Millionenfund: Rubens-Gemälde wird versteigert
28. Juli 2020Ein verstaubtes altes Gemälde hängt seit Generationen in der Kunstsammlung einer Adelsfamilie. Als ein anonymer Verkäufer an das renommierte Auktionshaus Sotheby's herantritt, um das Bild schätzen zu lassen, stellen die Experten fest, dass es sich um ein Original handelt. Gemalt wurde das Bild vom berühmten flämischen Barockmaler Peter Paul Rubens (1577-1640). Der Kunstexperte Herbert van Mierlo begutachtet solche Einreichungen für Sotheby's und erzählt im DW-Interview, was so einer überraschenden Expertise alles vorangeht.
DW: Herr van Mierlo, Sie nehmen Kunstwerke genau unter die Lupe, wenn sie beim Auktionshaus Sotheby's eingereicht werden - bevor sie in die Versteigerung gehen. Kommt das jedes Jahr mal vor, dass so ein Millionenschatz wie dieser Rubens entdeckt wird, im Flur, auf dem Dachboden oder anderswo? Oder ist das eher die Ausnahme?
Herbert van Mierlo: Es ist im Prinzip eine Ausnahme. Aber da Sotheby's als internationales Auktionshaus weltweit operiert - und ich bin nicht der einzige Experte, der die Objekte bewertet und schätzt, da sind weltweit ein paar hundert Kollegen, die diese Expertise haben - passiert so eine Entdeckung schon immer wieder mal.
In diesem Fall ist es ein wertvolles Gemälde von Peter Paul Rubens: "Porträt einer Dame", das über 100 Jahre in einer Familiensammlung schlummerte. Wenn so ein Fund bei Sotheby's avisiert wird, fahren Sie dann dorthin und schauen, ob das Bild auf dem Dachboden oder auf dem Flur echt ist?
Dafür gibt es kein festes Szenario. Aber was dann Schritt für Schritt stattfindet, ist Folgendes: Wenn potenzielle Kunden hier bei uns anrufen, die ein ähnliches Werk oder Objekt haben oder besitzen, ist die erste Frage, ob es ein Foto davon gibt. Das ist dann der erste Eindruck. Und da wir viel Erfahrung bei Sotheby's haben, sehen wir dann auf den ersten Blick, ob ein gewisses Potenzial da ist.
Potenzial an Wert? Es könnte ja auch eine gute Fälschung sein?
Nicht unbedingt ein Potenzial an Wert. Es sind einzelne Schritte. Wir sehen auch, ob das Objekt nicht eine Fälschung, eine Kopie oder einfach ein schlechtes Gemälde ist. Und auch kein massenproduziertes Kunstwerk, oder ob anhand des Fotos erkennbar ist, ob es bestimmte Qualitätsmerkmale hat oder nicht.
Bei Malern wie Rubens ist das ja nicht so einfach, es gibt viele Bilder aus seiner Werkstatt, von seinen Schülern und Gesellen. Da gibt es eine große Spannweite für den Wert des Bildes. Ist ein Gemälde aus der Hand des Meisters sehr viel wertvoller?
Das ist auch bei diesem Bild so. Das Gemälde ist auch in der Literatur bekannt. Es blieb 139 Jahre lang in einer Familiensammlung, bis ein anonymer Käufer das Werk 2017 für 78.000 Pfund kaufte, katalogisiert als eine Arbeit, die aus der Werkstatt von Rubens stammt. Und der Meister hatte eine sehr große Werkstatt.
Das bedeutet, es wurde vermutet, dass es von einem Assistenten von Rubens gemalt wurde. Der Käufer hat gehofft, dass es sich um ein Original des Meisters handelt und brachte es zur Einschätzung zu Sotheby's. Und jetzt verkauft er das Werk, das auf 2,5 bis 3,5 Millionen Pfund geschätzt ist.
Der Vorbesitzer hat das Bild reinigen lassen, es war nämlich sehr schmutzig. Und unser Experte in London, Andrew Fletcher (Anm.d. Red.:Chef der Abteilung für Alte Meister bei Sotheby's), hat daraufhin festgestellt, dass es tatsächlich ein echter Rubens ist.
Dann wird in der Regel die Meinung von anerkannten Museumsleuten und externen Experten, die auf das Werk von Rubens spezialisiert sind, hinzugezogen. Und wenn das Bild als allgemein akzeptiertes, eigenhändiges Werk von Rubens angesehen wird, dann kommen komplett andere Werte heraus.
Man kann ja nicht alles wissen. Sie sind ein versierter Kunsthistoriker und kennen sehr viele Maler und Künstler und deren Kunstwerke. Holen Sie zur Sicherheit noch einen Spezialisten dazu? Auch bei moderner Kunst und einem Picasso zum Beispiel?
Meistens ist das anders: Es gibt zum Beispiel eine Haushaltsauflösung mit Silber, Porzellan. Dann schaue ich mir das an und es kann sein, dass es schon Informationen über die einzelnen Objekte gibt. Häufig sind die Sachen von den Eltern oder Großeltern gekauft worden. Existieren da vielleicht noch alte Rechnungen oder Ähnliches? Das kann allerhand sein.
Ich bin Kunsthistoriker und habe ein Spezialgebiet, habe über die Jahre sehr viel Kunst gesehen, dennoch bin ich auf anderen Gebieten nicht allwissend. Aber ich weiß ein paar wichtige Elemente, auf die ich achten sollte.
Die Objekte oder Gemälde nehme ich dann auf, fotografiere sie, nehme die Maße und notiere Informationen. Und dann gehe ich - das ist der nächste Schritt - in die Abstimmung mit meinen internationalen Kollegen, die alle noch ihre Spezialgebiete haben. Je nachdem, ob es sich um Alte Meister, Malerei des 19. Jahrhunderts oder Impressionisten handelt. Das ist ein weltweites Netz von Experten.
Das kann enorm wichtig sein, weil wir dann den Besitzern vorschlagen: Bringen Sie uns das Objekt vorbei, damit wir intensiver recherchieren und alles überprüfen können. Oder der Experte aus London oder New York oder Italien reist extra an, um sich das Gemälde im Original anzuschauen.
Ist es wichtig, dass so ein wertvolles historisches Gemälde noch einen Rahmen hat? Kann der Ihnen und den anderen Gemäldespezialisten auch eine Geschichte erzählen?
Ja und nein. In erster Instanz geht es doch um das Gemälde selbst. Aber in dem Moment, in dem man ein wertvolles Gemälde zur Begutachtung vor sich hat, kann das auch wichtig werden. Es gab früher Künstler, die spezialisiert waren auf die Anfertigung von Rahmen.
Zum Beispiel gab es in England einen Künstler, der hieß Grinling Gibbons (1648-1721, englischer Bildhauer, ausgebildet in Holland / Anm.d.Red.). Das war ein sehr feiner Holzschnitzer. Und wir wissen, dass für wichtige Gemälde richtige Spezialrahmen angefertigt worden sind - unter anderem auch von ihm.
Wenn man dann eine Kombination hat von einem hochbedeutenden authentischen Gemälde und einem bedeutenden historischen Rahmen, ist das ein absoluter Hinweis auf den Wert des Objektes. Aber in vielen Fällen sind die Rahmen erst später angefertigt worden. Das ist zwar nett, aber nicht unbedingt wichtig.
Wenn ein historisches Ölgemälde aus dem Rahmen herausgeschnitten ist, kann das nicht eventuell ein Indiz sein, dass das Bild gestohlen wurde? Wie gehen Sie damit um - mit Ihrem kriminalistischen Spürsinn?
Wenn das Bild herausgeschnitten ist, bedeutet das nicht unbedingt, dass es gestohlen ist. Das kann auch andere Gründe haben. Ganz berühmtes Beispiel: Die "Nachtwache" von Rembrandt. Jeder kennt das Bild - davon fehlen etwa 80 Zentimeter an der linken Seite. Im 18. Jahrhundert hat man das Bild als Leinwand benutzt, um eine Karre abzudecken. Das heißt, es kann allerhand Gründe geben, warum ein Bild aus dem Rahmen herausgeschnitten wurde.
Meine Kollegen und ich wissen, wenn ein Bild gestohlen ist. Dann ist das (in Fachkreisen, Anm. d. Red.) bekannt und die Wahrscheinlichkeit, dass man uns das anbietet, mehr als gering. Aber wenn ein Objekt, ein Gemälde oder eine Skulptur bei uns angeboten wird, dann haben wir das "ART Lost Register" und ziehen es zu Rate. Das wird immer nochmal überprüft und die gesamte Provenienz recherchiert und durchleuchtet. Wir kommen da unserer Sorgfaltspflicht stets nach.
Das Interview führte Heike Mund.
Nachtrag der Redaktion: Das Gemälde wurde für rund drei Millionen Pfund (ca. 3,3 Millionen Euro) versteigert.