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Künstlerin mit Eigensinn

Silke Bartlick 16. August 2013

Emanzipierte Frau, Ikone des Surrealismus, Fotomotiv von Man Ray: Meret Oppenheim zählt zu den wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Und war doch lange die große Unbekannte. Eine Retrospektive will das ändern.

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Meret Oppenheim (Foto: Margrit Baumann, Archiv Christiane Meyer-Thoss)
Bild: Margrit Baumann, Archiv Christiane Meyer-Thoss

Pelzüberzogene rotkrallige Handschuhe, sich verflüchtigende Figuren im Nebel, ein Bierglas mit Eichhörnchenschwanz, groteske Röntgenaufnahmen des eigenen Kopfes - Meret Oppenheim fühlte sich keiner Gattung verpflichtet. Immer neue Einfälle hat sie gehabt, und sie hat sie mit Leidenschaft und Phantasie realisiert. Die Vielfalt der Formen, Stile und Materialien, mit denen die eigenwillige Künstlerin experimentierte, offenbart nun, anlässlich ihres 100. Geburtstags am 6. Oktober, eine klug angelegte Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau. Mit zehn Themenräumen, in denen sich spielerisch Leben und Werk einer berühmten Unbekannten erschließen.

X = Hase

Mit 16 missbraucht Meret Oppenheim ein Schulheft. Sie füllt es nicht mit Hausaufgaben, sondern mit tiefsinnigen eigenen Gedanken und skurrilen Ideen. "X = Hase" notiert das junge Mädchen hier beispielsweise wider jede mathematische Logik und illustriert das Ganze dann auch noch in rot und weiß. Ihren Papa, einen aufgeklärten und liberalen Arzt, irritieren Merets unkonventionelle Gedankengebäude, er schickt sie zu einem befreundeten Kollegen, dem berühmten Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung. Der unterhält sich mit dem Mädchen und schreibt ihrem Vater anschließend einen beruhigenden Brief. Ihre Tochter, heißt es darin, "scheint durch den Zusammenstoß mit der Welt einiges gelernt zu haben und es ist nicht einzusehen, warum diese Kenntnis sich nicht im Laufe der Zeit noch erheblich vertiefen sollte."

Ein Werk von Meret Oppenheim, Pelzhandschuhe (Foto: VG Bild-Kunst Bonn)
Pelzhandschuhe, 1936Bild: VG Bild-Kunst Bonn

Das liebreizende, mit magischen Kräften versehene Hexenmädchen Meretlein aus Gottfried Kellers Roman "Der grüne Heinrich" soll die Eltern zur Wahl des Taufnamens ihrer am 6. Oktober 1913 in Berlin-Charlottenburg geborenen Tochter veranlasst haben. Er hat zu ihr gepasst wie kein anderer. Denn die Oppenheim war ähnlich unbeugsam und freiheitsliebend wie ihre literarische Namenspatronin. "Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen", lautet ihr Credo und ihr Vermächtnis.

Angekommen in der Kunst

Mit 18 bricht sie die Schule ab, verlässt die in der Schweiz lebende Familie und geht - eine mittlere Ungeheuerlichkeit Anfang der1930-er Jahre - zusammen mit einer Freundin nach Paris, um Malerin zu werden. Was folgt, ist legendenumrankt: Meret Oppenheim lernt an der Seine ein bisschen das Aktmalen. Aber viel interessanter als das Studium ist ein Kreis skandalumwitterter surrealistischer Künstler. Die zumeist etwas älteren Herren - Max Ernst, Hans Arp, Alberto Giacometti, Marcel Duchamp und Kurt Seligmann - werden ihr gleichberechtigte Freunde. Man teilt jene Geisteshaltung, der Meret Oppenheim schon ein paar Jahre zuvor mit ihrer Hasengleichung Ausdruck verliehen hatte.

Eine Besucherin betrachtet im Martin-Gropius-Bau das Gemälde "In einer Staubwolke (Die schöne Afrikanerin)" von Meret Oppenheim (Foto: picture-alliance/dpa)
Besucherin vor dem Gemälde "In einer Staubwolke (Die schöne Afrikanerin)"Bild: picture-alliance/dpa

Ihre legendäre Pelztasse entsteht, die bereits 1936 von Alfred Barr, dem Gründungsdirektor des New Yorker MOMA, angekauft wurde. Und die Fotografenlegende Man Ray nimmt sie nackt an der Druckerpresse auf. Meret Oppenheim wird auf einen Schlag berühmt, ihre surrealistischen Kollegen zollen ihr Respekt. So schreibt Max Ernst: "Wer überzieht die Suppenlöffel mit kostbarem Pelzwerk? Das Meretlein. Wer ist uns über den Kopf gewachsen? Das Meretlein". Zur Muse und Gespielin der Surrealisten wurde die junge Frau aber keineswegs, ungeachtet einer leidenschaftlichen Liebesaffäre mit Max Ernst. Vielmehr wehrt sie sich gegen eine Vereinnahmung als "weibliche" Künstlerin, beschwört die für sie grundlegende "Androgynität des Geistes" und revoltiert lebenslang gegen das klassische Frauenbild. Schon mit 18 hatte sie ein makabres "Votivbild " gegen das Kinderkriegen gemalt; fortan sollte ihr Werk boshaft-witzig um die Emanzipation kreisen und sich durch einen sehr freien, aber auch humorvollen Umgang mit der Erotik auszeichnen.

Kunst mit Eigensinn

"Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft", hat Meret Oppenheim einmal gesagt. Sie selbst hat nie aufgehört zu träumen, ungeachtet auch jener weltpolitischen Abgründe, die sie 1937 zwangen, in die Schweiz zurückzukehren. In Bern, wo sie dann bis zu ihrem Tod 1985 lebte, heiratete sie den Kaufmann Wolfgang la Roche, bezog ein Atelier und arbeitete mit allem ihr zu Verfügung stehenden Eigensinn weiter an einer Kunst, die sich in keine Schablonen pressen lässt: Bilder von Wolken, wie hingehaucht, Halsbänder aus Knöchelchen, Strohhalme, zur Andeutung eines Gebäudes zusammengefügt.

Ein Werk von Meret Oppenheim, Das Paar (Foto: VG Bild-Kunst Bonn)
Das Paar, 1956Bild: VG Bild-Kunst Bonn

Von Träumen, Mythen und Spielen ließ sich Meret Oppenheim anregen, sie spielte mit Maskeraden, suchte und fand ihre Materialien in der Natur und auf der Straße und montierte sie mit Worten zu Kunstwerken. "Termitenkönigin" heißt ein bemaltes Auspuffrohr, "Die Heinzelmännchen verlassen das Haus" eine mit Kreide angedeutete Versammlung von Putzutensilien, die über Holz imitierendes Papier huschen. Meret Oppenheim, das wird nun im Berliner Martin-Gropius-Bau deutlich, war eine Visionärin mit Eigensinn. Das machte sie zur Lehrmeisterin manch eines Künstlers und manch einer Künstlerin.