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Tschechien als Blaupause für Osteuropa

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
16. Oktober 2021

Die Wahl in Tschechien zeigt, wie eine Opposition autokratische Regierungschefs in osteuropäischen Ländern kippen kann. Das Rezept ist kopierbar, auch wenn der Weg nicht leicht ist, meint Barbara Wesel.

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Ein Manns steht vor einem Mikrofon vor einem Plakat
Aus dem Amt gejagt. Kann der Weg Tschechiens ein Rezept für andere osteuropäische Länder sein?Bild: CTK Photo/Michal Kamaryt/dpa/picture alliance

Die Rückkehr zur liberalen Demokratie ist möglich. Das Beispiel der Parlamentswahl in Tschechien hat gezeigt, dass die vereinigte Opposition einen Regierungschef vom Thron stürzen kann, den sie autokratischer Tendenzen und korrupter Praktiken beschuldigt, wenn sie zusammensteht. Das Schlüsselwort hier heißt "vereint" und es bedarf einer Menge Vernunft, politischer Phantasie und Altruismus, um einen solchen Sieg zu erringen.

Was in Tschechien richtig lief

Es war eine Opposition von links bis ziemlich konservativ, die in Tschechien den Milliardär Andrej Babis aus dem Regierungssitz verjagte. Dabei konnten die Oppositionskräfte allerdings auf ein paar nationale Vorteile bauen. 

Zum einen gibt es in Tschechien eine historische Tradition des demokratischen Widerstands und der erste Nachwende-Präsident Vaclav Havel ist noch heute ein Idol. Auch hat die Opposition im Wahlkampf ihren Willen, das Land weiter in Europa und der westlichen Staatengemeinschaft zu verankern, groß auf ihre Fahnen geschrieben und damit einen Nerv getroffen. 

Und schließlich muss man einräumen, dass Babis mit dem Umbau seines Landes zu einer Privat-Oligarchie noch nicht fertig geworden war. Ihm gehören einige große Medien, aber nicht alle. Er hatte seine Gefolgsleute in der Justiz und in den Institutionen, aber sie waren noch nicht überall. Die Bedingungen für die Rückkehr zu einer funktionierenden liberalen Demokratie waren noch relativ günstig.

DW-Redakteurin Barbara Wesel
Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Der Schlüssel aber war, dass alle Anti-Babis-Parteien in Tschechien zusammengearbeitet haben. Sie nannten ihr Bündnis die "Koalition der Koalitionen" und es bedurfte einer Menge Verzicht und der Überwindung großer Egos, um diese Einigkeit zustande zu bringen. 

Ungarn und der Netflix-Thriller

In Ungarn, wo im nächsten Jahr gewählt wird, ringt die Opposition gerade um eine ähnliche Zusammenarbeit. Dort sind die Grundbedingungen viel härter: Viktor Orban hat die freie Presse vernichtet, die Justiz völlig unterwandert und die Zivilgesellschaft an die Wand gedrückt. Er greift zu allen Machtmitteln und hat Ungarn in eine Art "Kleptokratur" verwandelt, eine Mischung aus Diktatur und Selbstbedienungsladen, aus dem er seine Clique mit Geschenken bedient. 

Ein neuer Film aber, der Ende des Monats auf Netflix erscheinen soll, wirft ein Licht auf die Cleverness und Ruchlosigkeit, die Orbans Unterstützer im kommenden Wahlkampf schon jetzt aufbieten. Darin wird die 2009 desaströs endende Regierung der früheren Sozialisten mit Premierminister Ferenc Gyurcsany im Stil eines Polit-Thrillers nacherzählt. 

Die damalige sozialistische Partei wird in dem Film (englischer Titel: "The Cost of Deception"; "Die Kosten der Täuschung") als reines Teufelswerk gemalt. Sie ist in neuem Gewand auch wichtiger Teil des jetzigen Oppositionsbündnisses, das bei den nächsten Wahlen Orban schlagen will. Und ausgerechnet Klara Dobrev, Ehefrau von Ex-Regierungschef Gyurcsany, liegt derzeit im Ausscheidungskampf um die Spitzenkandidatur 2022 vorn. 

Zwei Männer stehen auf einem Balkon
Noch thront Orban (links) mit harter Hand über Ungarn. Kann sich die Opposition ein Beispiel an der Entwicklung Tschechiens nehmen?Bild: CTK Photo/Katerina Sulova/dpa/picture alliance

Nach Berichten englischer Medien will sich der Produzent des Netflix-Films nicht dazu äußern, ob er öffentliche Mittel dafür bekommen hat. Wer hier an Zufall glaubt, ist selber schuld. Die Kandidatin Dobrev sollte angesichts dieses gegen sie und ihre Partei entfesselten Propagandakriegs wegen familiärer Belastung klug entscheiden, und ihrem konservativen Mitbewerber den ersten Platz auf den Oppositionslisten überlassen. 

Wenn mit Dreck geworfen wird

Schon der letzte Wahlkampf in Ungarn war eine gnadenlose Schlammschlacht. Man erinnert sich mit Ekel an die antisemitische Kampagne, die Orban gegen seinen früheren Gönner George Soros führte, der viel Geld in die Unterstützung der Demokratie in Osteuropa gesteckt hatte. Dem ungarischen Premier ist kein moralischer Abgrund zu tief. 

Die Opposition muss also furchtlos und geschlossen handeln, wenn sie dagegen eine Chance haben will. Vielleicht kann das Bespiel von Tschechien sie ja in ihrem Kampf ermutigen. Und für die Anti-PiS-Kräfte in Polen, wo erst 2023 gewählt wird, gilt Ähnliches. Die Opposition dort hat noch etwas Zeit, von Vorbildern und Fehlern bei den Nachbarn zu lernen. Und ein großes Thema ist für sie bereits gesetzt: Die Neigung der Polen zu Europa müsste eigentlich ein Ticket zum Sieg sein. 

Vorwahlkampf der ungarischen Opposition