Wenig Fortschritt beim EU-Migrationspakt
8. Oktober 2020Nach sieben Stunden Beratungen in einer Videokonferenz gingen die Innenminister der Europäischen Union ohne nennenswertes Ergebnis auseinander. Der neue "Pakt zur Migration", den die EU-Kommission vorgeschlagen hatte, um die seit fünf Jahren diskutierten Probleme zu lösen, konnte noch nicht geschlossen werden. "Keiner der Mitgliedsstaaten ist mit meinem Vorschlag völlig einverstanden", räumte die zuständige EU-Kommissarin für Migration, Ylva Johansson, auf der abschließenden Pressekonferenz in Brüssel ein.
Es habe aber eine "viel versprechende Diskussion" unter den 27 Innenministern gegeben, bewertete der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) per Videoleitung aus Berlin das virtuelle Treffen. Er sei optimistisch. "In keinem Bereich sehe ich unüberwindbare Hindernisse. Man müsse die Interessen am Ende ausbalancieren." Einig war man sich, dass aussichtlose Asylbewerber, das sind rund zwei Drittel der Ankommenden, schnell abgeschoben werden sollen. Nur wie und wohin, das ist die Frage.
"Frontstaaten" und "verpflichtende Solidarität"
Zwei Gruppen von Staaten stehen sich im Prinzip bei der Migration in der EU gegenüber. Das sind zum einen die fünf Mittelmeeranrainer Griechenland, Italien, Spanien, Zypern und Malta, in denen die allermeisten irregulären Migranten registriert werden. Auf der anderen Seite stehen die Staaten, die wie Polen, Ungarn oder auch Österreich, keine Migranten aus den Ländern der ersten Ankunft aufnehmen wollen. Zwischen beiden Gruppen bewegt sich Horst Seehofer, der als deutscher Innenminister zurzeit Ratsvorsitzender der EU ist und vermitteln soll - und will. Seehofer hat natürlich auch eigene Interessen, denn Deutschland verzeichnet mit Abstand die meisten Anträge auf Asyl in der EU.
Die EU-Kommission möchte diese beiden Staatengruppen nun mit dem neuen Prinzip der "verbindlichen Solidarität" versöhnen. Wer keine Migranten aufnehmen will, soll wenigstens zahlen oder helfen, abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer als "Abschiebe-Pate" zurückzuführen.
"Es gibt noch einige Mitgliedsstaaten, die haben etwas Distanz zur verpflichtenden Solidarität", sagte Innenminister Seehofer. Es sei klar, dass die Mittelmeer-Staaten nicht auf den Flüchtlingen "sitzenbleiben" dürften. Große Lager wie zurzeit auf der griechischen Insel Lesbos wollen weder Italien noch Spanien. Das machten die sogenannten "Frontstaaten" bei einem abendlichen Vortreffen mit Horst Seehofer am Mittwoch bereits deutlich.
Grundlegende Zweifel am Konzept
Andererseits hatte der Innenminister von Österreich, Karl Nehammer, die "verpflichtende Solidarität" in einem Zeitungsinterview abgelehnt, weil sie am Ende doch zu den aus seiner Sicht nicht durchsetzbaren Verteilungsquoten für Migranten führen würde. Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis hatte die Idee von Abschiebe-Patenschaften und verpflichtender Solidarität in Bausch und Bogen verworfen, kurz nachdem die EU-Kommission diesen Vorschlag vorgelegt hatte.
Portugal soll es richten
Die Kernidee und viele Details aus dem Pakt sind also noch umstritten. Innenminister Seehofer will wenigstens eine grundsätzliche politische Einigung in den kommenden zwei Monaten erreichen. Im November wird es ein Sondertreffen der EU-Innenminister zum Migrationspakt geben. EU-Kommissarin Ylva Johansson machte sich in Brüssel heute keine Illusionen. "Das wird auch noch die nächste, die portugiesische Ratspräsidentschaft beschäftigen", sagte sie.
Portugal übernimmt am 1. Januar für ein halbes Jahr den Vorsitz. Das Recht auf Asyl solle in der EU auf jeden Fall geschützt werden. Eine abgeschottete Festung Europa wolle man nicht, versicherten Seehofer und Johansson. Entsprechende Kritik von Flüchtlingsorganisationen sei falsch.