Mexiko: Der blutige Kampf um Avocados
3. März 2020Die "Welthauptstadt der Avocado" liegt zwischen sanften Hügel, bis zum Horizont klettern die Plantagen die Hänge hinauf. Die Mittagssonne taucht die Bäume an diesem Wintertag in ein sattes Grün. Im Zentrum von Uruapan, einer 300.000-Einwohner-Stadt im zentralen Mexiko, geht es beschaulich zu. Senioren treffen sich zum Plausch an der Kirche, indigene Frauen verkaufen Holzspielzeug. Aber die Ruhe täuscht.
Uruapan ist in den letzten Jahren zu einer der gefährlichsten Städte Mexikos geworden. 297 Morde zählte die Statistikbehörde Inegi hier 2018. Das sind Werte, auf die sonst nur Kriegsgebiete kommen. Die Wahrscheinlichkeit ist größer, in Uruapan ermordet zu werden, als bei beim Lotto vier Richtige zu haben.
Der letzte Mord ist gerade zwei Wochen her
Silvia Martínez muss nicht lange überlegen, woran das liegt. Die 52-jährige ist Managerin bei einem großen Avocado-Exporteur, der jeden Tag Dutzende Laster Richtung USA schickt. "Der letzte Mord bei uns ist erst zwei Wochen her. Ein Zwischenhändler lag einfach tot neben seinem Auto", erzählt Martínez, die in Wirklichkeit anders heißt. Sie hat Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Fast täglich rechnet sie damit, dass ihr jemand ein Maschinengewehr unter die Nase hält. Ihre Heimat sei immer ein ruhiger Ort gewesen. "Aber jetzt haben die Narcos die Stadt völlig unter Kontrolle. Wer sich wehrt, muss dran glauben."
Im Bundesstaat Michoacán, in dem Uruapan liegt, wachsen 40 Prozent aller weltweit angebauten Avocados. Der größte Teil davon geht in die USA. 2018 exportierte Mexiko Avocados im Wert von 2,7 Milliarden US-Dollar ins nördliche Nachbarland. Ein Kilo kostet in Uruapan aktuell rund 1,40 US-Dollar, das sind etwa fünf Avocados. Im Supermarkt jenseits der Grenze liegt der Preis bei 1,30 Dollar - pro Stück.
Ein Geschäft, das den Drogenkartellen nicht entgangen ist. In Michoacán ist der Konflikt zwischen dem Cartel Jalisco Nueva Generación, Mexikos aktuell größter Verbrecherbande, und dem Kartell Los Viagras längst eskaliert, sagt Javier Oliva, Politikwissenschaftler an Mexikos Nationaluniversität UNAM. Ihr Kerngeschäft drehe sich zwar weiter um Kokain, Marihuana und Pillen. "Aber die Konkurrenz ist gewachsen. Statt wie früher vier große Kartelle haben wir mittlerweile 250 kriminelle Organisationen in Mexiko." Die Kampf um die Territorien wächst also - und um neue Einnahmequellen. Dazu zählen laut Oliva der Diebstahl von Rohöl, Raubüberfälle, Prostitution, Organhandel, Schutzgelderpressung. Und Avocados.
Der Avocado-Boom
Der globale Appetit auf das neue 'Superfood' ist in den letzten Jahren explodiert. Allein in Deutschland hat sich die Nachfrage nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zwischen 2008 und 2018 verfünffacht. Wer Avocado bei Instagram eingibt, findet mehr als zehn Millionen Posts. Ernährungswissenschaftler preisen den hohen Vitamingehalt, die pflanzlichen Fette sollen vor Diabetes und Schlaganfällen schützen.
Der Hype um die Avocado begann in den Vereinigten Staaten. 1994 unterschrieben die USA, Kanada und Mexiko das Freihandelsabkommen Nafta. Es regelt den Warenverkehr für 500 Millionen Menschen. Waren Avocados davor noch eine teure Gourmet-Beilage, so waren sie plötzlich in jedem Supermarkt zu haben. Heute isst jeder US-Amerikaner im Schnitt 3,2 Kilo pro Jahr - besonders gerne zum Super Bowl. Die Guacamole gehört zum Football-Finale wie das Bier zum Oktoberfest.
Israel Cuevas hat den Boom an seinen Bäumen miterlebt. Der Avocado-Bauer, grünes Basecap, gepflegter Schnurrbart, führt durch eine Plantage so groß wie zehn Fußballfelder. "Wir ernten hier mehrmals im Jahr. Etwa 600 Kilo pro Baum. Vor 20 Jahren war es die Hälfte", erzählt der 44-Jährige. Die vulkanischen Böden und das feuchte Klima ließen einen so hohen Ertrag zu wie nirgends sonst auf der Welt. Lange sei das gut gegangen. "Irgendwann kamen Männer mit Pistolen. Mein Chef muss heute ein Schutzgeld zahlen - so wie jeder hier", sagt Cuevas. Im Gegenzug garantieren die Kartelle angeblich Sicherheit.
Eskalation der Gewalt
Doch immer häufiger geraten Unschuldige zwischen die Fronten. Anfang Februar starben bei Attacken der Kartelle in Uruapan 20 Menschen in drei Tagen - unter ihnen mehrere Kinder. Erst in dieser Woche fand die Polizei in der Nähe der Stadt eine Grube mit 24 Leichen. Nachrichten wie diese sind mittlerweile trauriger Alltag in Mexiko, einem Land, in dem seit Beginn des Drogenkriegs 2006 bis zu 250.000 Menschen gestorben sind.
Warum unternimmt der Staat nichts dagegen? "In Mexiko arbeitet die örtliche Polizei fast überall mit dem organisierten Verbrechen zusammen", sagt ein ranghoher US-amerikanischer Beamter, der im Auftrag seiner Regierung mexikanische Sicherheitskräfte schult. Nicht einmal seinen Vornamen will er verraten, "wegen solcher Infos rollen hier Köpfe", schreibt er auf Whatsapp. Durch die jahrzehntelange Korruption sei die Linie zwischen Freund und Feind in Mexiko völlig aufgeweicht.
Silvia Martínez glaubt nicht daran, dass Linkspräsident Andrés Manuel López Obrador an der Lage etwas ändern kann. Zwar komme ab und zu die Guardia Nacional vorbei, die neue, angeblich gegen Korruption resistente Nationalgarde. "Aber nach ein paar Tagen sind die Soldaten wieder weg."