Der Chefsessel bei Europas größtem Autobauer Volkswagen bleibt ein Schleudersitz. Der überraschende Abgang von Konzernchef Herbert Diess nach nur vier Jahren im Amt ist ein weiterer Beleg dafür. Diess selbst hatte 2018 den Posten von Matthias Müller übernommen, der nach dem Auffliegen des Dieselskandals 2015 auf Martin Winterkorn gefolgt war. Der heute 75-jährige Winterkorn kämpft derzeit mit allen juristischen Mitteln dagegen, vor Gericht gestellt zu werden.
Wobei: Wirklich überraschend kommt der Abgang von Herbert Diess nicht. Denn schon mehrfach wackelte sein Stuhl bedenklich, aber noch immer war es dem 63-jährigen Österreicher gelungen, die entscheidenden Figuren in diesem Spiel, die Familien Porsche und Piëch, hinter sich zu bringen und damit seine eigene Macht im Hause Volkswagen zu sichern.
Vom einen Fettnäpfchen ins nächste
Das war schon so vor drei Jahren, als Diess Führungskräfte des Konzern auf straffe Gewinnziele einschwören wollte mit dem Satz "Ebit macht frei". Ebit, eine betriebswirtschaftliche Abkürzung für Gewinngröße, im Zusammenhang mit dem Nazi-Spruch "Arbeit macht frei", der an den Eingangstoren mehrerer Konzentrationslager angebracht war - das darf dem Chef eines weltweit tätigen Konzerns nicht passieren. Für Diess ein "Ausrutscher".
Oder - im selben Jahr - als er angesprochen auf die Menschenrechtslage in der Uiguren-Provinz Xinjiang, wo Volkswagen ein Werk hat, sagte, von Umerziehungslagern "wisse er nichts". Oder schließlich die schroffen Kontroversen mit der Belegschaft im Stammwerk Wolfsburg, denen er - womöglich in bester Absicht - stets die Erfolge des Elektroauto-Pioniers Tesla vor Augen führte. Um dann den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen im Hauptwerk des Konzerns ins Spiel zu bringen.
Natürlich ist Volkswagen ein besonderer Konzern. Schon allein die Eigentümer-Struktur mit dem Bundesland Niedersachsen als großem Anteilseigner samt Vetorecht im Aufsichtsrat. Mit der mächtigen Gewerkschaft IG Metall als Gegenspieler. Und mit der noch mächtigeren Gründerfamilie Porsche/Piëch im Nacken. Denn dort in der Holding in Salzburg werden die Fäden gezogen. Man erinnert sich zu gut an das Frühjahr 2015 und den Satz des einstigen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch, der plötzlich "auf Distanz zu Winterkorn" war. Das löste, ein halbes Jahr bevor Dieselgate aufflog, ein wahres Beben bei VW aus.
Woran also ist Herbert Diess gescheitert?
Zum einen, das ist ganz offensichtlich, an seiner miserablen Art zu kommunizieren. Klar, er ist unbestritten ein Vollprofi als Automanager, deswegen hatten ihn die Mächtigen von VW ja 2015 von BMW losgeeist und nach Wolfsburg gelockt. Und natürlich hat er seine Verdienste: Er hat, im Nachgang des Dieselskandals, Volkswagen klar auf die Spur in Richtung Elektromobilität gesetzt. Hat ganze Werke umbauen lassen von Verbrenner-Produktion auf die reine Herstellung von E-Autos. Hat dafür gigantische Milliarden-Investitionsprogramme auf den Weg gebracht. Hat sich nicht gescheut, den Belegschaften zu sagen: Für sowas braucht man aber deutlich weniger Personal. Und: Tesla baut so ein Auto in zehn Stunden - ihr braucht dafür 30! Das kam dann eben doch nicht so gut an. Fingerspitzengefühl hat einer wie Diess höchstens, wenn er am Steuer eines Autos sitzt.
Nun also soll es Porsche-Chef Oliver Blume richten. Neun Jahre jünger als Diess, mit den gleichen automobilen Genen ausgestattet. Er soll Chef des Konzerns und der Sportwagenmarke Porsche sein. Wenn das mal gut geht. Denn auch Blume muss erstmal beweisen, dass er vor allem eines besser kann als Diess: Kommunizieren. Zum anderen aber auch, und das ist die wirkliche Herausforderung, muss er die Software in den Griff bekommen.
Denn Diess ist auch gescheitert am Aufbau einer konzerneigenen Software-Schmiede. Zehntausend IT-Fachkräfte sollen dort versuchen, ein eigenes VW-Betriebssystem zu entwickeln, mit dem dann sämtlichen Automarken des Konzerns ausgerüstet werden. Tesla hat sowas, Google und Apple auch. Das nämlich ist die wirklich große Angst der etablierten Autokonzerne: dass sie am Ende nur noch das Drumherum bauen. Die Software wird den Unterschied machen - und wer die liefert, wird damit die Daten bekommen und all das Geld, dass sich damit verdienen lässt. Das wäre das Ende der klassischen Autobauer. Daran ist Diess gescheitert - und es gibt keine Garantie, dass es sein Nachfolger besser macht.