Özil wechselt zu Fenerbahce: Heile neue Welt?
18. Januar 2021Mesut Özil polarisiert. Die einen halten ihn für einen der besten Linksfüßer der Welt. Der vielleicht letzte echte "Zehner", der Räume entdeckt und Zuckerpässe spielt, aber zuletzt aufs Abstellgleis geraten ist. Die anderen finden, dort sei er genau richtig und werfen ihm mangelnde Einstellung vor. Viele Fans verehren ihn für seine Charity-Projekte und dass er sich als Muslim für das Schicksal der Uiguren einsetzt. Kritiker verachten die Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und halten Özils Vorwürfe bei seinem Rücktritt aus der DFB-Elf nach der WM 2018 für übertrieben.
Özil wandelt zwischen den Welten, zwischen Sport und Politik, von einer zur nächsten Kontroverse. Und so hat auch der Wechsel zum 19-fachen türkischen Meister Fenerbahce Istanbul zwei Lesarten. Beim FC Arsenal sind sie froh, dass sie den teuren Tribünengast, ohne Spielerlaubnis, aber mit Rekord-Vertrag, endlich los sind. Angeblich soll Özil bei Arsenal 20 Millionen Euro im Jahr verdient haben, so viel wie kein Spieler jemals zuvor.
Fenerbahce dagegen hat einen neuen Hoffnungsträger. Özil lässt die Fans wieder träumen. Schon Tage vor Bekanntgabe des Wechsels überschwemmten Fenerbahce-Anhänger die Kommentarspalten in den Sozialen Medien mit gelben und blauen Herzchen und hießen ihn schon mal digital willkommen.
Bei seiner Ankunft auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul ließ Özil sich mit einem Schal seines neuen Klubs Fenerbahce fotografieren. Er sei aufgeregt und "sehr glücklich", sagte er. Der Sender CNN Türk berichtete, Özil begebe sich zunächst in Quarantäne. Vereinspräsident Ali Koc hatte nach Angaben des türkischen Senders NTV ein Privatflugzeug geschickt, um Özil, seine Ehefrau und die kleine Tochter aus London abzuholen. Der 32-Jährige hatte in den sozialen Netzwerken auch verschiedene Bilder der Abreise aus London veröffentlicht. Die Zeitung "Milliyet" schrieb, eine "Fußball-Marke" komme nach Istanbul, für Fenerbahce werde ein lange gehegter Traum wahr.
Neues Kapitel in Özils Karriere
"Özil ist noch immer ein großer Name und ein Top-Spieler der letzten Jahre. Der Hype ist riesig", sagt der türkische Sportjournalist Ugur Karakullukcu. Özil schmeichelte den Fans schon länger auf dem Kurznachrichtendienst Twitter und vermeldete, dass Fenerbahce sein Herzensverein sei, schon als kleiner Junge in Gelsenkirchen: "Jeder Deutsch-Türke wächst mit einem türkischen Klub auf, den er unterstützt. Bei mir war es immer Fenerbahce."
Es ist ein Neuanfang in der Türkei und manch einer sagt, es musste so kommen. Schließlich war Özil mit dem Mega-Gehalt im Gepäck nur schwer vermittelbar. In der türkischen Süper Lig dagegen schielen sie schon lange auf Özil, der sich einreiht in eine längere Liste alternder Stars, die in den Top-Ligen Europas nicht mehr gebraucht werden. Drogba, Sneijder, Gomez, van Persie, Falcao hießen sie in den vergangenen Jahren. Özil aber ist der schillerndste Name und hat türkische Wurzeln. "Die türkischen Klubs und ihre Präsidenten agieren wie Poker-Spieler", sagt Journalist Karakullukcu. "Sie gehen jedes Jahr all-in und setzen alles auf eine Karte, um den Fans neue Stars zu präsentieren."
Fenerbahce-Präsident Ali Koc, Havard-Absolvent und einer der reichsten Geschäftsmänner der Türkei, will den Transfer über seine Koc Holding, den größten Konzern des Landes, finanzieren. Und auch Medienmogul Acun Ilicali soll involviert gewesen sein, ihm werden enge Verbindungen zu Özil selbst und zu Staatspräsident Erdogan nachgesagt. Jedenfalls ging der Wechsel Özils ungeachtet der finanziellen Schwierigkeiten über die Bühne, der Traditionsklub ist eigentlich hoch verschuldet. Max Kruse hatte zur neuen Saison seinen Vertrag bei Fenerbahce einseitig gekündigt und ist zum 1. FC Union Berlin in die Bundesliga geflüchtet. Er behauptet, der Klub habe sein Gehalt in großen Teilen nicht mehr gezahlt.
Fenerbahce "zum Siegen verdammt"
Doch es gibt auch sportliche Fragezeichen: Kann Özil, seit März 2020 ohne Spielpraxis, gleich auftrumpfen in einer veralteten Mannschaft, die den Erfolgen der Vergangenheit hinterherhechelt und kaum schnelle Stürmer zu bieten hat, die er als Spielmacher in Szene setzen könnte? Die letzte Meisterschaft datiert aus dem Jahr 2014. Andere Süper-Lig-Klubs haben Fenerbahce den Rang abgelaufen, darunter der von Erdogan mitgegründete Staats-Klub und aktuelle Meister Basaksehir und auch der alte Rivale Galatasaray. "Fenerbahce ist zum Siegen verdammt. Özil muss sich gleich beweisen", sagt Karakullukcu.
Wie auch zuletzt beim FC Arsenal kann im türkischen Fußball Euphorie schnell in Spott, Häme oder sogar Hass umschlagen. "Die türkische Presse ist skrupellos", sagt etwa Okan Altiparmak, Filmemacher und Fenerbahce-Fan. "Und in den sozialen Medien wird ein Kampf um die Vorherrschaft ausgefochten. Das ist wie Propaganda, ständig wirst du attackiert." Und wenn es besonders schlecht laufe, richte sich die Wut der Anhänger eben nicht gegen den Rivalen, sondern gegen die eigenen Spieler.
Zumindest das dürfte für Özil nicht neu sein, Druck und Anfeindungen waren ein ständiger Begleiter in seiner Karriere. Es ist nun schon sein fünfzehntes Jahr als Profi. Eine Rückkehr zu seinem Jugendklub Schalke 04 hatte Özil zuletzt abgelehnt, die Türkei und die USA stünden oben auf seiner Karriere-Liste.
Mit Deutschland hat der 32-Jährige ohnehin längst abgeschlossen. Er sieht sich als Weltstar, der über seine eigenen Kanäle kommuniziert, bevorzugt auf Englisch und Türkisch, und so Millionen von Fans erreicht. Von seinem Berater geschickt gesteuert, äußerte er sich zuletzt auch immer wieder zu politischen Themen und inszenierte sich als Job-Retter während der Corona-Pandemie. Nach seinem öffentlich ausgetragenen Rücktritt aus der DFB-Elf hat er sich mehr und mehr der Türkei zugewandt, der Wechsel kommt keineswegs überraschend.
Enge Verbindungen zu Erdogan
Das zeigt auch sein Privatleben: Im Jahr 2019 heiratete Özil in Istanbul das schwedisch-türkische Model Amine Gülse, bei der Zeremonie war auch Präsident Erdogan als Trauzeuge mit dabei. Das Promi-Paar Özil füllt schon länger die Klatschseiten in den Boulevard-Blättern. Özil hat zudem ein Haus gekauft, nicht weit entfernt vom Fenerbahce-Stadion, im Stadtteil Kisikli, dort wo auch Erdogan wohnt.
Womöglich werden noch einige weitere öffentliche Auftritte mit dem Präsidenten hinzukommen, der als heimlicher Fenerbahce-Fan gilt, obwohl Basaksehir mit besten Verbindungen zur Regierungspartei AKP gerade so erfolgreich ist. Nicht nur Erdogan wird genau hinschauen, wie sich Özil in seiner neuen Heimat präsentiert. Es bleibt die Frage, ob Özil auch wieder sportliche Schlagzeilen schreiben und die hohen Erwartungen erfüllen kann.