Mit Garderobenwechsel ins Präsidentenamt
30. Mai 2014Der neue ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi muss sich an das Leben in Anzug und Krawatte erst gewöhnen. Noch bis vor Kurzem hatte er als Armeechef Uniform getragen. Als der 59-Jährige Ende März 2014 seine Kandidatur in einer Fernsehansprache bekannt gab, trug er noch Flecktarn mit den Schulterstücken eines Feldmarschalls. "Ich stehe heute zum letzten Mal in einer Militäruniform vor euch", erklärte er damals mit ernster Stimme. Die Verfassung des Landes verlangt, dass sich nur Zivilisten zum Präsidenten wählen lassen dürfen. An seinem Wahlsieg zweifelte niemand. Bereits Monate vor der Wahl lief eine Kampagne, die den populären Karriereoffizier als Garanten für Stabilität und Aufschwung anpries. Sein einziger Gegenkandidat, Hamdien Sabahi, lag in allen Umfragen weit hinter Al-Sisi.
Nach seinem Sieg werde sich die allgemeine Lage innerhalb von zwei Jahren verbessern, versprach Al-Sisi vor der Wahl. Wie er das angesichts von Armut, Korruption, Terrorgruppen auf dem Sinai und fehlender Touristen erreichen will, bleibt jedoch vage. Al-Sisi wolle allgemein die Rolle des Staates und der Armee stärken, um Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, erklärt der Kairoer Politikwissenschaftler Mustafa Al-Sayyid. "Er verspricht, dass er billige Lebensmittel bereitstellen könne, indem er die Armee Supermärkte in ärmeren Vierteln errichten lässt", sagt der Professor der American University in Kairo im DW-Gespräch. Ein konkreter Plan gegen die Wirtschaftsmisere am Nil ist das nicht. Die Ägypten-Expertin der britischen Denkfabrik Chatham House, Maha Azzam, glaubt, dass sich Al-Sisi bewusst um klare Ansagen drückt: "Er sprach von der Wirtschaft und den Herausforderungen für Ägypten, aber er stellte kein Programm vor."
Versöhnung mit Muslimbrüdern ausgeschlossen
Klar ist hingegen der weitere Kurs gegen die Muslimbrüder. Al-Sisi wolle die Islamistenbewegung vollständig aus Politik und Gesellschaft verdrängen, sagt Al-Sayyid. Eine Versöhnung mit den Anhängern der einst stärksten Partei des Landes scheint ausgeschlossen. Im Juli 2013 hatte das Militär unter Al-Sisi den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt. Mursi war selbst Muslimbruder. Die Islamisten hatten vor allem durch ihre Unfähigkeit, die miserable Wirtschafts- und Sicherheitslage zu verbessern, viele Ägypter gegen sich aufgebracht. Al-Sisi nutzte diese Unzufriedenheit, um sich als Retter ins Spiel zu bringen. Die Muslimbrüder begehrten jedoch gegen ihre Entmachtung auf. Bei Protesten gegen den Umsturz starben mehr als 1400 Menschen. Tausende ihrer Mitglieder sind im Gefängnis, einige Hundert wurden zum Tode verurteilt. Die Muslimbruderschaft wurde längst verboten. Trotzdem liefern sich ihre Anhänger immer wieder Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften.
In der Außenpolitik wird der fromme Muslim Al-Sisi nach Einschätzung von Al-Sayyid vor allem die Kontakte zu Saudi-Arabien pflegen. Die ölreiche Monarchie greift Ägypten mit Milliardenbeträgen unter die Arme. Darüber hinaus werde das Land die Beziehungen zu den USA und gleichzeitig zu Russland pflegen, um sich nicht einseitig festzulegen.
Für Maha Azzam war und ist Al-Sisi ein Mann des Militärs. Sein Garderobenwechsel bedeute nicht, dass die Militärs ihren Einfluss auf die ägyptische Politik verlieren. Die Streitkräfte wollten ihre Kontrolle über den Staat und 25 bis 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft unbedingt behalten, sagt Azzam. Daran werde der neue Präsident nicht rütteln. Seine Botschaft sei einfach: "Al-Sisi betont, dass Ägypten einen starken Mann brauche", führt die Londoner Forscherin aus. Er präsentiere sich als nationaler Retter. Dafür brauche er die Rückendeckung der Armee.
Verzicht auf eine eigene Partei
Die Rolle als starker Führer scheint ihm für seine Ziele auszureichen. Anders als der 2011 gestürzte Langzeit-Herrscher Husni Mubarak stützt sich Al-Sisi nicht auf eine eigene Partei. Er kann stattdessen darauf zählen, dass die meisten zugelassenen Parteien seinen Kurs vorerst unterstützen. Sogar die salafistische Nur-Partei steht auf seiner Seite. Für die Chatham-House-Expertin Azzam ist der Verzicht auf eine eigene Parteibasis ein Anzeichen für die Rückkehr zu einer Ein-Mann-Diktatur: "Als er danach gefragt wurde, ob er vorhabe, eine Partei aufzubauen, erklärt er: Nein, ich kümmere mich um das ägyptische Volk."
Wie lange sich Al-Sisi so um das Volk kümmern kann, ist nicht vorherzusehen. Bis zum Arabischen Frühling 2011 waren Ägyptens Präsidenten, die alle aus der Armee stammten, sehr lange im Amt. Die neue Verfassung erlaubt nur zwei Amtsperioden zu je vier Jahren. "Wenn er länger im Amt bleiben möchte, muss er die Verfassung ändern", erklärt Al-Sayyid. Doch ob es so weit komme, hänge davon ab, ob Al-Sisi Armut und Arbeitslosigkeit in dem 85-Millionen-Einwohner-Land in den Griff bekomme. "Wenn er das nicht schafft, glaube ich nicht, dass er versuchen würde, eine dritte Amtszeit anzustreben", mutmaßt Al-Sayyid.