"Frauen wurden bislang vernachlässigt"
25. April 2014Auf dem ausgeblichenen Sofa liegen fünf hellbraune Puppen: Aus den Augen der Puppe ganz links kullern kleine Stofftränen, die nächste Puppe guckt grimmig, eine andere strahlt in den hellen Gemeinschaftsraum des Frauenhauses. Sie sollen den Kindern, die in dem Haus leben, dabei helfen, die Gewalt zu vergessen, die ihre Mütter ins Frauenhaus getrieben hat. 102 Kinder und 71 Frauen haben im vergangenen Jahr in dem Haus, das sich hinter einer unauffälligen Eingangstür im Zentrum von Stockholm versteckt, Schutz gefunden, sagt Bridgett Stehag vom Alla Kvinnors Hus. Vor ihr sitzt eine Delegation von Parlamentariern aus aller Welt um einen großen Holztisch. Ein paar machen Notizen, andere tippen auf ihrem Handy. Wer finanziert das Frauenhaus und welche Rolle spielt die Regierung dabei?, fragt Fawzi Koofi.
"Schweden ist das beste Land der Welt, um eine Frau zu sein - meins das schlechteste", sagt die afghanische Parlamentarierin später und schüttelt den Kopf: Zwangsheirat von Kindern, Ehrenmorde, noch immer wenige Bildungschancen für Mädchen. Die Liste ist lang - zu lang, sagt Koofi. Als sie sich im Parlament für Frauenhäuser eingesetzt habe, hätten ihr andere Abgeordnete vorgeworfen, Brutstätten für Prostitution errichten zu wollen. Aber sie will weiter für Frauenrechte kämpfen, trotz der Morddrohungen, die sie regelmäßig erhält.
Koofi und die anderen Parlamentarier haben sich diese Woche in Schweden getroffen, um zu debattieren, wie sie die Rechte von Frauen und Kinder in ihren Heimatländern verbessern können. Es ist bereits das sechste Mal in den vergangenen zwölf Jahren, dass sich Politiker aus aller Welt deshalb treffen.
Gemeinsam wollen sie die Umsetzung der Ziele, die bei der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) in Kairo 1994 beschlossen wurden, analysieren und vorantreiben. Damals verabschiedeten die Konferenzteilnehmer ein Dokument mit mehr als 200 Empfehlungen, die die Rechte von Frauen und Kindern garantieren sollten und mit in die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) von 2000 geflossen sind. Damals verpflichteten sich Vertreter aus 189 Ländern zu acht internationalen Entwicklungszielen, die sie bis 2015 umsetzen wollen, zum Beispiel die Halbierung der extremen Armut. Ihr Land werde die MDGs wohl nicht erreichen, sagt die pakistanische Abgeordnete Mahtab Akbar Rashdi . Sie zuckt mit den Schultern: Es sei einfach zu wenig Geld für Entwicklung ausgegeben worden. "Das ist nicht akzeptabel, aber leider ist es so."
Die Gewalt ist allgegenwärtig
Es habe in den vergangenen Jahren durchaus viele Fortschritte in der Umsetzung gegen, sagt Rachel Snow. Sie hat untersucht, was aus den Zielen der ICPD wurde. So seien in den vergangenen zehn Jahren fast eine Milliarde Menschen der extremen Armut entkommen und fast 90 Prozent aller Kinder weltweit in eine Grundschule eingeschult worden. Auch habe es große Fortschritte in der Bekämpfung der Müttersterblichkeit gegeben. "Aber die Ärmsten der Armen sind oft abgehängt worden." Vor allem die Gleichberechtigung der Geschlechter bleibe unerfüllt. Auch Gewalt gegen Frauen sei ein großes Problem. Jede dritte Frau weltweit erlebe sexuelle oder psychische Gewalt. "Gewalt ist einfach allgegenwärtig."
Frauenrechte und der Kampf gegen Gewalt seien ein Feld, das im Vergleich zu anderen Themen in der Entwicklungspolitik hinterherhinke, sagt Babatunde Osotimehin, der Exekutivdirektor des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). "Frauen dürfen nicht länger wie Waren behandelt werden - sondern wie Menschen mit Rechten und Privilegien." Diese müssten ihnen endlich zugestanden werden, so Osotimehin im Konferenzsaal. Die Parlamentarier klatschen laut.
Frauenrechte als eigenes Ziel
Sexuelle und reproduktive Rechte und Gleichberechtigung könnten nur wirklich vorangetrieben werden, wenn sie ein eigenständiges Ziel seien, ist auch Monica Ferro überzeugt. Die portugiesische Abgeordnete wirbt eindringlich dafür, dass in der Debatte um die Folgevereinbarungen, die die 2015 auslaufenden MDGs ersetzen werden, Frauenrechte einen höheren Stellenwert erhalten. Soll heißen: Frauen müssten ein selbstbestimmtes Leben führen können, etwa durch freien Zugang zu Bildung, Verhütungsmitteln und medizinischer Versorgung.
"Frauen wurden vernachlässigt, als die MDGs vereinbart wurden", kritisiert Ferro und schüttelt den Kopf. Deshalb müssten Parlamentarier wie sie ihre Regierungen dazu drängen, feste Ziele im Bereich der Frauenrechte zu vereinbaren. "Nur dann können Parlamentarier ihre Regierungen verpflichten, diese auch einzuhalten." Europäische Staaten seien vielen anderen Regionen weit voraus: "Europa ist einer der sichersten Orte auf der Welt für Frauen." Trotzdem bleibe auch dort viel zu tun.
Bridgett Stehag vom Alla Kvinnors Hus formuliert es so: "Wir haben noch viel Arbeit vor uns." Im vergangenen Jahr musste sie 170 Frauen abweisen - aus Platzgründen. Sie seufzt. Das sei einfach nicht akzeptabel. Hinter ihr warten die weinenden und lachenden Stoffpuppen auf dem Sofa auf die nächsten Kinder aus zerbrochenen Familien.
Hinweis: Die Reise der Autorin wurde vom European Parliamentary Forum on Population and Development bezahlt.