Merkel bekommt zwei Wochen Zeit
18. Juni 2018Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) haben sich nach tagelangem Streit über die Asylpolitik eine Atempause verschafft. Die CSU gibt der CDU-Chefin eine Frist für eine europäische Lösung bis nach dem EU-Gipfel Ende Juni. Der CSU-Vorstand billigte in München einen entsprechenden Vorschlag von Parteichef Seehofer. Kommen bis dahin keine Vereinbarungen mit europäischen Partnern zustande, soll mit umfassenden Zurückweisungen von Migranten an den Grenzen begonnen werden.
Vorbereitungen laufen bereits
Bei den Zurückweisungen geht es aus CSU-Sicht insbesondere um Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Diese sollen dann voraussichtlich ab Anfang Juli abgewiesen werden, wenn der EU-Gipfel kein "wirkungsgleiches" Ergebnis einbringt, sagte Seehofer. Die Vorbereitungen dafür will der Innenminister nach eigenen Worten aber schon jetzt treffen.
Die Kanzlerin hatte schon in der vergangenen Woche gefordert, bis zum EU-Gipfel Zeit für Verhandlungen zu bekommen. Sie will die CDU-Spitzengremien im Anschluss daran am 1. Juli über den Stand ihrer europäischen Verhandlungen informieren. Danach solle über das weitere Vorgehen beraten werden. Einen "Automatismus", wie Merkel es mit Blick auf die von Seehofer angekündigten Schritte nannte, gebe es aber nicht.
Auch warnte die Kanzlerin den Innenminister vor Alleingängen und drohte mit ihrer Richtlinienkompetenz. Dies sei dann der Fall, wenn Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze ohne Abstimmungen mit EU-Partnern in Kraft gesetzt würden und "zu Lasten Dritter" gingen. Wenn eine solche Maßnahme in Kraft gesetzt würde, wäre das eine Frage ihrer Richtlinienkompetenz. In der Konsequenz könnte Seehofer als Innenminister entlassen werden.
Verwirrung um Einreiseverbote
Schon in den kommenden Tagen will Seehofer anordnen, dass Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden, die bereits mit einem Wiedereinreiseverbot nach Deutschland belegt sind. Laut Seehofer geschehe dies bislang nicht. Eine Sprecherin des Innenministeriums erläuterte, dass Menschen mit Wiedereinreisesperre bisher wieder einreisen dürften. Sie könnten aber theoretisch auch in Sicherungshaft genommen werden, bis über ihren Antrag entschieden sei. Die Bundespolizei widerspricht dem allerdings und wies auf Anfrage des WDR darauf hin, dass eine solche Zurückweisung schon jetzt erfolge.
Koalitionspartner SPD meldet sich
Der Koalitionspartner SPD verlangte angesichts dieses Zerwürfnises der Unionsparteien die Einberufung eines Koalitionsausschusses noch vor dem EU-Gipfel. SPD-Chefin Andrea Nahles betonte, eine Kompromisslösung oder ein Durchsetzen Seehofers könne von den Sozialdemokraten blockiert werden. "Ich kann deswegen nur sagen, dass eine Einigung zwischen CDU und CSU keinen Automatismus für die Zustimmung der SPD bedeutet." Es gehe um eine humanitäre europäische Lösung und um das "Wie" der Abweisung.
Nahles schlug vor, ein 2016 verabredetes beschleunigtes Asylverfahren für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten, die schnell abgewiesen werden können, auf Asylbewerber aus Syrien oder Afrika zu erweitern. Nahles betonte, wenn man die Regelungen auch für sogenannte Dublin-Fälle öffne, könnten die Verfahren in einer Woche abgeschlossen sein.
EU sucht auch nach Asylkompromiss
Nicht nur Merkel versucht in den kommenden Tagen, eine Einigung auf europäische Ebene zu erzielen. "Wir sind aktiv beteiligt, um eine europäische Vereinbarung zustande zu bekommen", sagte ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker. Der Luxemburger selbst sei "mit allen unseren europäischen Partnern im Kontakt". Man sei für alle Gesprächsforen offen, um "so viele Fortschritte wie möglich hin zu einer europäischen Lösung im Umfeld des Gipfels Ende
Juni" zu erreichen.
Auch Ratspräsident Donald Tusk hat sich für die nächsten Tage einen Gesprächsmarathon vorgenommen, um beim Gipfel am 28. und 29. Juni einen Kompromiss zu schmieden. So wird er nach Schweden, Spanien, Italien, Österreich, Ungarn, Deutschland und Frankreich reisen. Hinter den Kulissen liefen zahlreiche Gespräche, berichteten EU-Diplomaten.
wo/sti (dpa, afp, rtr)