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Gesellschaft

Flüchtlingsnetzwerk in Griechenland

Omaira Gill wd
5. November 2017

Als Hunderte von Flüchtlingen 2015 in Athen campierten, fand sich die Frauenorganisation Melissa Network im Zentrum der Krise wieder. Es entstand ein inspirierender Raum zur Stärkung von Flüchtlingsfrauen.

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Griechenland, Melissa Network
"Frauen mit Träumen und Zielen" - Nadina Christopoulou (li.) über die geförderten Flüchtlingsfrauen in Athen Bild: Omaira Gill

Ein unauffälliges Gebäude in der Nähe des Viktoriaplatzes im Zentrum von Athen. Eine Unterrichtsstunde. Die Schülerinnen sind eifrig und konzentriert bei der Sache. "Viele Athener bevorzugen die Metro, weil es das schnellste Transportmittel in der Stadt ist," liest Sorayah aus einem griechischen Buch vor. Ihre Stirn legt sich in Falten. "Stadt?"

"Shehar" hilft eine Mitschülerin. Sie nennt einfach das Wort für "Stadt" in der Sprache Farsi. Sorayah schreibt sich das gleich mit einer Anmerkung auf - in ordentlichen griechischen Buchstaben. Ihre Sitznachbarinnen sind aus Afghanistan geflohen wie sie. In dieser komplett weiblichen Runde tragen manche Kopftücher, andere nicht. Im Büro macht die Übersetzerin Yiasemi eine Pause. Die Schülerinnen in ihren Griechisch-Kursen sind so weit fortgeschritten, dass sie sie nicht mehr ständig benötigen.

Eine Dachorganisation für Migrantinnen

Das Melissa Network ist eine Organisation, die als Netzwerk für Migrantinnen in Athen begann und sich schließlich zu einem Ort von Wachstum, Wissen und Solidarität für Mädchen und Frauen unter den Flüchtlingen entwickelte.

Griechenland, Melissa Network
Im Angebot des Melissa Network: Griechisch-, Deutsch- und Englischkurse Bild: Omaira Gill

Bei der Gründung vor einigen Jahren nahm die Organisation das griechische Wort für Honigbienen in den Namen auf, weil es dort mit den vielen Aktivitäten zuging wie in einem summenden Bienenstock. Es war von Anbeginn ein Ort, an dem Migrantinnen Hilfe fanden, sich gegenseitig zu unterstützen. Die Räumlichkeiten nahe dem Viktoriaplatz in der griechischen Hauptstadt bedeuteten, dass alle Mitglieder der Initiative sich unerwartet vor Ort befanden, als die Flüchtlingskrise aufkam.

Flüchtlingskinder im Park

Sie begannen zunächst, Frühstück für Hunderte von Flüchtlingskindern zu machen, die 2015 im nahegelegenen Park zelteten, während sie auf die Weiterreise zu den Grenzen im Norden warteten. Aber nicht genug damit: Als man das enorme Potential der Flüchtlingsfrauen erkannte, beschloss das Melissa Netzwerk, mit ihnen zu arbeiten und ihnen mehr anzubieten. "Flüchtlingsfrauen sind große Integratoren und Multiplikatoren. Was immer du ihnen anbietest, sie werden es in kürzester Zeit vielfach weitergeben," sagt Nadina Christopoulou, eine der Mitbegründerinnen des Melissa Networks.

Griechenland, Melissa Network
Zeichnungen von Flüchtlingsfrauen aus den KunstkursenBild: Omaira Gill

Und so werden Kurse angeboten, Workshops, Therapien, Weiterbildung, Hilfe zur Vernetzung, und die nötige Unterstützung, um Frauen in ihrem neuen Leben zu helfen. Das Melissa Network bot auch Platz für Kinderbetreuung, wohl wissend, dass Mütter in einem fremden Land kaum einen Familienkreis haben, der sich um die Kinder kümmern kann.

Auf Herausforderungen reagieren

Heute befindet sich dieses Angebot im Erdgeschoss des bescheidenen Gebäudes in der Ferronstraße. Die ältesten Kinder sind an der Schwelle zur Pubertät, die jüngsten nur wenige Wochen alt. Ihre Mütter sind entschlossen, nicht eine der Unterrichtsstunden ausfallen zu lassen. Nadina erklärt, was das Melissa Network von ähnlichen Modellen unterscheidet: Es wird von Flüchtlingsfrauen geleitet. "In dieser Einbindung, die wir haben, stehen Flüchtlingsfrauen im Mittelpunkt. Hier beginnt der Prozess der Stärkung. Wir gehen mit ihnen als aktive Vermittler um und als Vertreter des Wandels."

"Diese Frauen haben eine enorme Kraft. Selbst auf der Flucht machen sie nichts ohne Ziel. Sie haben eine Strategie im Hinterkopf. Sie werden irgendwo hingehen, wo sie ein besseres Leben für sich gestalten können", sagt Nadina. Und das wird deutlich, wenn man durch die Türen der Organisation kommt.

Ein sicherer Raum

Hier, nach endlosen und traumatischen Reisen, Gewalt und Elend finden die Flüchtlingsfrauen Raum zum Lernen und Sammeln eines Instrumentariums, um die nächste Phase ihres Lebens zu gestalten. Einige kommen für den Unterricht in Deutsch, Englisch oder Griechisch, andere zum Computerunterricht oder zu einer Schauspieltherapie. Andere möchten einfach nur einen sicheren Ort finden, wo sie sich ausruhen können, um auf einem Sofa bei einem Schwätzchen im kleinen Hof zu sitzen. Einige legen ihre Kopftücher ab und richten ihr makelloses Makeup. Privatsphäre ist knapp in den Flüchtlingslagern, und so ist das Angebot hier eine große Entlastung. 

Griechenland, Melissa Network
Die Schwestern Hadell und Khadije aus Afghanistan lernen zusammenBild: Omaira Gill

Die Schwestern Khadije und Hadell, 17 und 18 Jahre alt, flohen vor fünf Jahren aus Damaskus in die Türkei. Seit zwei Jahren sind sie nun in Griechenland und versuchen, ihren Bruder in Deutschland zu erreichen. Das Melissa Network versuchte, den beiden ein Gefühl der Stabilität zu vermitteln, nachdem sie unzählige Male in griechischen Flüchtlingslagern umquartiert wurden.

"Hier ist es gut. Hier fühle ich mich zuhause. Ich habe versucht, auf eine griechische Schule zu gehen, aber ich konnte mich nicht entspannen. So kam ich hierher, um zu lernen", erklärt Hadell. "Wir kommen raus aus Athen und sehen Griechenland. Das ist sehr schön", erzählt Khadije, die später einmal Anwältin werden möchte, wenn sie nach Deutschland kommt. "Ich hatte Arbeit in Syrien. Ich möchte das fortsetzen. Wenn es in Deutschland  so etwas gibt wie das Melissa Network, werde ich dort hingehen", sagt Khadije.

Jahre in Flüchtlingscamps

Im Erdgeschoss sitzen Kathireh, 30, und Fatimeh, 21, und überlegen noch, für welche Kurse sie sich entscheiden wollen. Beide sind jetzt über ein Jahr in Griechenland. Fatimeh war Schülerin. Woher in Afghanistan sie kommt, möchte sie nicht verraten - zu ihrer eigenen Sicherheit. Khatireh stammt aus Herat.

Ihr Mann ist in Deutschland, und dorthin möchte sie auch. Khatireh hat fürchterliche Torturen in den Händen der Taliban erlitten und bei einem Bombenangriff im siebten Monat der Schwangerschaft ihr erstes und einziges Baby verloren. Danach konnte sie keine Kinder mehr bekommen. Im Melissa-Netzwerk fand sie eine Möglichkeit, um ihre Zukunft zu planen.

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Hoffnungen und Träume im Wunschbaum - notiert von Flüchtlingsfrauen im Melissa-NetzwerkBild: Omaira Gill

Es ist Mittag. Khatireh steht im Büro und sieht besorgt aus. Der Englisch-Kurs ist voll. Sie bekommt eine Liste anderer Institutionen mit ähnlichen Angeboten, aber sie will hier, im Melissa Network lernen - und notfalls warten. Sie schreibt sich in die Warteliste ein.

"Das letzte, was Du hier siehst, ist Passivität. Was Du siehst, sind Frauen mit Träumen und Zielen, die Fähigkeiten haben und Ideen, Frauen, die Dinge umsetzen wollen. Wir versuchen, damit zu arbeiten. Das ist ein großer Reichtum. Alles, was wir machen, ist sie zu ermutigen und Raum für alles zu schaffen," sagt Nadina Christopoulou vom Netzwerk.