Die Kanzler-Partei am Tiefpunkt. Die SPD schneidet bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen so schlecht ab wie nie zuvor in der Geschichte des Bundeslandes. Nach bitteren Verlusten landen die Sozialdemokraten bei der 18. NRW-Landtagswahl seit 1947 erstmals überhaupt unter 30 Prozent. Und das bei der wichtigsten Wahl in Deutschland in diesem Jahr.
Traditionell gilt jede Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen als "kleine Bundestagswahl". Wahlgewinner im Land an Rhein und Ruhr sind die Christdemokraten des amtierenden Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, vor allem aber die Grünen mit Spitzenkandidatin Mona Neubaur. Mit gut 18 Prozent erreichten die Grünen mehr als bei den vergangenen beiden Landtagswahlen in NRW, 2012 und 2017, zusammen.
Und die Landesregierung in NRW muss sich neu aufstellen. Denn die bislang mitregierende FDP brach absturzmäßig ein. Christian Lindner, der Bundesvorsitzende der Liberalen, sprach von einem "desaströsen Ergebnis" und einem traurigen Abend.
Was nun?
Für Rot-Grün reicht es nicht. Eine Ampel nach Berliner Muster, die eine deutliche absolute Mehrheit im Landtag hätte, böte neben einer angezählten Landes-FDP einen, gelinde gesagt, nicht sonderlich beliebten SPD-Ministerpräsidenten. Aber klar ist: Eine Ampel gegen die stärkste Fraktion wäre möglich. Schon mehrfach regierte in Düsseldorf ein Sozialdemokrat, obwohl die SPD nur zweitstärkste Kraft hinter der CDU im Landtag war.
Vom Wahlausgang her bietet sich eine Koalition der Wahlgewinner CDU und Grüne an. Und es wäre in der deutschen Parteienlandschaft nicht einmal sensationell. In Hessen regieren die beiden Parteien unter dem einst als knochenkonservativ einsortierten CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier seit gut acht Jahren. In Baden-Württemberg führt der ganz anders knochenkonservative Grüne Winfried Kretschmann seit sechs Jahren eine grün-schwarze Koalition. Nun könnten sowohl in NRW als auch in Schleswig-Holstein, wo eine Woche vorher ein neuer Landtag gewählt wurde, CDU und Grüne die Macht übernehmen. In diesen vier westdeutschen Ländern leben mehr als 38 Millionen der 83 Millionen Einwohner der Bundesrepublik.
Wenn die Ampel nicht mehr leuchtet und Schwarz-Grün aufstrahlt… Bei der SPD-Führung im Bund wird spätestens jetzt der Alarm aufheulen. Nun geht es um das nicht nur medial oft glücklos anmutende Auftreten von Kanzler Olaf Scholz, um Ministerinnen oder Minister mit schwierigem Agieren. Und gewiss auch - schwieriger, aber um so notwendiger - um eine aufrichtigere Aufarbeitung dessen, wie die Sozialdemokraten sich gegenüber Russland verhielten oder verhalten.
Könnte NRW Schwarz-Grün?
Wie wenige Bundesländer zumindest in Westdeutschland, der alten Bundesrepublik, steht Nordrhein-Westfalen für wirtschaftlichen Niedergang und Neuanfänge, für Transformation. Das Ende der Steinkohle ist das international bekannteste Beispiel, der abgrundtiefe Streit (gerade zwischen CDU und Grünen) um den Braunkohle-Abbau ein aktuelleres.
Aber längst sind Grün und Schwarz-Grün auf kommunaler Ebene in Nordrhein-Westfalen auch führend präsent. Städte wie Bonn oder Mönchengladbach haben eine grünes Stadtoberhaupt, in Köln sorgten die Grünen mit dafür, dass die parteilose Oberbürgermeisterin ins Amt gewählt wurde. In anderen Städten wie Düsseldorf oder Wuppertal gibt es schwarz-grüne Koalitionen in den kommunalen Parlamenten. So wie das Autoland Baden-Württemberg gut mit Grün-Schwarz lebt und die Entscheider 2016 auf Landesaspekte achteten, steht eine solche Entscheidung nun in Nordrhein-Westfalen an. Spätestens dann wäre Schwarz-Grün der mächtige Gegenentwurf zur Ampel.
Ganz nebenbei - auch das muss der SPD Sorge bereiten - steht die NRW-Wahl für das rasche Fortkommen der Grünen auf dem Weg zur Volkspartei. Ja, Robert Habeck, Annalena Baerbock, auch Cem Özdemir sind dafür die prominenten Köpfe und sorgten sicher auch für Rückenwind bei der Wahl an Rhein und Ruhr. Die Grünen decken im Bund, auf Landesebene, in den Kommunen ganz unterschiedliche Themenbereiche ab. Und sie legen nach wie vor überdurchschnittlich bei den jüngeren Wählergruppen zu. In aller Regel kennen politische Systeme ein oder zwei Volksparteien. Aber drei?
Vorbei die Zeiten der grünen Klientelpartei für Ökos und sogenannte Gutmenschen. In NRW zeigt nicht zuletzt das schwache Abschneiden von Liberalen, AfD oder Linkspartei, dass es schwer ist, nur mehr eine feste Zielgruppe beliefern oder im Klischee agieren zu wollen.