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Merkel beschwichtigt Kritiker

3. November 2015

Die SPD mauert noch. Im eigenen Lager aber dürfte sich die Kanzlerin mit ihrem Flüchtlingskurs weitgehend durchgesetzt haben. Vor der Unionsfraktion tritt Merkel heute gemeinsam mit CSU-Chef Seehofer auf.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Zukunftskonferenz der CDU in Darmstadt (foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Heinl

Immer mehr Kritiker zeigen sich zufrieden mit dem Kurs Angela Merkels. Und die wirbt vehement für das neue Positionspapier der Union, in das die wesentlichen Forderungen aus den Brennpunkten der Flüchtlingskrise der vergangenen Monate eingeflossen sind. So erklärte jetzt etwa der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten: "Alle weitergehenden Vorschläge zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise können auf diesem Papier aufbauen".

CSU-Chef Horst Seehofer (foto:dpa)
"Ich bin zunächst zufrieden", sagte CSU-Chef Seehofer. Vorbei die Zeit der Drohungen?Bild: picture-alliance/dpa/A. Gebert

Die Vorlage von Gegenentwürfen oder Gegenanträgen sei daher nicht mehr nötig, so der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand in der Unionsfraktion im Düsseldorfer "Handelsblatt". Von Stetten hatte die Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsdebatte wiederholt attackiert. Auch der Unions-Innenexperte und Merkel-Kritiker Wolfgang Bosbach gab sich zunächst eher abwartend.

Nach der turbulenten Sitzung der Bundestagsfraktion mit ungewöhnlich massiven Vorwürfen vor drei Wochen wird das Treffen an diesem Dienstag mit Spannung erwartet. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, der immer wieder versucht hatte, Merkel zum Beispiel mit Ultimaten zu drohen, will nun gemeinsam mit der CDU-Vorsitzenden vor den 310 Abgeordneten für das Positionspapier werben. Im Mittelpunkt dürfte die Frage stehen, wie die Zahl der ankommenden Asylbewerber verringert und wie die abgelehnten schneller abgeschoben werden können.

Zuwanderung soll begrenzt und kanalisiert werden

In dem Papier fordern CDU und CSU die Einrichtung von Transitzonen, die Begrenzung des Familiennachzugs sowie verstärkte Abschiebungen auch nach Afghanistan. Führende Unionspolitiker erwarten eine "intensive", aber "konstruktive" Diskussion in der Fraktion. Wegen der Kritik an Merkels Kurs hatten Parlamentarier angekündigt, eigene Anträge beispielsweise zur Grenzbefestigung einzubringen.

Vor den rund 1800 Teilnehmern einer CDU-Regionalkonferenz in Darmstadt hatte Merkel am Montag ihre Politik noch einmal energisch verteidigt. Gerade weil Deutschland ein wirtschaftlich so starkes Land sei, müssten positive Signale gesendet werden. "Wir müssen einen langen Atem haben und Schritt für Schritt vorgehen", betonte die Kanzlerin und erinnerte an die Euro-Krise.

"Es wird zu Verwerfungen kommen"

Merkel warnte zudem vor militärischen Auseinandersetzungen. Sollte Deutschland die Grenze zu Österreich für Flüchtlinge schließen, könne dies zu einem Rückstau mit Konsequenzen bis auf den Westbalkan führen. Mit Blick auf die Erfahrungen mit dem ungarischen Zaunbau an der Grenze zu Serbien sagte sie: "Es wird zu Verwerfungen kommen."

Es gebe in der Region zum Teil schon wieder derartige Spannungen, dass sie jüngst um eine Konferenz zur Balkanroute gebeten habe. "Denn ich will nicht, dass dort wieder (...) militärische Auseinandersetzungen notwendig werden", so die Regierungschefin. Sie wolle nicht schwarzmalen. Aber es gehe schneller als man denke, dass aus Streit Handgreiflichkeiten und daraus dann Entwicklungen würden, die niemand wolle.

"Die SPD überzeugen"

Die CDU-Vorsitzende kündigte weitere Verhandlungen über Transitzonen in Grenznähe an, sollte es am Donnerstag keine Einigung mit SPD-Chef Sigmar Gabriel geben. "Dann werden wir weiter verhandeln. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir Sozialdemokraten von richtigen Dingen überzeugen müssen", gab sie sich zuversichtlich.

Merkel, Gabriel und Seehofer wollen noch einmal einen Anlauf nehmen für gemeinsame Maßnahmen zur Bewältigung des Flüchtlingsandrangs. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann schloss in einem ARD-Interview eine Einigung nicht aus, wiederholte aber die Vorbehalte der Sozialdemokraten. "Was wir nicht wollen, ist, die ankommenden Flüchtlinge gleich von vorneherein in eine 'Willkommenshaft' zu nehmen. Das machen aber die Transitzonen."

Wirtschaft wirbt um Flüchtlinge

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) machte sich noch einmal für die Aufnahme von Flüchtlingen stark, denn diese trügen schon nach wenigen Jahren zum Wohlstand in Deutschland bei. "Nach unseren Berechnungen erwirtschaftet ein Flüchtling nach fünf bis sieben Jahren mehr, als er den Staat kostet", sagte Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, der Zeitung "Die Welt". Er bezeichnete es als "schockierend", wie einseitig die Debatte in Deutschland geführt werde. Der Fokus liege allein auf angeblich drohenden Steuererhöhungen und sonstigen Zahlungen. Dabei würden Flüchtlinge Einkommen schaffen, die Unternehmenserträge steigern und die Produktivität der Firmen erhöhen. "Davon profitieren auch ihre deutschen Kollegen", meinte Fratzscher.

Auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, wies "bei allen Risiken" auf Chancen hin, die die Flüchtlinge für Deutschland bedeuteten. Es gebe 600.000 unbesetzte Arbeitsplätze, "und die können auch besetzt werden", sagte Grillo. Die Unternehmen seien da bereits sehr aktiv, sie böten etwa "Sprachkurse, Integrationskurse, Schnellausbildungen".

SC/wl (rtr, afp, dpa, ARD)