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Ende für das Ruanda-Tribunal

Antonio Cascais4. Januar 2016

Am 31.12.2015 hat der Internationale Gerichtshof für den Völkermord in Ruanda die Arbeit eingestellt. Konnte dieses Gericht den Genozid juristisch aufarbeiten? Das "Urteil" fällt widersprüchlich aus.

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Ruanda Internationaler Gerichtshof für den Völkermord
ICTR-Sitz in Arusha, TansaniaBild: picture-alliance/dpa/L. Lee Beck

Ruanda 1994: extremistische Medien rufen zu Mord auf, radikalisierte Hutu schlachten erbarmungslos Angehörige der Tutsi-Minderheit und moderate Hutu ab, in den Flüssen treiben die Leichen. Innerhalb von nur 100 Tagen werden nach UN-Schätzungen zwischen 800.000 und einer Million Menschen systematisch verfolgt und getötet. Der Rest der Welt schaut tatenlos zu.

Nach diesem Verbrechen, einem der schlimmsten der Menschheitsgeschichte, will die Internationale Gemeinschaft ein Zeichen setzen: Man will endlich handeln und beweisen, dass internationale Strafjustiz keine Utopie ist, sondern möglich.

Auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates wird Anfang 1995 der Internationale Strafgerichthof für Ruanda (ICTR) in der nordtansanischen Stadt Arusha eingerichtet. Es ist ein Experiment der internationalen Gerechtigkeit.

61 Schuldsprüche, 14 Freisprüche

Seit dem 1. Januar 2016 ist dieses Experiment Geschichte: Nach 21 Jahren schließt der ICTR für immer. Sein Auftrag ist beendet. Boubacar Diallo, bis zuletzt Generalstaatsanwalt beim ICTR, zieht eine positive Bilanz: "Wir haben außerordentlich viele Fälle bearbeitet", sagt er im Interview mit der DW. Dem Ruanda-Tribunal sei es gelungen, Militärchefs, Lokalpolitiker, Journalisten und auch Verwaltungschefs, die am Völkermord beteiligt gewesen seien, vor Gericht zu stellen. Zudem habe das ICTR einen Großteil der Gesetzgebung verfasst, die heute anderen Gerichten weltweit als Vorlage dient: "Diese Gerichte können nun den so wichtigen Kampf gegen die Straflosigkeit auf unserer Welt fortsetzen", fasst Diallo zusammen.

1998 verurteilte das Ruanda-Tribunal als erstes internationales Strafgericht einen Angeklagten wegen Völkermords. Rund vier Fünftel der mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für den Genozid 1994 konnten in den Jahren danach festgenommen und vor Gericht gestellt werden. Gegen 93 Personen erhob der ICTR Anklage. 61 wurden schuldig, 14 frei gesprochen. Die meisten Beobachter sind sich einig: Im Großen und Ganzen habe das ICTR die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt.

Symbolbild - Ruanda Opfer des Bürgerkriegs
Mehr als 800.000 Menschen wurden innerhalb von nur 100 Tagen grausam ermordetBild: Getty Images/C. Somodeville

Geraldine Mattioli-Zeltner von Human Rights Watch bestätigt, dass das ICTR einen großen Beitrag zum Aufbau einer Internationalen Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit geleistet habe. Der Strafgerichtshof für Ruanda sei ein Meilenstein auf dem Weg zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gewesen. Neun Angeklagte konnten jedoch nicht nach Arusha überführt werden. Aber diese Fälle würden keineswegs vergessen, sondern von einer Auffang-Institution unter der Ägide der UNO weiterverfolgt, betont Generalstaatsanwalt Diallo.

Keine Strafverfolgung von Tutsi-Rebellen

Neben Anerkennung für die geleistete Arbeit bekommt das ICTR immer wieder Kritik zu hören: Problematisch sei vor allem, dass in den fast 21 Jahren die Rolle von ehemaligen Tutsi-Rebellen, die heute Führungspositionen in Ruanda besetzen, ungeklärt geblieben sei. Das ICTR habe auch das Mandat gehabt, die Straftaten der Tutsis zu verfolgen, sagt Mattioli-Zeltner: "Doch es wurde keine einzige Straftat der RPF untersucht. Wir halten es für sehr problematisch, dass diese andere Seite des Genozids von dem Gericht nicht aufgearbeitet wurde." Die Tutsi-Organisation RPF (Rwandan Patriotic Front) vom heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame hatte 1994 dem Genozid ein Ende bereitet.

Ein weiterer Kritikpunkt am ICTR: Die strafrechtliche Aufarbeitung der Ereignisse von 1994 habe sich als äußerst kostspielig erwiesen. An die zwei Milliarden US-Dollar soll das Ruanda-Tribunal insgesamt verschlungen haben. In der Vergangenheit wurde der Gerichtshof, an dem zweitweise mehr als 1200 Menschen beschäftigt waren, wiederholt wegen Ineffizienz, fehlender Professionalität und Korruption kritisiert.

Ruanda Genozid Gedenkfeier 07.04.2014 Stadion
Gedenkfeier im Stadion von Kigali, 20 Jahre nach dem GenozidBild: Reuters

Wie geht es weiter?

Klar ist: Die Gräueltaten sind auch nach der Schließung des ICTR noch immer nicht ganz aufgearbeitet. In Gerichten in Ruanda dauern die - vorwiegend gegen Zivilisten laufenden - Prozesse noch an.

Menschenrechtsaktivistin Mattioli-Zeltner appelliert an die Staatengemeinschaft, gerade nach der Schließung des ICTR die verbliebenen Täter und Hintermänner des Genozids in Ruanda zu verfolgen. "Nach dem Genozid 1994 sind viele der Straftäter in andere Länder geflohen. Unserer Meinung nach ist es sehr wichtig, dass diese Länder weiterhin wachsam bleiben. Und wenn der Verdacht aufkommt, dass jemand in den Völkermord involviert ist, dann können auch Drittstaaten diese Fälle untersuchen und die verdächtigen Personen vor Gericht stellen."

Ein solcher Prozess wurde am 29.12.2015 in Deutschland beendet: Wegen Mittäterschaft am Völkermord in Ruanda hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen früheren ruandischen Bürgermeister zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Angeklagte Onesphore Ruwabukombe habe im April 1994 "wissentlich und willentlich" ein Massaker auf einem Kirchengelände "vorbereitet, organisiert, befehligt und ausgeführt", befand das Gericht.

Mitarbeit: Frejus Quenum