Missbrauchsverdacht jetzt auch in Privatschule
6. März 2010Tag für Tag werden in Deutschland neue Fälle bekannt, in denen Kinder in kirchlichen und privaten Einrichtungen Opfer sexuellen Missbrauchs wurden. Auch wenn die Verbrechen zum Teil bereits Jahrzehnte zurück liegen – aufgearbeitet sind sie noch lange nicht. Am Samstag (06.03.2010) wurde bekannt, dass in einer privaten Eliteschule im hessischen Heppenheim bis zu 100 Kinder Opfer sexueller Gewalt geworden sein sollen.
Eliteschule im Zwielicht
Nach Angaben der "Frankfurter Rundschau" vom Samstag waren in die Vorfälle in den Jahren 1971 bis 1985 der damalige Leiter sowie mehrere Lehrer der Odenwald-Schule verwickelt. Der massenhafte Missbrauch sei offenbar systematisch vertuscht worden. Die derzeitige Leiterin der UNESCO-Modellschule, Margarita Kaufmann, räumte ein, das Ausmaß des Missbrauchs sei größer als bisher angenommen. Die Schule sei "durch die Berichte der Opfer und das Ausmaß der Verbrechen erschüttert und irritiert", hieß es auf der Internetseite der Schule.
Katholische Einrichtungen
Unterdessen hält auch die Diskussion über die bekannt gewordenen Fälle in katholischen Einrichtungen an. Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper bezeichnete eine kircheninterne ernsthafte Reinigung als dringend erforderlich. Kasper sagte der Tageszeitung "La Repubblica" am Samstag weiter, es sei gut, dass Papst Benedikt XVI. "Null-Toleranz" gegenüber denen verlange, die sich mit so schwerer Schuld beschmutzt hätten.
Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) sieht durch den Missbrauchsskandal das Verhältnis von Staat und Kirche gefährdet. Nötig sei eine bessere Zusammenarbeit der Kirche mit der Justiz, so Merk in der "Süddeutschen Zeitung". Zudem forderte die Politikerin längere Verjährungsfristen für derartige Delikte.
Regensburger Domspatzen
Am Freitag war bekannt geworden, dass es auch bei den "Regensburger Domspatzen" Fälle sexuellen Missbrauchs gab. In den 50er und 60er Jahren seien zwei Geistliche verurteilt worden, sagte der Sprecher des Bistums Regensburg, Clemens Neck. Details zu den Verfehlungen der beiden inzwischen verstorbenen kirchlichen Mitarbeiter lägen dem Bistum bislang noch nicht vor.
Den nun eingegangenen Hinweisen von früheren Chorknaben sei zu entnehmen, dass es sich sowohl um Prügelstrafen als auch sexuellen Missbrauch gehandelt habe. Einer der Verurteilten, ein Internats-Leiter, sei 1958 aus dem Dienst des Domspatzen-Gymnasiums entfernt worden, erklärte Neck. Die Regensburger Diözesan-Beauftragte für sexuellen Missbrauch, Birgit Böhm, bat alle Betroffenen, sich zu melden. Ziel sei nicht nur Hilfe für die Opfer und Prävention, sondern auch eine straf- und kirchenrechtliche Verfolgung der Täter.
Georg Ratzinger: Hatte keine Kenntnis
Nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" sind mehrere frühere Regensburger Domspatzen, die sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt wurden, bei Therapeuten im Münchner Raum in Behandlung. Der Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der bis 1967 im Regensburger Internat der Domspatzen lebte, berichtete dem Magazin, in seinem Jahrgang habe einer der Mitschüler kurz vor dem Abitur Selbstmord begangen. Jeder habe gewusst, dass sich der damalige Internatsdirektor abends zwei, drei Jungen aus dem Schlafsaal geholt und in seine Wohung mitgenommen habe, sagte Wittenbrink, ein Neffe des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel (CSU). Ihm sei es unerklärlich, dass Georg Ratzinger, der Bruder des Papstes, von all dem nichts mitbekommen habe. Georg Ratzinger, der den weltberühmten Knabenchor von 1964 bis 1994 als Domkapellmeister leitete, hatte nach eigenen Angaben keinerlei Kenntnis von den über Missbrauchsfälle im Chor.
Kloster Ettal: Misshandlungen bis 1990
Konkrete Berichte über frühere Misshandlungen legte unterdessen der von der Benediktiner-Abtei Ettal eingesetzte Sonderermittler Thomas Pfister vor. In der Schule und im Internat des Klosters seien bis zum Jahr 1990 Kinder körperlich gezüchtigt und sexuell missbraucht worden, erklärte der Anwalt. Die Vorfälle seien heute verjährt, hätten aber bei rechtzeitiger Verfolgung durch die Justiz wahrscheinlich zu mehrjährigen Haftstrafen geführt. Eine systematische Kultur des Wegschauens und Verschweigens im Kloster habe den Tätern ihr Treiben erleichtert.
Zwar sei das Kloster heute eine "andere Welt". Dennoch müssten sich auch die Internatsleiter der 90er Jahre Kritik gefallen lassen. So sei es fraglich, warum damals ein Lehrer weiterbeschäftigt wurde, der innerhalb der Schule als Vertreter der autoritären alten Garde bekannt gewesen sei.
Autor: Hartmut Lüning, Christian Fähndrich (dpa, kna, epd)
Redaktion: Sabine Faber