Ein Tuberkulose-Impfstoff gegen COVID-19?
4. Mai 2020Den Tuberkulose-Impfstoff mit der Bezeichnung Bacille Calmette-Guérin (BCG) gibt es bereits seit Anfang des letzten Jahrhunderts. Er ist der einzige zugelassene Impfstoff gegen Tuberkulose. Bislang wurden mehr als vier Millionen Dosen davon verabreicht. Auf diesem Impfstoff basiert das neue VPM1002.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie haben den Impfstoff entwickelt, indem sie BCG genetisch verändert haben. Wenn der Impfstoff die klinische Prüfung erfolgreich abgeschlossen hat, soll er in den nächsten Jahren weltweit gegen Tuberkulose eingesetzt werden.
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Der Infektionsbiologe Stefan Kaufmann war federführend bei der Entwicklung von VPM1002. Jetzt testen ihn Wissenschaftler auch auf seine Wirksamkeit bei COVID-19. Der Vorläufer hat sich bereits in vieler Hinsicht bewährt. "In kontrollierten Studien hat man zeigen können, dass BCG in der Tat gegen virale Atemwegsinfekte schützen kann. BCG stimuliert die angeborene Immunität, und mit deren Hilfe kann man eine Abwehr gegen virale Atemwegsinfekte aufbauen. Davon ausgehend wissen wir, dass unser neuer Impfstoff ähnlich wirken dürfte", erklärt Tuberkulose-Experte Kaufmann gegenüber der DW. Das lässt auch im Hinblick auf COVID-19 hoffen.
VPM1002 stärkt das Immunsystem
Studien an Mäusen zeigen, dass VPM1002 das Immunsystem aktiviert und so Virusinfektionen wie COVID-19 deutlich abschwächen könnte.
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Ein Impfstoff oder auch ein Krankheitserreger stimuliert immer zwei Arten der körpereigenen Abwehr. Das eine ist die angeborene oder unspezifische Immunität. Sie kann Krankheitserreger sehr schnell abtöten. Das andere ist die erworbene oder spezifische Immunität. "Das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Immunitäten sorgt für die bestmögliche Immunantwort und die bestmögliche, körpereigene Abwehr", erklärt Kaufmann.
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Erste Hürde ist geschafft
Das Paul Ehrlich-Institut hat die klinische Phase-III-Studie für VPM1002 gegen COVID-19 bereits genehmigt. Sie wird an verschiedenen deutschen Kliniken durchgeführt, unter anderen an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Anfang Mai sollen Wissenschaftler testen, ob der neue Tuberkulose-Impfstoff VMP1002 das Immunsystem unspezifisch aktiviert. "Dadurch sollen schwere Verläufe von Atemwegserkrankungen wie COVID-19 abgemildert werden", erklärt Jacobus Bosch. Er ist einer der Wissenschaftler im Team um Professor Christoph Schindler, der die Studie leitet. Sie konzentriert sich auf die Wirkung als mögliches COVID-19-Mittel.
"Getestet wird der neue Tuberkulose-Impfstoff VPM 1002 in Hannover ausschließlich auf die Wirksamkeit in der derzeitigen SARS-CoV-2 Pandemie-Situation", sagt Bosch. An der ersten bundesweiten Studie nehmen 1000 Probanden teil. Sie alle arbeiten im medizinischen Bereich, sind also einer möglichen Infektion besonders ausgesetzt.
"In einer weiteren Studie planen wir, die Wirksamkeit des verbesserten Tuberkulose-Impfstoffs VPM1002 bei Menschen jenseits des 60. Lebensjahres zu untersuchen. Die Fragestellung dabei ist, ob diese aktuell besonders gefährdete Altersgruppe durch VPM1002 effektiv geschützt werden kann", erläutert Studienleiter Schindler. An dieser zweiten Studie sollen bundesweit 2000 Probanden teilnehmen.
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VPM1002 als Überbrückung
Auch wenn die Testergebnisse mit VPM1002 positiv ausfallen, müsse dennoch weiter an einem speziellen Corona-Impfstoff geforscht werden, gibt Stefan Kaufmann zu Bedenken. Sollte sich der Ansatz als erfolgreich erweisen, könnte VPM1002 in kurzer Zeit in großen Mengen hergestellt und so die Zeit bis ein wirksamer COVID-19-Impfstoff gefunden ist, überbrückt werden. "Wir sprechen da nicht von Millionen, sondern von zehn bis hundert Millionen Dosen in kurzer Zeit. Das ist auch deshalb sehr wichtig, weil der Tuberkulose-Impfstoff BCG recht knapp ist und die Weltgesundheitsbehörde nun Sorge hat, dass die Kleinkinder in Ländern mit TB nicht mehr geimpft werden können."
Als Produktionsort kommt vor allem Indien infrage. Der Impfstoff VPM1002 wurde am Serum Institute of India lizensiert. Die Firma ist der größte Impfstoff-Hersteller der Welt und hat bereits Anlagen für die Produktion fertiggestellt.
Auf neuen Pfaden
Der Tuberkulose-Impfstoff BCG ist altbewährt und hat lange Zeit dafür gesorgt, dass Tuberkulose-Erkrankungen einen milderen Verlauf nahmen als ohne Impfung. Kinder in den östlichen Bundesländern und in Osteuropa haben ihn erhalten. Heute wird er noch immer vor allem in Afrika und Asien im Kampf gegen Tuberkulose gegeben. In einigen dieser Regionen sind bislang offenbar recht wenige Corona-Fälle aufgetreten.
Wertvolle Unterstützung
"Als die COVID-19-Krise hochkam, haben einige Wissenschaftler direkt geschaut, ob in Ländern, in denen die BCG-Impfung Pflicht ist, die COVID-Risiken geringer sind, ob also weniger Krankheitsfälle auftauchen als in Ländern ohne BCG-Impfung. In der Tat fand man hier einen Zusammenhang", sagt Kaufmann.
Trotzdem sei er in der Deutung dieser Untersuchungen vorsichtig. "Das sind ja Untersuchungen zwischen Ländern, die sich in vielen Dingen unterscheiden. Man kann das also nicht unbedingt darauf zurückführen, dass es eine BCG-Pflicht-Impfung gegeben hat." Aber es sei ein Anreiz, das zu überprüfen.
Auch die Wissenschaftler in Hannover sind zuversichtlich. „Wir halten diesen neuen Tuberkulose-Impfstoff VMP1002 für einen vielversprechenden Ansatz", sagt Bosch. "Der Impfstoff soll eine Verbesserung der unspezifischen Immunantwort des menschlichen Körpers bewirken und somit auch gegen SARAS-CoV-2-Viren wirksam sein können, aber wir werden die Ergebnisse der klinischen Studien abwarten müssen." Und da gibt es nicht nur die Studien in Deutschland oder in Indien. Weltweit läuft die Forschung auf Hochtouren, genauso wie noch immer das Virus.
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