#MeToo-Vorwürfe in Jan Fabres Tanzkompanie
13. September 2018"Kein Sex, kein Solo", habe es in Jan Fabres Tanzkompanie geheißen, prangert ein offener Brief an, den ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Auszubildende seiner Gruppe Troubleyn im belgischen Kunstmagazin "Rekto:Verso" veröffentlichten.
Der 59-jährige belgische Künstler, Performer, Choreograf und Theaterregisseur Jan Fabre ist Leiter der Antwerpener Tanzkompanie Troubleyn und einer der gefragtesten Künstler der zeitgenössischen Kunstszene.
Acht der Unterzeichnerinnen des Briefs traten mit Namen auf; darunter die isländische Künstlerin Erna Ómarsdóttir und die Tänzerin Geneviève Lagravière. Ihre Anschuldigungen umfassen unterschiedliche Vorfälle von Erniedrigung und sexueller Belästigung, wie zum Beispiel "semi-geheime" Fotoprojekte, bei denen Fabre unter dem Vorwand eines Kunst-Projekts Performer zu sich nach Hause eingeladen, ihnen Alkohol und Drogen angeboten und sich ihnen dann sexuell angenähert haben soll.
Offener Brief: Ablehnung hatte Folgen
Hätten Darsteller die Annäherungsversuche Fabres abgelehnt, habe dieser mit "mehr oder minder subtilen Formen von Bestrafung, inklusive Stalking, verbaler Demütigung, Aggression und Manipulation" reagiert, heißt es in dem offenen Brief. Nicht nur sexuelle Belästigung, sondern auch Mobbing und herabwürdigendes Verhalten gegenüber einem Praktikanten aus dem nichteuropäischen Ausland werden in dem Brief thematisiert. Einer der ehemaligen Tänzer wird mit den Worten zitiert: "Er nannte uns 'Kämpfer der Schönheit', aber am Ende fühlst du dich wie ein geprügelter Hund."
Jan Fabre: "Enfant Terrible" der belgischen Kunstszene
Fabre ist bekannt für seine Provokationen und wird in den Medien oft als "Enfant Terrible" der belgischen Kunst bezeichnet, weil er beispielsweise Tänzerinnen auf der Bühne urinieren ließ, Säulen der Universität von Gent mit geräuchertem Schinken auskleidete oder für eine Performance lebende Katzen durch die Luft werfen ließ.
Der Brief, so die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, sei eine Reaktion auf ein TV-Interview Fabres, das er im Juni dem öffentlich-rechtlichen Sender VRT gab. Darin beteuerte Fabre, dass er innerhalb seiner 40-jährigen Tätigkeit niemals Probleme mit sexueller Belästigung gesehen habe.
Der offene Brief behauptet, dass dies nicht der Wahrheit entsprechen könne: Im Frühjahr 2018 habe eine Darstellerin in einer schriftlichen Korrespondenz mit der Tanzkompanie die Gründe ihrer Kündigung dargelegt und von einer "respektlosen und schmerzhaften #MeToo-Erfahrung" berichtet. Insgesamt hätten in den vergangenen zwei Jahren sechs Darsteller wegen Fällen sexueller Belästigung gekündigt - weil sie selbst involviert gewesen wären oder dagegen protestiert hätten.
Die Unterzeichner betonen, dass sie an die Öffentlichkeit gegangen seien, weil ihre Bemühungen um einen Dialog mit Fabre und der Kompanie gescheitert seien.
Sexuelle Belästigung oder künstlerischer Prozess?
Das Kunstmagazin "Rekto:Verso" veröffentlichte ebenso eine Stellungnahme Fabres zu den Vorwürfen. Darin heißt es, die Kompanie verlange und bekomme viel von ihren Schauspielern und Tänzern, was ihr erlaube, ein herausragendes und radikales Theater zu machen. Der künstlerische Prozess sei ein sensibles Thema: "Was für einen Schauspieler oder Tänzer durchaus akzeptabel ist, kann für einen anderen nicht akzeptabel sein."
Kompanie: "Medienspektakel auf der Basis von Gerüchten"
Auch die Tanzkompanie reagierte auf ihrer Seite mit einem schriftlichen Statement und erklärte, dass es in dem Unternehmen klare Grenzen gäbe: "Alles geschieht in gegenseitigem Einverständnis und Respekt. Niemand wird gezwungen, etwas zu tun, was von ihm oder ihr als inakzeptabel empfunden wird."
Die Kompanie gibt zu, dass einer der im offenen Brief erwähnten Fälle bereits bekannt gewesen sei. Allerdings habe die Betreffende weder das interne noch das externe Verfahren zur Klärung solcher Fälle gewählt. Dass sie nun in den Medien als mutig bezeichnet würde, habe einen bitteren Beigeschmack, so die Kompanie. Sie wirft ihr vor, sich für ein "Medienspektakel auf der Basis von Gerüchten" entschieden zu haben.
Jan Fabre: Sturm in den Medien steht fairem Prozess im Wege
In der offiziellen Mitteilung heißt es weiter, bei den "semi-geheimen" Fotoprojekten habe es sich um ein bekanntes Kunstprojekt von Jan Fabre gehandelt. Sex als Gegenleistung für ein Solo lehne die Kompanie entschieden ab.
Auch Jan Fabre kommt in dem Statement zu Wort. Es sei niemals seine Absicht gewesen, einzuschüchtern oder Menschen psychisch zu schaden. Er werde umfänglich kooperieren und bedauere, dass "der Sturm in den Medien eine ganze Kompanie in die Knie zwingt und einem fairen Prozess im Wege steht".
Der flämische Minister für Medien und Kultur, Sven Gatz, kündigte an, den Vorwürfen nachzugehen.
Das Werk von Jan Fabre
Berühmt wurde Fabre unter anderem mit den blauen Schraffuren, die er mit BIC-Kugelschreibern erschuf. Sein berühmtestes Werk hängt im königlichen Schloss in Brüssel. Dort hat er 2002 unter dem Titel "Heaven of Delight" die Decke eines Saales mit den grün schillernden Flügeln von Juwelenkäfern bedeckt.
Als Künstler nahm Fabre auch an der Kunst-Biennale von Venedig und der Documenta in Kassel teil und wurde mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet.
Der Künstler lebt in seinem Geburtsort Antwerpen, wo auch sein kreatives Zentrum und Laboratorium "Troubleyn" steht.
ld/bb (rektoverso.be, afp, troubleyn.be)