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PolitikEuropa

Migration: Das Menschenrechts-Dilemma der EU

27. Oktober 2020

Überfüllte Flüchtlingslager, zerstrittene Mitgliedsstaaten: seit Jahren sucht die EU nach einer gemeinsamen Asylpolitik. Ob und wie diese mit den Prinzipien der Menschenrechte einhergeht, hat nun eine Studie untersucht.

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Tägliche Arbeit und Übungen auf dem Seenotrettungsschiff Ocean Viking
Bild: Anthony Jean/SOS Mediterranee

In wenigen Politikfeldern sind sich EU-Mitgliedsstaaten so uneins wie beim Thema Migration und Asyl. Länder wie Ungarn wollen so wenige Migranten aufnehmen wie möglich, während EU-Staaten an den Außengrenzen klagen, mit dem Problem allein gelassen zu werden. Spätestens im Jahr 2015, als hunderttausende Menschen versuchten, in der EU aufgenommen zu werden, wurden die Differenzen unübersehbar. Seither gab es immer wieder Bestrebungen, Migration und Asyl in der EU besser zu organisieren. Erst im September legte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Reform des europäischen Asylsystems vor.

Immer bewegen sich die EU-Staaten dabei im Spannungsfeld, die eigenen Interessen zu berücksichtigen und Migration zu regulieren, und andererseits fundamentale Menschenrechte zu achten. Die Studie "Human Rights Challenges to European Migration Policy" – kurz "Remap" genannt des Deutschen Instituts für Menschenrechte und gefördert von der Stiftung Mercator zeigt nun, an welchen Stellen Menschenrechte und EU-Migrationspolitik besonders stark kollidieren.

Anspruch und Wirklichkeit

"Die EU hat den Anspruch an sich selbst, als Förderin der Menschenrechte aufzutreten", sagt Mit-Autor der Studie Frederik von Harbou von der Ernst-Abbe-Hochschule Jena der DW. Das zeige sich auch darin, dass Menschenrechte zunehmend auch eine Rolle in der Migrationspolitik spielten. Ein Beispiel dafür sei Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache der EU.

Deutschland Coronavirus Symbolbild Ankerzentrum
Auch sogenannte Ankerzentren für Flüchtlinge hat die Studie kritisch untersuchtBild: picture-alliance/dpa/K. J. Hildenbrand

Im Jahr 2018 wurde die Grenzschutz-Agentur zwar mit umfangreichen neuen Befugnissen ausgestattet, aber in der Verordnung, die das regelte, tauchten auch "Menschenrechtsmechanismen" auf, sagt Harbou. Beispielweise gäbe es nun die Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen der Agentur zu melden und auch das Prinzip des völkerrechtlichen Grundsatzes der Nichtzurückweisung werde mehrfach erwähnt. Das Prinzip besagt, dass Menschen nicht in Staaten zurückgeführt werden dürfen, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Allerdings, sagt Harbou seien diese Menschenrechtsmechanismen bisher eher "stumpfe Schwerter", da sie noch nicht ausgereift seien.

An den Grenzen abgewiesen

Besonders an den EU-Außengrenze zeige sich, laut Remap-Studie, dass die EU zwar einen Anspruch auf Einhaltung der Menschenrechte habe, diesem aber nicht gerecht werde. "Wenn man einmal im europäischen Asylsystem aufgenommen ist, gibt es einen ganz guten Standard, ein geordnetes Asylverfahren zu durchlaufen. Das Schutzniveau während des Asylverfahrens ist schon recht weit ausgebaut", sagt Harbou.

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Weil die EU-Mitgliedsstaaten das aber wüssten, setzten sie verschiedenen Strategien ein, um möglichst wenigen Menschen Zugang zum Asylsystem zu verschaffen. Das geschehe einerseits durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie Libyen, die den Zugang nach Europa verhinderten oder, indem europäische Häfen für Rettungsschiffe geschlossen würden. Das entschieden zwar die Mitgliedsstaaten selbst, häufig toleriere aber die EU diese Entscheidung.

In einem anderen Fall mache sich die EU aber direkt mitschuldig. "Wenn Positionsdaten von Schiffen an die libysche Küstenwache weitergegeben werden, begeht die EU aus unserer Sicht Beihilfe zur Handlung einer völkerrechtswidrigen Tat", sagt Harbou. Bedeutet: Mit den Positionsdaten kann die libysche Küstenwache die Boote zurück nach Libyen bringen, wo den Menschen unter Umständen Folter droht. Das würde dann das Nichtzurückweisungsprinzip verletzen.

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Die Remap-Studie schlägt deshalb vor, mehr legale Migrationswege in die EU zu schaffen und setzt dabei auf das Prinzip des Humanitären Visums. Menschen könnten dann in Auslandsvertretungen ein solches Visum beantragen und in der EU das Asylverfahren durchlaufen. Erst im vergangenen Jahr haben sich allerdings mehrere EU-Staaten gegen ein solches Verfahren ausgesprochen. Frankreich beispielsweise warnte davor, dass diplomatischen Vertretungen, angesichts der zahlreichen Konflikte auf der Welt, mit den Anträgen überfordert wären.

Bei Reformen vorsichtig sein

Seit Ende September liegen nun erneut Reformvorschläge der EU-Kommission auf dem Tisch. Sie sollen endlich die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik schaffen, die der EU bislang fehlt. Die Pläne sehen unter anderem Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen, sogenannte Sicherheitsscreenings und eine Neuausgestaltung des Dublin-Verfahrens vor. Bisher regelt die Dublin III-Verordnung, dass ein Flüchtling dort sein Asyl beantragen muss, wo er erstmals europäischen Boden betreten hat.

Die Remap-Studie befasst sich auch mit den Reformplänen und betont, Menschenrechte auch dabei nicht außer Acht zu lassen. Das Dublin-Verfahren sollte demnach eine gewisse Flexibilität behalten und auch individuelle Faktoren, wie eine familiäre Bindung zu einem EU-Mitgliedsstaat, zu berücksichtigen.

Bei den Sicherheitsscreenings müssten ebenfalls menschrechtliche Überlegungen eine Rolle spielen. "Wenn das Verfahren mit geschlossenen Zentren einhergeht, die pauschal Freiheitsentzug praktizieren, dann ist das aus Menschenrechtsperspektive abzulehnen", sagt von Harbou. Insgesamt müsse sich die EU daran erinnern, dass nur eine Migrationspolitik, die im Einklang mit den Menschenrechten stehe, auch eine nachhaltige sein könne – auch damit die EU international seine Glaubwürdigkeit als Hüterin der Menschenrechte nicht verspiele.