Merkels schwierige Partnersuche
2. März 2017Wieder einmal versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Flüchtlingsdeal auszuhandeln. Und wieder einmal ist ihr potenzieller Partner - ähnlich wie beim Flüchtlingsabkommen mit der Türkei - höchst umstritten. Merkel reist an diesem Donnerstag nach Ägypten, am Freitag besucht sie Tunesien. Auf ihrer Reise will Merkel verschiedene Ziele erreichen.
Zum einen will sie mit Ägypten über das benachbarte Bürgerkriegsland Libyen sprechen. Von dort brechen jeden Tag viele Menschen zur Flucht über das Mittelmeer auf. Ohne eine Stabilisierung Libyens kann den Schleppern und Schleusern, die für viel Geld einen Platz auf ungesicherten Booten anbieten, nicht das Handwerk gelegt werden. Zurzeit unterstützt Ägypten den umstrittenen General Chalifa Haftar.
Zum anderen will Merkel vermutlich über einen Flüchtlingsdeal sprechen und eventuell ein Abkommen wie mit der Türkei aushandeln. Nicht nur die Bundestagswahl in diesem Herbst drängt die Kanzlerin zur Eile. Auch die anstehenden Wahlen in Frankreich und den Niederlanden, in denen rechtspopulistische Kandidaten wie Marine Le Pen und Geert Wilders mit ihrem Flüchtlings- und EU-feindlichen Kurs auf Stimmenfang gehen, könnten Merkel beeinflussen, sagt Joachim Paul, Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in der tunesischen Hauptstadt Tunis, im Gespräch mit der DW. "Die Bundesregierung und die EU versuchen alles zu machen, um im Bereich Migrationspolitik eine Wende herbeizuführen." Eine der Ideen: In Nordafrika sollen sogenannte Auffanglager errichtet werden für Menschen, die im Mittelmeer gerettet wurden. Dort sollen die Menschen dann Asyl beantragen können - oder eben zurückgeführt werden.
"Schlimmste Menschenrechtsverletzungen"
Ägypten sei ein "stabilisierendes Element" in dieser Krisenregion, lobte Merkel kürzlich und dürfte damit zumindest bei Präsident Abdel Fattah al-Sisi für gute Stimmung gesorgt haben. Doch Menschenrechtler sehen das Vorhaben kritisch. "Bei einem Regime, das die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen begeht, die es in der modernen Geschichte Ägyptens je gegeben hat - so hat es Human Rights Watch beschrieben -, bezweifle ich, dass die Auffanglager mit einem Mindeststandard von Respekt für Menschenrechte betrieben werden können", sagt auch Paul. Das Regime könne zudem nicht für Sicherheit sorgen, die Sicherheitslage habe sich eher verschlechtert als verbessert .
"Der Antiterrorkampf des Regimes richtet sich nicht nur gegen dschihadistische terroristische Organisationen sondern wird als Legitimation benutzt, um unliebsame politische Opposition auszuschalten", sagt Paul. "Wir sollten uns sehr genau anschauen, ob diese Länder, mit denen wir kooperieren - und damit meine ich hauptsächlich Ägypten - wirklich stabil sind und ob es wirklich sinnvoll ist, mit diesen Ländern derartige Abkommen zu schließen und diese Regime zu unterstützen." Die Gesellschaft für bedrohte Völker teilte in einer Erklärung mit, Merkel würde die Menschenrechtsbilanz Ägyptens beschönigen. Ihre Worte seien ein "Schlag ins Gesicht der Kopten", heißt es mit Blick auf die christliche Minderheit in dem nordafrikanischen Land. Die Organisation wirft Merkel vor, die Führung in Kairo zu hofieren, um sie zu einer engeren Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik zu bewegen. Die Kanzlerin hatte in ihrer wöchentlichen Videobotschaft gesagt, wie Christen in Ägypten ihre Religion ausüben könnten, sei beispielhaft für ein muslimisches Land.
Mehr als Migration
Ob die sogenannten Auffanglager auch in Tunesien - Merkels zweiter Station - Thema sein werden, ist unklar. Als Tunesiens Premierminister Youssef Chahed vor rund zwei Wochen zu Gast bei Merkel war, soll dies nicht Teil des Gesprächs gewesen sein. Chahed selbst hatte in einem Interview mit der FAZ eine solche Einrichtung in seinem Land klar abgelehnt. "Jedenfalls im Moment" sei dies keine gute Idee, sagte er.
Aus deutscher Sicht ist das kleinste nordafrikanische Land höchst wichtig. Als einziges Land in Nordafrika hatte Tunesien es geschafft, nach dem "Arabischen Frühling" eine demokratische Wende und Reformen umzusetzen. "Wir hoffen deshalb, dass sich die Gespräche nicht nur auf die Migrationspolitik reduzieren", sagt der Präsident der deutsch-tunesischen Gesellschaft, Raouf Khammassi, der DW. "Vor allem geht es uns um die Stärkung der bilateralen Beziehung und der Unterstützung beim Aufbau demokratischer Strukturen." Ein Auffanglager "täte unser jungen Demokratie nicht gut."
"Nicht überfordern"
Auch Joachim Paul von der Heinrich-Böll-Stiftung hält nichts von derartigen Vorhaben. "Tunesien ist auf dem Weg zur Demokratie, man sollte dieses Land nicht überfordern mit etwas, für das Tunesien nicht ursächlich verantwortlich ist." Zudem verläuft nur ein verschwindend kleiner Teil der Migration über Tunesien. Die Rechtslage der Menschen wäre mangels eines Asylrechts dort recht unsicher.
Dafür dürfte Merkel ein anderes Thema für ihre Gastgeber im Gepäck haben: Die Rückkehr von Menschen, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Zwar ist deren Zahl mit rund 1500 Menschen recht gering, doch seit dem Attentat des gebürtigen Tunesiers Anis Amri auf einen Berliner Weihnachtsmarkt hat das Thema neue Brisanz bekommen. Amri war vor seiner Tat als "Gefährder" eingestuft worden, eine Abschiebung nach Tunesien war aufgrund zunächst fehlender Papiere gescheitert. "Tunesien muss natürlich seine eigenen Staatsbürger aufnehmen, ungeachtet ob Gefährder oder nicht", sagt Paul. Doch auch in Tunesien ist die Angst vor IS-Anhängern groß. Das Land diskutiert heftig über die Rückkehr von Islamisten aus Kriegsgebieten. Ob Merkel mit ihren Vorhaben in Ägypten oder Tunesien deshalb überhaupt auf offene Ohren stößt, ist unklar - auch wenn sie vermutlich bei beiden Ländern mit Wirtschaftsinvestitionen locken dürfte.