Mindestlöhne führen nicht zum Stellenabbau
4. April 2006Innerhalb der EU wird kein einheitlicher Mindestlohn gezahlt; jedes Land passt ihn seiner wirtschaftlichen Leistungskraft und den Lebenshaltungskosten an. So sind jedem Arbeitnehmer in Großbritannien, Irland oder Frankreich um die acht Euro pro Stunde sicher. In Südeuropa variieren die Mindestlöhne zwischen 2,62 und 3,86 Euro. Und in den osteuropäischen Staaten garantiert man derzeit Bruttostundenlöhne bis zu einer Höhe von 1,58 Euro.
Das alles ohne negative Auswirkungen: Massenentlassungen, insbesondere im Niedriglohnbereich, habe es nirgends gegeben, betont Thomas Schulten, Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das WSI hat gerade eine europäische Vergleichsstudie zum Thema publiziert. Thomas Schulten fasst das Ergebnis so zusammen: "Die Mehrheit der internationalen Forschung geht heute davon aus, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Höhe des Mindestlohnes und der Entwicklung der Beschäftigung gibt. Weder in die negative noch in die positive Richtung."
Mindestlohn verbessert Einkommenssituation
Vielmehr habe sich dank des gesetzlichen Mindestlohns die Einkommenssituation von Geringverdienern überall deutlich verbessert. Darüber hinaus, so WSI-Mitarbeiter Claus Schäfer, profitieren auch die Betriebe von dieser verbindlichen Regelung: Der gesetzliche Mindestlohn sorge dafür, dass auch die Arbeitgeber gleiche Wettbewerbsbedingungen vorfinden würden. "So können sie nicht durch Schmutzkonkurrenz unterboten werden - mit der Folge, dass auch die betriebliche Existenz gewährleistet ist", sagt Schäfer. "Gerade diese Arbeitgeberschutzfunktion erklärt, warum der gesetzliche Mindestlohn im Ausland eben nicht die gefürchteten negativen Beschäftigungseffekte hatte."
In Großbritannien ist die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren sogar um 25 Prozent zurückgegangen. Und das, obwohl der gesetzliche Mindestlohn seit seiner Einführung im Jahre 1999 um mehr als 40 Prozent erhöht wurde. Diese kontinuierliche Anpassung an die Lebenshaltungskosten haben die Regierung, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften gemeinsam vorgenommen - eine Praxis, die sich übrigens auch in vielen anderen europäischen Ländern bewährt hat.
Skandinavien: Starke Stellung der Gewerkschaften
Etwas anders funktioniert das Prozedere hingegen in den skandinavischen Staaten, in Österreich und Italien. In diesen Ländern gibt es nämlich keinen gesetzlichen, sondern nur einen durch Tarifverträge festgelegten Mindestlohn. Ausgehandelt wird er ohne Regierungsbeteilung nur von Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbänden. Seine flächendeckende Geltung verdankt er etwa in Skandinavien dem Umstand, dass hier rund 90 Prozent der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind.
In Deutschland beklagen dagegen die Gewerkschaften einen massiven Mitgliederschwund, während gleichzeitig die Tarifbindung in vielen Branchen abnimmt. Die Folge sei, so Thorsten Schulten, "dass meines Erachtens Deutschland in Europa mit den dereguliertesten und am wenigsten gesicherten Niedriglohnsektor in Europa hat."
Schlusslicht Deutschland
In Deutschland arbeiten mindestens sieben Millionen Menschen im Niedriglohnsektor, die einen mit einer vollen, die anderen mit einer Teilzeitstelle. Sie alle verdienen extrem wenig, sind potentiell auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen und konsumieren nur wenig. Mit Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde sich das alles ändern, sagen die Experten des WSI. Vorausgesetzt, der Mindestlohn hat die entsprechende Höhe.
Als Orientierungsgröße empfehlen sie deshalb die so genannte Pfändungsfreigrenze von derzeit 985 Euro netto, die der Gerichtsvollzieher jedem verschuldeten alleinstehenden Erwerbstätigen monatlich lassen muss - egal wie hoch dessen Verbindlichkeiten auch sein mögen. Das entspräche einem Bruttostundenlohn von rund 8,10 Euro. Womit der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland etwa so hoch wäre wie in Frankreich, Großbritannien oder Irland.