Mexiko-Fans schocken den Weltmeister
17. Juni 2018Auf einmal ging es ganz schnell. Chicharito passte überlegt zu Hirving Lozano, der hatte leichtes Spiel mit Mesut Özil und schoss den Ball aus kurzer Distanz flach in die linke Ecke. "Das war das beste Tor in meinem Leben", sagte der Torschütze nach dem Spiel und ergänzte: "Das war vielleicht nicht der größte Sieg in unserer Geschichte, aber ein großartiger Erfolg ohne Frage." Dementsprechend groß war die Freude auf der Tribüne. Als Lozanos Ball im Tor hinter Manuel Neuer einschlug, "eskalierten" die zahlreich angereisten Fans der mexikanischen Nationalmannschaft.
In der mexikanischen Heimat der "El Tri" sorgte der Torjubel sogar für ein kleines Erdbeben. Laut der Seismologen sei zum Zeitpunkt des goldenen Tores ein "künstliches" Grummeln festgestellt worden, das möglicherweise durch das gleichzeitige Hochspringen Tausender Fans entstanden sei, ein "Erdbeben der Freude".
Ganz im Gegenteil zur Stimmung bei den deutschen Spielern: "Wenn sieben oder acht Mann offensiv spielen, ist es klar, dass die offensive Wucht größer ist, als die defensive Stabilität", sagte ein sichtlich genervter Mats Hummels und kritisierte damit seine Mannschaft deutlich. "Unsere Absicherung steht nicht gut. So haben sie uns heute gnadenlos ausgekontert."
Moskau in mexikanischer Hand
Wenige Stunden zuvor: Die Fans der Nordamerikaner, waren gerade aus der U-Bahn-Station gekommen und machten sich mit lautstarken Gesängen auf den Weg ins Stadion. "Hay que saltar" schallte es aus Hunderten Kehlen über den Vorplatz des Luschniki-Stadions. "Du musst springen" - und sie sprangen. Ausnahmslos. Nur die deutschen Fans schlenderten entspannt in Richtung WM-Arena. Ein Vorzeichen?
Im Stadion das gleiche Bild. Die mexikanischen Anhänger waren klar in der Überzahl. Nicht nur nominell, sondern vor allem akustisch. Jeder Ballkontakt des Teams von Bundestrainer Joachim Löw wurde gnadenlos mit Pfiffen bedacht. Balleroberungen und gelungene Aktionen der "El Tri" dagegen ohrenbetäubend bejubelt. Mit dieser Unterstützung im Rücken entzauberten die Nordamerikaner den Weltmeister im ersten Durchgang deutlich. "Wir haben in der ersten Halbzeit keine Lösungen gegen deren Spiel gefunden", gab Toni Kroos zu.
Kein Einstellungsproblem
Nicht nur die Orientierungslosigkeit seiner Spieler dürften dem Bundestrainer Kopfschmerzen bereiten. Die körperliche Verfassung einiger Spieler stimmt bedenklich. Wo war der Siegeswille, wo die Leidenschaft? Mexiko war der DFB-Elf in nahezu allen Belangen überlegen.
Ein Problem mit der Einstellung seines Teams konnte Löw aber nicht ausmachen. "Wir haben in den letzten Tagen gespürt, dass die Einstellung zu 100 Prozent da ist", sagte der 58-Jährige. "Die Spieler haben sehr fokussiert gearbeitet. Wir sind nicht richtig ins Spiel gekommen und mussten einige Male hinterherlaufen. Dadurch waren wir ein bisschen verunsichert."
"Hay que saltar"
Je länger das Spiel dauerte, desto enthusiastischer wurden die Mexikaner auf den Rängen. Spontane Tanzeinlagen, eine Umarmung zwischen "Elvis Presley", einem mexikanischen Wrestler, und "Chicharito" waren dank der Masken der Fans keine Seltenheit. In der 88. Spielminute erhob sich dann fast das ganze Stadion. Lediglich die deutschen Anhänger verharrten stoisch auf ihren Sitzschalen. Kein Aufbäumen auf dem Platz, keine Anfeuerungsrufe von den Rängen.Tiefe Enttäuschung machte sich breit. Stattdessen: "Hay que saltar" - die Mexikaner sprangen wieder, sie feierten einen bedeutenden und hochverdienten 1:0-Erfolg ihrer Mannschaft.
Auch wenn es am Ende noch einmal brenzlig wurde, als der eingewechselte Julian Brandt beinahe den Ausgleich erzielt hätte: Die Party hatte längst begonnen. Mexiko hat Geschichte geschrieben und dem Löw-Team die erste Auftaktniederlage bei einer WM seit 36 Jahren zugefügt. "Wir haben den Champion geschlagen, wir haben den Weltmeister besiegt", schrien die mexikanischen Anhänger in nahezu jedes Mikrofon, das sich gerade in der Nähe befand.