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Migrations-Festspiele bei der EU

Barbara Wesel, Brüssel4. Mai 2016

Die EU-Kommission behandelt gleich drei heiße Eisen der Migrationspolitik: Sie empfiehlt Visa-Freiheit für die Türkei, eine Reform der Dublin-Regeln und sie verlängert die Erlaubnis für Grenzkontrollen.

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Symbolbild: Antrag auf ein Schengen-Visum für die EU (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Es gibt keinen Freifahrtschein für die Türkei", erklärt EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans streng, aber er empfiehlt dennoch, bereits Ende Juni die Visafreiheit zu beschließen. Allerdings kauft Brüssel sich hier nur Zeit: Weil die Türkei derzeit fünf wichtige Kriterien noch nicht erfüllt, bekommt sie eine weitere Frist zum Nachbessern.

Dabei geht es um zentrale Punkte: Ein Anti-Terror-Gesetz nach EU-Regeln, die Zusammenarbeit mit EU-Justizbehörden und mit Europol, Datenschutz und Korruptionsbekämpfung. Was die besonders heikle Frage der Meinungsfreiheit angeht, so soll die Türkei auch dort Verbesserungen demonstrieren - das muss dann auch in der Praxis überprüft werden, was schwierig ist.

EU-Kommission will Engagement mit der Türkei

Angesichts grundlegender Bedenken in Deutschland, Frankreich und bei vielen Europaabgeordneten will die Kommission einen Rückfall-Mechanismus einbauen: Sollte die türkische Seite ihren Teil des Deals nicht einhalten, also etwa Flüchtlinge aus Griechenland nicht zurücknehmen, kann Brüssel die Reißleine ziehen und die Visa-Freiheit aussetzen. Dagegen hatte Ankara schon im Vorfeld laut protestiert.

Um also den Anschein der Diskriminierung zu vermeiden, wird die Rückfall-Option ab sofort in alle Visa-Abkommen eingebaut und trifft damit künftig auch Kosovaren oder Ukrainer. Zur Nervenberuhigung der Mitgliedsländer fügte Kommissar Timmermans noch hinzu: "Die Einreise in die EU ohne Visum wird es nur für den Inhaber eines biometrischen Passes geben - ohne Ausnahme."

EU-Kommissionspräsident Tusk (li.) und der türkische Präsident Erdogan (Foto: Adem Altan/AFP/Getty Images)
Wunsch der Kommission: Die EU soll sich aktiv mit der Türkei auseinandersetzenBild: Getty Images/AFP/A. Altan

Dennoch kam sofort Kritik aus dem konservativen Lager: "Mit mir nicht", erklärte etwa der CSU-Abgeordnete Markus Ferber, die EU dürfe nicht in Vorlage gehen, solange die Türkei nicht wirklich alle Kriterien für die Visa-Freiheit erfülle. Aber Skeptikern wie ihm hält Kommissar Timmermans vor: "In den Jahren, in denen wir uns mit der Türkei überhaupt nicht eingelassen haben, hat sich dort gar nichts bewegt."

Es genüge nicht, seine Kritik immer nur über den Zaun zu schreien. Timmermans will neue Beitrittskapitel eröffnen und die Türkei dabei auf die EU-Regeln verpflichten. Und der Niederländer wiederholt seine frühere Einschätzung: "Sie kommen uns nicht näher, sie entfernen sich von uns. Deswegen müssen wir uns auseinandersetzen."

Dabei unterschlägt Timmermans, dass die EU erpressbar ist, seit sie den Flüchtlings-Deal mit der Türkei abgeschlossen hat. Ankara hat offen gedroht, ihn auszusetzen, wenn die Europäer nicht liefern. Die Mitgliedsländer wissen das, ihr Ja scheint sicher. Im Europaparlament dagegen könnte es noch Probleme geben.

Porträt Frans Timmermans (Foto: picture-alliance/dpa/W. Dabkowski)
EU-Kommissar Frans Timmermans: Hatte ich schon erwähnt, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist?Bild: Imago

Dublin-Reformen - neuer Versuch mit Strafzahlungen

Mit ihrem jüngsten Vorstoß für eine grundlegende Reform der Dublin-Regeln biss die EU-Kommission bei den Mitgliedsländern sofort auf Granit. Den geltenden Grundsatz, dass das Land der Erst-Einreise für Flüchtlinge zuständig bleibt, wollte niemand aufgeben. Außer den beiden Hauptbetroffenen Griechenland und Italien natürlich.

Deshalb schlägt Frans Timmermans jetzt vor, sie über einen Korrekturmechanismus zu entlasten. Zugrunde gelegt wird dabei für jedes EU-Land ein Schlüssel entsprechend seiner Größe und Wirtschaftskraft. Wird er deutlich überschritten, werden Flüchtlinge automatisch auf die anderen Mitgliedsländer umverteilt, per Quote. Das kleine und arme Griechenland könnte also schnell die Masse der Ankommenden weiterreichen.

Der Clou dabei soll aber sein: Wer nicht mitmacht, soll künftig wenigstens zahlen. Die EU-Kommission will eine Strafe von 250.000 Euro erheben für jeden Flüchtling, der nach diesem "Fairness-Mechanismus" nicht akzeptiert wird. Da könnten Länder wie die Slowakei schon mal zum Scheckbuch greifen - dort wurde dieser Vorschlag schon vorab abgelehnt.

Drohung gegen osteuropäische Staaten

Daher schoss an dem Punkt die Kommission - ohne Namen zu nennen - gleich eine Breitseite in Richtung Visegrad-Staaten ab: "Wir begegnen dieser Herausforderung entweder gemeinsam, oder gar nicht! Und wenn wir hier keine Solidarität zeigen, dann wird es auch woanders keine mehr geben".

Das ist eine klare Drohung in Richtung jener osteuropäischen Länder, die bislang die Aufnahme von Flüchtlingen rundum ablehnen. "Unser Vorschlag ist ehrgeizig, fair und gerecht", sagte Kommissar Timmermans zur eigenen Reform. Und die könnte wohl mit qualifizierter Mehrheit im Rat der Regierungen beschlossen werien, ohne Zustimmung der Osteuropäer, wenn es anders nicht geht.

Passkontrolle in Dänemark (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
Grenzkontrollen: Deutschland, Dänemark, Schweden, Österreich und Norwegen dürfen sie fortsetzenBild: S. Gallup/Getty Images

Fristverlängerung für Grenzkontrollen

"Griechenland hat bei der Sicherung der Außengrenzen große Fortschritte gemacht, erläutert der zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos, aber es gebe noch Mängel und deswegen dürften die Kontrollen an den Schengen-Innengrenzen für Deutschland und andere noch einmal für ein halbes Jahr verlängert werden.

Aber, so warnt der Kommissar, "das ist eine außergewöhnliche Maßnahme und wir wollen so bald wie möglich zu den Schengen-Regeln zurückkehren". In Brüssel lebt die Hoffnung weiter, dass der offene Grenzverkehr zurückkehrt und das Leben wieder wird wie vor der Flüchtlingskrise.

EU-Kommission will Solidarität erzwingen

Die EU-Kommission versucht mit ihren Vorschlägen eine Art Befreiungsschlag: Im Umgang mit der Türkei versucht sie, die unerfreuliche Situation der Erpressbarkeit ins Positive zu drehen und daraus ein aktives Engagement mit der Regierung in Ankara zu machen.

Bei der verfahrenen Umverteilungsfrage in der Flüchtlingspolitik packt sie ebenfalls den Stier bei den Hörnern: Notfalls muss man Solidarität erzwingen, heißt die Ansage aus Brüssel - diese Aussage wird vor allem in Osteuropa auf wenig Freude stoßen.