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#MeTwo: "Das Thema gehört in Schulbücher"

4. August 2018

Mit seinem Austritt aus der Fußballnationalmannschaft hat Özil eine breit angelegte Rassismusdebatte entfacht. Woher die Diskriminierung kommt und wie sie zu bekämpfen ist, erklärt Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus.

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Prof. Dr. Riem Spielhaus, Islamwissenschaftlerin
Bild: Georg-Eckert-Institut

Riem Spielhaus ist Professorin für Islamwissenschaft mit dem Schwerpunkt Bildung und Wissenskulturen an der Georg-August-Universität Göttingen und Leiterin der Abteilung Schulbuch und Gesellschaft am Georg-Eckert-Institut, Leibniz-Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. In ihrer Promotion, "Wer ist hier Muslim?", befasste sie sich mit Islamdebatten und Selbstpositionierungen von Muslimen in Deutschland und erhielt dafür den Augsburger Wissenschaftspreis. Sie ist Vorstandsmitglied des Rats für Migration, ein Zusammenschluss von rund 160 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit Fragen zur Migration und Integration befassen.

 

Deutsche Welle: Frau Spielhaus, wie sehen Sie die aktuelle #MeTwo-Debatte?

Prof. Dr. Riem Spielhaus: Rassismus und Diskriminierung in strukturellen Zusammenhängen in Deutschland sind für jemanden, der sich wissenschaftlich mit diesem Feld beschäftigt, schon lange sichtbar. Was neu an der #MeTwo-Debatte ist, ist dass Menschen offen darüber sprechen. Sie haben das Gefühl, sie müssten das äußern und sie könnten das auch äußern. Und vor allem: Dass es auch wahrgenommen wird. Das hat es bisher in der Form noch nicht gegeben. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass es in der Özil-Debatte um einen Star geht, der schon mal den Integrations-Bambi erhalten hat. Dadurch gibt es eine andere Aufmerksamkeit für die einzelnen Schicksale.

Ein Stichwort in der Debatte lautet "Migrantisierung". Die Kabarettistin Idil Baydar etwa sagt, sie fühle sich "migrantisiert". Sie haben den Begriff geprägt. Was impliziert er?

Ich benutze gerne Begriffe, die zeigen, dass man eine Eigenschaft nicht einfach so hat. Man ist ja nicht als Migrant geboren. Es ist keine Eigenschaft, dass man Migrant ist, sondern das wird gesellschaftlich konstruiert. Das wird ja auch gerade viel diskutiert in der #MeTwo-Debatte: Die Tatsache, dass man sich selbst deutsch fühlt oder fühlte, aber ständig das Feedback bekommt, das stimme nicht und zwar durch Fragen nach der Herkunft.

Und so wird man immer wieder nach außen verwiesen. Und die Normalität, das Selbstverständnis zugehörig zu sein, wird infrage gestellt. Genauso wird ganz viel berichtet, dass das Deutschsein infrage gestellt wird: "Aber was bist du wirklich? Da steckt doch noch was anderes dahinter." Da wird immer wieder auf das Äußere verwiesen oder auf die Herkunft. Etwa 15 Prozent der Gesellschaft haben einen Migrationshintergrund - entweder einen selbst erworbenen oder über die Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern. Sie alle müssen sich ab und zu, oder jeden Tag, oder stündlich dafür rechtfertigen, dass sie hier sind und dass das nervt, das kann man sich wohl vorstellen.

Führt das dazu, dass Menschen mit binationalem Hintergrund, die gebürtige Deutsche sind, sich im Laufe ihres Heranwachsens auch nicht mehr als "deutsch" definieren?

Absolut. Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan zitiert ihre Kinder und deren Klassenkameraden, die mittlerweile davon sprechen, dass sie Ausländer sind, obwohl sie einen deutschen Pass haben - und zwar in der zweiten oder dritten Generation. Aber die Begrifflichkeit, die auf der Alltagsebene jetzt angekommen ist, besagt, dass sie weiterhin Ausländer sind und dass es ganz klar ist, wer wozu gehört.

Haben wir in Deutschland Ihrer Meinung nach ein Integrationsproblem?

Wir haben, glaube ich, durchaus ein Öffnungs-Problem. Wir haben Probleme mit durchlässigen Strukturen. Das bezieht sich sowohl auf Geschlecht als auch auf Herkunft - vor allem auch auf die soziale Herkunft, beispielsweise im Bildungssystem. Wir haben ein Problem der repräsentativen Abbildung unserer Gesellschaft in der Polizei, in der Verwaltung, auch in der Politik.

Warum tun sich einige so schwer damit, anzuerkennen, dass Menschen mehr als nur eine Identität oder Heimat haben können?

Die Menschen sind an dieser Stelle verwundbar. Das hat etwas mit der Geschichte zu tun. In Deutschland gab es eine Zeit, in der Menschen ausgelöscht wurden, weil ihnen eine falsche Loyalität unterstellt wurde. Außerdem wurden in dieser Gesellschaft schon mal wirklich Menschen ausgemerzt, wenn sie eine andere Herkunft hatten. Und das haben hier alle Menschen mitbekommen.

Wir sehen momentan aber auch noch einen anderen Grund dafür, warum die Diskussion so hitzig geführt wird und die Twitter-Kampagne so viel mehr Zulauf bekommt als alle anderen zuvor: Die Menschen haben das Gefühl, es gibt mittlerweile Personen, die Bundestagsabgeordnete sind, die sich auf diese Wissensbasis beziehen: Sie rekurrieren auf das nationalsozialistische Ideenbild eines Deutschen und sprechen auf dieser Grundlage anderen die Zugehörigkeit ab und damit auch das Existenzrecht in Deutschland.

Wie handhaben das andere Länder? Wie steht es um Integrationsdebatten und Alltagsrassismus in den europäischen Nachbarländern?

Es wird eigentlich europaweit über diese Fragen von Zugehörigkeit gesprochen, gerade auch in den Ländern Westeuropas, Nordeuropas und Teilen Südeuropas, wo es viel Einwanderung gegeben hat, über Dekaden hinweg nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben in anderen europäischen Ländern durchaus eine verhärtetete Diskussion. 

Die Briten haben lange Zeit gedacht, sie haben das gut gelöst, aber auch da gibt es Aggressionen und Ausgrenzung auf der sozialen Ebene. In Frankreich haben wir eine ganz starke Korrelation zwischen sozialem Status und ethnischer Herkunft. Dort gab es sehr viel Einwanderung aus den ehemaligen Kolonien, die im Verständnis der französischen Gesellschaft eine bestimmte Rolle hatten, und auf der sozialen Ebene ganz klar eingeordnet sind - nämlich auf den unteren gesellschaftlichen Schichten. Und da ist soziale Mobilität recht schwierig. Im Vergleich dazu steht Deutschland immer noch besser da. 

Könnten die #MeTwo-Debatte und die Reaktionen darauf zu noch mehr Spaltung in der deutschen Gesellschaft führen?

Ich bin ehrlich gesagt dankbar dafür und finde es sehr konstruktiv, dass die Thematik auf der Tagesordnung ist, auch wenn sie erst einmal spaltet. Das ist ein positiver erster Schritt. Aber ich finde, dass wir uns im nächsten Schritt fragen sollten: Wie können inklusive Räume aussehen? Wie kann Bildung aussehen, die nicht ausgrenzt, die nicht marginalisiert, die nicht abgrenzt, die nicht diskriminiert? Wie können Schulbücher aussehen, in denen Rassismus keinen Platz hat, in denen Rassismus möglicherweise sogar diskutiert und reflektiert wird - inklusive Alltagsrassismus und Alltagsdiskriminierung - sodass alle Menschen darüber nachdenken, was es heißt gemeinschaftlich eine Kultur der Anerkennung zu leben.

Das Gespräch führte Yalda Zarbakhch.