurden ihre Werke in einer Großstadt ausgestellt, zu der im Laufe der mehrwöchigen Offnungszeit kein einziger Besucher kam. "Die Leute im heutigen Rumänien haben keine Zeit, Kunst zu genießen”, sagt sie, "Kunst existiert für sie einfach nicht.”
Sie erinnert sich an eine Episode bei einem Besuch in Berlin vor einigen Jahren, wünscht sich, etwas Ähnliches eines Tages in ihrer Heimat zu erleben. „Ich ging spazieren. Plötzlich sah ich Hunderte Menschen Schlange stehen. Ich erinnerte mich, wie ich als Kind immer in einer langen Schlange nach Brot angestanden hatte. Ich konnte nicht glauben, dass man heutzutage in Deutschland anstehen müsste. Dann erfuhr ich, was es mit dieser Schlange auf sich hatte. Die Leute standen vor einem Museum.”