Berlinale: Superstar Meryl Streep geehrt
14. Februar 2012Die Berlinale - so beklagt die deutsche Presse jedes Jahr aufs Neue - ziehe nicht genügend Stars an. Mehr Glamour wünscht man sich. Der Preis, der in diesem Jahr deshalb wohl für die größte Aufmerksamkeit sorgt, ist der Goldene Ehrenbär. Denn die Frau, die ihn in Berlin am Dienstagabend (14.02.2012) entgegen nahm, ist ein "Weltstar", wie der Direktor der Berlinale, Dieter Kosslick, betont. Das stimmt bereits rein rechnerisch: Meryl Streep war 17 Mal für den Oscar nominiert, 18 Mal für den Golden Globe - so oft wie keine andere Schauspielerin.
"Die Eiserne Lady"
Inzwischen ist sie 62 Jahre alt, und entgegen aller Hollywood-Altersgrenzen für Frauen so erfolgreich wie nie. Für ihre Rolle als ehemalige britische Premierministerin Margret Thatcher in "Die Eiserne Lady" wird sie in diesem Jahr vermutlich den Oscar bekommen. Einen Golden Globe hat sie bereits im Januar entgegengenommen. Und das, obwohl der Film höchst umstritten ist. Denn Margret Thatcher gilt als die meist gehasste britische Premierministerin aller Zeiten.
"Wer könnte Margret Thatcher so sympathisch darstellen wie Meryl Streep?", fragt Rainer Rother, der als künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek an der Ehrung von Streep beteiligt ist. Dass sie genau durch diese sympathische Darstellung einen Skandal auslöst, ist für die Schauspielerin nicht das erste Mal.
Meryl Streep und die Geschichte der Familie Weiss
Die Karriere von Meryl Streep beginnt 1978 mit der US-amerikanischen Fernsehserie "Holocaust". In fünf Teilen erzählt sie die Geschichte der jüdischen Familie Weiss. Die einzelnen Familienmitglieder werden während des Nationalsozialismus diskriminiert, deportiert und in Ghettos und Konzentrationslager verschleppt. Im Zentrum stehen Karl Weiss und seine nicht-jüdische Ehefrau Inga, gespielt von Meryl Streep.
Einerseits wird die Serie in den USA gefeiert. Andererseits steht sie scharf in der Kritik, weil sie die nicht darstellbaren Gräuel des NS-Regimes in einer kommerziellen Serie zeigt.
In Deutschland wird sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm übertragen und löst Ende der 1970er Jahre erstmals eine breite öffentliche Debatte über die deutsche Kollektivschuld aus. "Die Serie", sagt Rainer Rother, "war für die Bundesrepublik Deutschland ein entscheidendes kulturhistorisches Ereignis." Sie habe einen anderen Zugang zum Reden über die eigene Vergangenheit ermöglicht.
Eine Schauspielerin, die ernst genommen wird
Die eindringliche Darstellung von Meryl Streep, die in der Rolle der Inga alles tut, damit ihr Ehemann Karl das KZ überlebt, macht die Schauspielerin in Deutschland wie international zu einer Darstellerin, die ernst genommen wird. Als eine der wenigen Deutschen, die nicht jüdischen Glaubens ist, kämpft sie in "Holocaust", leidet und lässt sich nicht brechen.
Von dieser ersten wichtigen Rolle bis zur "Eisernen Lady" ist es das, was alle Rollen, die Meryl Streep gespielt hat, eint: Es sind Frauen, die nie so handeln, wie man es von ihnen erwartet, und sich gegen alle Widerstände behaupten.
In "Kramer gegen Kramer" verlässt sie ihren Ehemann und den kleinen Sohn von einem Tag auf den anderen, weil sie es nicht mehr erträgt, allein Mutter und Ehefrau zu sein. Im Jahr 1979 ist das ein Skandal. Doch Meryl Streep drückt in den wenigen Szenen, in denen sie in dem Film überhaupt zu sehen ist, eine solche Verzweiflung aus, dass es schwer fällt, diese Frau zu verurteilen. Sie ringt um das eigene, unfassbare Handeln, und doch kann sie nicht anders. Es zeigt sich in jedem Zucken der Mundwinkel, in jedem Augenaufschlag.
Oscar No 1 und No 2
Es ist der erste Oscar, den Meryl Streep 1980 als beste Nebendarstellerin in "Kramer gegen Kramer" erhält. Bereits zwei Jahre später folgt der nächste - diesmal als beste Hauptdarstellerin für "Sophies Entscheidung". Und erneut zeigt sich, dass Meryl Streep nie die Frau an der Seite eines Mannes ist, obwohl sie stets begehrt wird - eine schöne Frau mit blonden Haaren und hohen Wangenknochen. Doch ihr Gesicht ist nie püppchenhaft, ihre Rollen nie eindimensional.
Als Sophie spielt sie eine Auschwitz-Überlebende, eine gebrochene Frau. Und doch erregt sie nicht allein Mitleid, denn im Verlauf des Films stellt sich heraus, dass sie Opfer und Täterin zugleich ist.
Kritiker wiederum haben eben diese Intellektualität Meryl Streeps häufig bemängelt. Man sehe immer, wie ihr Kopf arbeite, nie spiele sie allein mit dem Körper, soll einst eine amerikanische Filmkritikerin über sie gesagt haben.
Allein unter Männern
In "Jenseits von Afrika" erschießt sie Löwen und zeigt der kolonialen Männergesellschaft, dass sie auch alleine eine Farm führen kann. Als Margret Thatcher setzt sie sich als einzige Frau der Konservativen Partei Großbritanniens gegen alle Männer durch - und wird schließlich die erste weibliche Staatschefin Europas. Im Verlauf des Films sieht man nicht mehr die eiserne Lady Thatcher, die Demonstrationen niederschlagen lässt und wegen der Falklandinseln in den Krieg zieht, sondern die Figur, die Meryl Streep erschaffen hat und die dieses Handeln nachvollziehbar macht.
Ein Star - doch anders als das Klischee
Meryl Streep ist ohne Frage ein Star. Und doch will sie nicht dem Klischee eines Stars entsprechen. Über ihr Privatleben ist so gut wie nichts bekannt. Allein, dass sie seit 33 Jahren mit dem Bildhauer Don Gummer verheiratet ist, und mit ihm vier erwachsene Kinder hat. Studiert hat sie übrigens an der renommierten Drama School in Yale. Und sie versteht ihr Handwerk, kann etliche Dialekte, Akzente und Sprachen nachahmen. Sei es Polnisch oder Deutsch, einen dänischen, polnischen oder britischen Akzent.
Sie kann sogar Komödien wie "Der Teufel trägt Prada" oder singen wie in dem ABBA-Musical "Mamma Mia". Kaum eine Schauspielerin sei so natürlich und zugleich wandelbar wie Meryl Streep, hebt Rainer Rother von der Deutschen Kinemathek hervor. Sie ist in der Tat eine große Schauspielerin, in diesem Sinne ein Star der Schauspielkunst. Vor allem aber zeigt sie, dass Filme eine gesellschaftliche Relevanz haben können.
Autorin: Sarah Judith Hofmann
Redaktion: Julia Mahncke