Es ist alles so unfassbar schmierig. Hunderttausende Euro an Bargeld in Tüten und Koffern, teure Uhren, Schmuck und Hinweise auf bezahlte Luxusurlaube, gesponsert von einen Golfstaat. Dahinter soll Katar stehen. Die Korruptionsaffäre im Europaparlament könnte aus einem zweitklassigen Mafia-Thriller stammen. Während die Polizei am Wochenende Hausdurchsuchungen bei den Verdächtigen durchführte, versuchte der Vater der Hauptbeschuldigten Eva Kaili, sich noch mit einem Koffer mit 600.000 Euro davonzustehlen.
Immenser Schaden für das Parlament
Abgesehen von den schmuddeligen Umständen dieser Korruptionsaffäre, in die neben der nunmehr abgesetzten Vizepräsidentin ein Familienklüngel von Ex-Abgeordneten und früheren EP-Mitarbeitern aus Italien verwickelt ist, scheint der Schaden für das Europaparlament unermesslich. Die große Mehrheit der Abgeordneten gibt ihr Bestes, schlägt sich zum Beispiel mit der komplexen EU-Umweltgesetzgebung die Nächte um die Ohren, und eine kleine Gruppe gewissenloser Kollegen macht ihr Ansehen mit einem Schlag zunichte.
Es ist darüber hinaus ein Skandal von schockierender Dummheit. Die Gehälter der Abgeordneten im EP sind fünfstellig, die Aufwandsentschädigungen mehr als großzügig. Warum vernichtet eine Frau aus lauter Gier ihre Karriere und lässt dann das Bargeld auch noch in Tüten und Koffern in Hotelzimmern und Wohnungen herumstehen? Waren Eva Kaili und ihre Freunde davon ausgegangen, es werde schon nichts herauskommen und niemand der Polizei einen Tipp geben? Die belgischen Staatsanwälte hatten die Telefone der Verdächtigen schon einige Zeit lang abhören lassen, da werden noch eine Menge unerfreulicher Details ans Licht kommen.
Die anhaltende Propagandaarbeit für Katar war jedenfalls im Parlament schon aufgefallen, auch dass ausgerechnet ein führender Gewerkschafter die Qualität der Arbeitsgesetze in dem Golfstaat lobte. Bloß war niemand auf die Idee gekommen, dass dabei so offene und unverschämte Korruption im Spiel sein könne. Und alle ehrlichen, wohlmeinenden und arbeitsamen Parlamentarier fühlen sich betrogen und sehen kollektiv ihren Ruf zerstört.
Der Ungar Viktor Orban bohrte sofort per Twitter den Finger in die Wunde: Ausgerechnet das korrupte Europaparlament wolle Ungarn Korruption vorwerfen? Tatsächlich hatte sich das EP besonders gegen Orbans Demokratieabbau und seine autokratische Regierung stark gemacht und die anderen Institutionen gedrängt, endlich gegen ihn Stellung zu beziehen. Jetzt ist es selbst desavouiert und hat die Glaubwürdigkeit verloren. Es ist ein übler Schlag gegen die einzig gewählte Vertretung der europäischen Bürger.
Ist der Ruf erst ruiniert...
Das Schlimme ist, dass der angerichtete Schaden kaum wiedergutzumachen ist. Der Skandal wird wegen seines Umfangs und wegen der internationalen Schlagzeilen längere Zeit im Gedächtnis bleiben. Und er bestätigt alle diejenigen, die vor allem von rechts sowieso gegen die EU hetzen, ihre Politik und Institutionen in Zweifel ziehen.
Die faktische Macht des Europaparlaments ist weiterhin begrenzt. Es hat in den letzten Jahren zwar an Mitbestimmungsrechten gewonnen, aber ein großer Teil seines Einflusses besteht nach wie vor aus "soft power”. Wer aber moralische Überlegenheit für sich beansprucht und den Kampf für europäische Werte und Demokratie als Mittel der Politik einsetzt, der muss eben unantastbar sein. Eine saubere Weste ist die Basis für den Einfluss des Europaparlaments. Wenn Autokraten und Rechtspopulisten mit dem Finger auf die Abgeordneten zeigen und sich über deren Skandale lustig machen können, dann ist viel verloren.
Neue Antikorruptionsregeln sind nur ein Pflaster auf der Wunde
Natürlich muss das Parlament mit neuen Regeln die Aufsicht über die Arbeit der Abgeordneten stärken und Maßnahmen gegen Korruption ergreifen. Da war das Scheunentor bisher weit offen, denn Vorschriften gab es nur für das Lobbying von Firmen, nicht aber von Drittstaaten. Da wären auch noch allerhand Verdächtige zu untersuchen, von Aserbaidschan, das ja auch schon mit einer Korruptionsaffäre im Europarat aufgefallen war, bis Russland.
Aber solche Beschlüsse können bestenfalls helfen, die Wiederholung ähnlicher Skandale zu vermeiden. Sie können das zerstörte Vertrauen nicht zurückbringen, die Wunde nicht heilen - für viele Abgeordnete ist das eine bittere Erkenntnis. Wenn in dieser Woche in einer feierlichen Zeremonie das Europaparlament dem ukrainischen Volk den Sacharow-Preis für zivile Tapferkeit verleiht, dann wird dabei der Stolz auf die eigene Institution und ihren Ruf gelitten haben und die Festreden werden einen ungewohnt bitteren Beigeschmack enthalten.