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Migranten mit Mandat

29. September 2009

Von den etwa 80 Millionen Bundesbürgern haben rund 15 Millionen einen "Migrationshintergrund". Diese Bevölkerungsgruppe ist - wie die Aussiedler - im Bundestag nicht ausreichend repräsentiert.

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Blick in den Deutschen Bundestag (Foto: AP)
Das Parlament soll die gesellschaftliche Realität widerspiegeln - eigentlichBild: AP

Zwar wird überall der Integration von "Menschen mit Migrationshintergrund" das Wort geredet und es werden seit Jahren Millionen für gut gemeinte Integrationsprogramme ausgegeben. Trotzdem ist die Integration nicht in gleichem Tempo gelungen, wie die Bemühungen gestiegen sind. Das zeigt sich auch an der Zusammensetzung des Bundestags.

Zusammensetzung nicht repräsentativ

Die Anwesenheit von Menschen mit ausländischen Wurzeln spiegelt sich im gerade neu gewählten Parlament nicht wider. Wollte diese Bevölkerungsgruppe angemessen vertreten sein, müssten rund 100 Abgeordnete auf ausländische Wurzeln zurückblicken können. Es sind aber gerade mal 15! Fünf von ihnen haben türkische Wurzeln, vier stammen aus Familien, in denen iranische Wurzeln vorhanden sind. Polnische und kroatische Spuren finden sich in den Familiengeschichten von sechs weiteren Bundestagsabgeordneten. Die etwa zweieinhalb Millionen Aussiedler stellen keinen Abgeordneten des Deutschen Bundestags.

Abgeschreckt vom "C"

Memet Kilic, neu gewählter Bundestagsabgeordneter der Grünen (Foto: dpa)
Memet Kilic (Grüne): "Bürgerrechte für Ausländer stärken!"Bild: picture-alliance / dpa

Bei der CDU/CSU werden viele der zumeist muslimischen Migranten durch das "C" - also die christliche Prägung der beiden Parteien - abgeschreckt. Zudem hat die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft viele Menschen mit ausländischen Wurzeln von der Union ferngehalten.

Die grüne Abgeordnete Ekin Deligöz erwartet von der neuen schwarz-gelben Regierung eine weitere Verschlechterung der Lage für Menschen mit ausländischer Herkunft. Sie will "dieser Rückwärtsentwicklung" entgegenwirken und die "Stimmen der Ausländer hörbar machen".

Auch der Rechtsanwalt Memet Kilic von den Grünen erwartet eine harte Auseinandersetzung mit der Regierung, weil "die Bürgerrechte bei der FDP keine große Rolle spielen und deshalb nicht auf der Agenda sind".

Für Serkan Tören von der FDP ist es tatsächlich ein großes politisches Thema, dass es für alle Menschen die gleichen Rechte gibt. Er fordert "gleiche Rechte in der Schule und in der Ausbildung". "Die früheren Regierungen", fügt Serkan Tören an, "haben in diesem Punkt keine besondere Arbeit geleistet. Wir werden dies in den Vordergrund stellen.“

Gesellschaftliches Klima

Insgesamt haben aus Sicht der Menschen mit ausländischen Wurzeln die bisherigen Regierungen nicht genug getan. Aber auch die Parteien stehen in der Kritik. Sie tun sich schwer, den Wandel der Gesellschaft in ihrem Personalangebot entsprechend abzubilden. Das liegt vielfach daran, dass die Parteibasis "ausländische" Kandidaten nicht unterstützt oder dass die Parteistrategen das Wählerpotenzial unterschätzen, das von den Menschen mit anderen kulturellen Wurzeln repräsentiert wird.

Als der türkischstämmige Bülent Arslan 2002 für die CDU in Hagen kandidieren wollte, löste er heftige Diskussionen an der Parteibasis aus. CDU-Mitglieder agitierten gegen ihn, weil er Moslem ist und auf gar keinen Fall die christlichen Werte der CDU nach außen vertreten könne. Nach langwierigen Parteidebatten gab Arslan schließlich auf und zog seine Kandidatur zurück.

Grünen-Parteichef Cem Özdemir
Grünen-Parteichef Cem ÖzdemirBild: AP

Sieht man vom grünen Parteichef Cem Özdemir ab, gibt es keinen Politiker mit Migrationshintergrund in einem herausragenden politischen Amt. Eine Studie des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 2008 diagnostiziert vor allem ein gesellschaftliches Klima als Grund. Danach seien gleiche Rechte für alle Bürger kein politisches Ziel, auf das gesteigerten Wert gelegt werde. Zudem sei die desinteressierte bis abweisende Haltung der großen Parteien hierfür verantwortlich. Lediglich die Grünen und die Linkspartei hätten sich uneingeschränkt für die Mitarbeit ausländischer Politikerinnen und Politikern engagiert.

Die großen Parteien betrachten es zwar als wünschenswert, Einwanderer in den eigenen Reihen zu haben, aber sie machen keinen Versuch, aus dem Wunsch Realität werden zu lassen. Die Forscher des Max-Planck-Instituts sehen "langfristig entstandene Machtstrukturen, lokale Erbhöfe und Ängste vor negativen Reaktionen der Wählerschaft auf solche Kandidatinnen und Kandidaten" als "hemmende Faktoren". Bei den Grünen ist das nach den Erfahrungen von Memet Kilic anders. Dort sei ein "Migrationshintergrund kein Bonus, aber auch kein Hindernis".

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Thomas Grimmer