Merkel und Barnier: Warten auf London
24. Januar 2019Kein Bild, kein Statement: Wenn der Chefunterhändler der Europäischen Union für die Brexit-Verhandlungen, wenn der Franzose Michel Barnier an diesem Donnerstag nach Berlin kommt, ist eine größere Öffentlichkeit nicht gewünscht. Der Termin ist am späten Nachmittag angesetzt, die Journalisten werden aber nur eine schwarze Limousine vor dem Kanzleramt vorfahren sehen.
London ist am Zug
Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will Barnier (auf dem Bild oben sind die beiden vor einiger Zeit in Brüssel zu sehen) über den Stand der Dinge beim Brexit sprechen, soviel steht fest. Und es bleibt beim Kurs der EU: London muss jetzt handeln, das Parlament und die Regierung hätten, so heißt es in Berlin und in den anderen europäischen Länder, oft und laut gesagt, was sie nicht wollen, nicht aber, was denn nun geschieht. Den von Premierministerin Theresa May mit der EU lange und mühsam ausgehandelten "Scheidungsvertrag" hat das Unterhaus in London spektakulär abgelehnt. Es droht ein harter Brexit, das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU Ende März ohne Vereinbarung.
Barnier: Bewegung vielleicht bei der "politischen Erklärung"
Das sieht auch Barnier so. Er äußerte sich vor seinem Besuch bei Merkel in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk": "Wenn sich nichts bewegt, wenn keine positiven Vorschläge auf den Tisch gelegt werden, dann werden wir mehr oder minder holprig oder wie in einem Unfall auf den No-Deal zum 30. März zusteuern. Wir verfolgen natürlich mit Aug und Ohr das, was in Großbritannien geschieht. Jetzt bleibt zu hoffen, dass Theresa May im Gespräch mit allen Parteien, also mit der Opposition und mit ihrer Mehrheit im Unterhaus, eine positive Position bezieht." Barnier machte klar, dass Brüssel den mehrere hundert Seiten starken "Scheidungsvertrag" nicht noch einmal verhandeln will. Aber ein Hintertürchen gibt es bei der politischen Erklärung, die dem Vertrag hinzugefügt werden soll: "Wenn aber die Briten für die Zukunft etwas mehr wollen als nur eine Freihandelszone, dann können wir uns durchaus noch einmal mit dieser politischen Erklärung auseinandersetzen, welche ja die Eckpfosten unseres zukünftigen partnerschaftlichen Verhältnisses bestimmt."
Bundesregierung gegen Aktionismus
Diese Linie, so ist die Erwartung in Berlin, werden Merkel und Barnier im Gespräch noch einmal festklopfen. Weitergehende Aktivitäten, etwa Besuche von Außenminister Heiko Maas oder gar der Kanzlerin selbst bei Theresa May in London, wie manche Politiker und Presse-Kommentare sie fordern, werden als kontraproduktiv bewertet. Gemeinsam ist fast allen Parteien und Fraktionen im Bundestag: Es ist schade und traurig, dass die Briten gehen wollen.
Am vergangenen Freitag hatten das Spitzenpolitiker, Wirtschaftsvertreter und andere Prominente in einem Leserbrief in der Londoner "Times" zum Ausdruck gebracht. Unter anderen hatten die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und SPD-Chefin Andreas Nahles den Brief unterschrieben. Die Entscheidung des britischen Volkes für den Brexit müsse man respektieren, hieß es da. "Aber die Briten sollten wissen, dass wir keine Entscheidung für unumkehrbar halten. Unsere Tür wird immer offen stehen: Europa ist Zuhause."
Nouripour: "Gespenstige Stimmung"
Auch der Außenexperte der Bundestagsfraktion der Grünen, Omid Nouripour, hält im Moment einen harten Brexit für die wahrscheinlichste Variante. Für die Europäische Union müsse es jetzt zentral sein, die übrigen EU-Länder zusammen zu halten, so Nouripour im DW-Gespräch. Der Grünen-Politiker glaubt auch nicht, dass den Briten mit einem zeitlichen Aufschub geholfen wäre: "Wenn die Premierministerin Theresa May die Autorität nicht mehr hat, wenn es Labour-Chef Corbyn wichtiger ist, dass er Premierminister wird, als dass ein Ergebnis zustande kommt, dann ist es nicht relevant, ob man den Briten noch einmal drei Monate mehr Zeit gibt. Daran wird es nicht scheitern. Sondern dann fehlen weiterhin die Grundvoraussetzungen in Großbritannien, die Ernsthaftigkeit auch, die die Dramatik eigentlich erfordert." Nouripour fügte hinzu, nach wie vor spreche auch er mit vielen Vertretern im britischen Unterhaus: "Die Stimmung ist halb gespenstig. Es gibt die Verzweifelten, Machtlosen, die sowieso den Brexit nicht wollten, und es gibt diejenigen, die den Brexit immer schon wollten, und das mit Illusionen geschürt haben, von denen sie nicht bereit sind, abzulassen." So teile ein Großteil der Bevölkerung in Großbritannien laut Umfragen immer noch die Behauptung, nach dem Ausstieg aus der EU hätten die Briten 300 Millionen Pfund pro Woche mehr zur Verfügung für ihr Gesundheitssystem.
Auch Steinmeier in großer Sorge
Auch beim Treffen der Präsidenten Deutschlands und Österreichs, Frank-Walter Steinmeier und Alexander van der Bellen, war die Lage in Großbritannien Thema. Die beiden Staatsoberhäupter trafen sich am Donnerstag in Liechtenstein, wo sie am Mittwoch an den Feiern zum 300- jährigen Bestehen des Fürstentums teilgenommen hatten. Steinmeier hatte sich zuletzt mehrfach besorgt über die Zukunft der Europäischen Union gezeigt. So sagte er bei einem Besuch in Italien vor einigen Tagen: "In der Welt von morgen werden wir Europäer uns nur vereint Gehör verschaffen und die Antworten auf die großen Herausforderungen mitgestalten können: auf den Klimawandel, die Digitalisierung, die Migration." Aber, so ist es doch sehr wahrscheinlich, dann ohne die Briten.