Merkel und Faymann fordern mehr Tempo
19. November 2015"Zusammenrücken, nicht zurückweichen", das ist für den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann die gemeinsame Botschaft, die von seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgehen soll. Das gelte sowohl bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise wie auch im Kampf gegen den internationalen Terror. Nur entschlossenes, gemeinsames Handeln biete die Chance, eine politische Lösung im Syrienkonflikt zu erzielen, sagte Faymann. Die Kanzlerin betonte, dass Österreich und Deutschland auch im Kampf gegen den internationalen Terror - wie zuletzt bei den Anschlägen in Paris gesehen - zusammenrücken müssten. "Wir wissen, dies ist ein Anschlag auf unsere Grundwerte, unsere Art zu leben und auf die Freiheit." Sie rief die "freiheitsliebenden Länder dieser Erde" dazu auf, gemeinsam die Suche nach den Attentätern von Paris voranzutreiben.
Faymann: EU-Staaten "wachrütteln"
Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise sprach Faymann sich zusammen mit der Kanzlerin für mehr Tempo bei der Umsetzung von beschlossenen EU-Maßnahmen aus. Insbesondere die am meisten betroffenen Länder - wozu er Deutschland, Österreich, Schweden und die Niederlande zählt - sollten hier eine Führungsrolle einnehmen, um die anderen EU-Mitglieder "wachzurütteln", so Faymann. "Die Umsetzung ist etwas, an was wir so hart arbeiten müssen." Vereinbart hatten die EU-Staaten zuletzt, den Schutz der EU-Außengrenzen zu forcieren. Ebenso will man die Zusammenarbeit mit der Türkei vertiefen und eine Verstärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex vorantreiben. Es gelte, Griechenland bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu unterstützen. "Griechenland zuzurufen, sie sollen das alles alleine lösen, gibt keinen Sinn", so Faymann.
Dabei galt es bei dem Treffen auch, die angespannten Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland selbst zu pflegen. Zwar wurde der Flüchtlingszustrom an den deutsch-österreichischen Grenzübergängen zuletzt deutlich professioneller abgewickelt. Über Tage und Wochen hinweg herrschten hier aber teilweise chaotische Zustände, was die deutschen Behörden sogar bewog, am 13. September erstmals wieder vorübergehende Grenzkontrollen einzuführen. Für die Kanzlerin Grund genug, die in der Zwischenzeit erreichten Verbesserungen im Flüchtlingsmanagement hervorzuheben. "Hier haben wir erhebliche Fortschritte erzielt, die Abläufe sind doch sehr viel gesteuerter und geordneter, als das am Anfang war." In einem seien sich Österreich und Deutschland aber einig, sagte Faymann: "Wir können weder an der österreichischen noch an der deutschen Grenze das Flüchtlingsproblem lösen."
Aktuell können Flüchtlinge nur noch an fünf Übergängen die Grenze zwischen Österreich und Deutschland passieren. Ziel dieser Absprache war es, den Zustrom zu kanalisieren und die jeweiligen Behörden besser auf die Registrierung und Weiterleitung der Flüchtlinge vorbereiten zu können. Noch immer erreichen täglich tausende Flüchtlinge die bayrische Grenze - nach Informationen der Bundespolizeidirektion München in etwa 6300 Flüchtlinge pro Tag.
Merkel: "Hotspots müssen schnell entstehen"
Eine Begrenzung des Flüchtlingszustroms sowie mehr Ordnung im Verfahren könne es nur durch eine konsequente Sicherung der EU-Außengrenzen geben, so Merkel. "Die Hotspots müssen in Italien und in Griechenland schnell entstehen, und zwar nicht nur als Registrierungszentren, sondern auch als Verteilungszentren für eine faire Verteilung in Europa", so Merkel weiter. Bereits vor seinem Treffen mit der Kanzlerin hatte Faymann im ARD-"Morgenmagazin" davor gewarnt, Flüchtlingskrise und Terrorabwehr miteinander zu vermischen. "Flüchtlinge flüchten auch vor Terroristen", sagte Faymann.
Eine Sicht, die der Sozialdemokrat Faymann allerdings bisher nicht zur Regierungslinie in Österreich erklären konnte. Seine konservative Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ordnete an, einen vier Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Slowenien bauen zu lassen - mit Option der Erweiterung auf 25 Kilometer. Nach Ansicht der österreichischen Innenministerin soll der Flüchtlingszustrom so besser gesteuert, im besten Fall begrenzt werden können. Im ARD-"Morgenmagazin" sprach sich der österreichische Bundeskanzler gegen die Schließung von Grenzen und den Bau von Zäunen aus - nicht zuletzt, weil dies "das Ende von Schengen und der europäischen Idee" wäre.
Deutschlands Grenzkurs beschäftigt
Dass die Gefahr von Grenzschließungen aber noch nicht vom Tisch ist, davon gehen vor allem viele Staats- und Regierungschefs auf der Balkanroute der Flüchtlinge aus. In vielen Köpfen von Spitzenpolitikern geistert hier ein Schreckensszenario herum: Was passiert, wenn Deutschland seine Grenzen für Flüchtlinge schließen würde?
Ein Domino-Effekt könnte entstehen, mit unabsehbaren Folgen für Frieden und Stabilität in fragilen Balkanstaaten wie Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien oder Serbien, wie ein Mitarbeiter der UN-Entwicklungsorganisation UNDP in Mazedonien betont: "Es gibt hier auf dem Balkan keinen Plan B, was passiert, wenn Deutschland seine Grenzen dicht macht." Mazedonien, aber auch die anderen Balkan-Staaten seien nicht darauf vorbereitet, auch nur kleine Kontingente von Flüchtlingen bei sich aufnehmen zu können, sagt der Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden möchte. "An diesen Spannungen können die Länder auf dem Balkan zerbrechen."
Merkel und Faymann innenpolitisch unter Druck
Auch deshalb ist die Stabilisierung der Westbalkan-Staaten ein wichtiges Thema für Faymann und Merkel. Doch die Rücksicht auf ihre geopolitische Verantwortung bringt beide Politiker innenpolitisch stark unter Druck. Bundeskanzler Faymann appellierte dennoch an die Bürger beider Länder, all jenen zu misstrauen, die sich von Grenzschließungen schnelle Lösungen in der Flüchtlingsfrage versprechen würden: "Es gibt keine einfachen Lösungen, die auch nachhaltig und ehrlich sind."