Ruhe vor neuem Sturm in Israel und Gaza?
Was das Wort "Waffenruhe" bedeutet, kann man wohl erst verstehen, wenn man erlebt hat, wie laut es ist, wenn die Waffen nicht schweigen. Noch immer durchzuckt es mich, wenn ich an den Abend vor knapp zwei Wochen denke, an dem die Sirenen in Tel Aviv zum ersten Mal aufheulten. Die Kinder waren gerade eingeschlafen, wir nahmen sie auf unseren Arm und liefen schnell in den Schutzraum ein Stockwerk tiefer. Noch glaubten wir, die Kinder könnten vielleicht einfach weiterschlafen.
Dann folgte der erste Knall, als eine Rakete des israelischen Abwehrsystems auf eine Rakete aus Gaza traf. Es folgte ein weiterer, noch einer und noch einer. Die Kinder klammerten sich längst völlig verängstigt an uns. Kaum hatten wir den Schutzraum verlassen, gingen die Sirenen wieder los. Das Ganze wiederholte sich vier Mal, bis es endlich ruhig wurde. Um drei Uhr morgens weckte mich eine erneute Detonation, unser Bett schien zu beben. Die Sirenen heulten dieses Mal erst unmittelbar nach dem Knall.
Endlich wieder Durchatmen
Wie ohrenbetäubend laut die darauf folgenden Tage und Nächte für Familien in Gaza gewesen sein müssen, mag ich mir kaum vorstellen. Welche Angst müssen die Kinder dort gehabt haben beim Krachen der zahllosen Bombeneinschläge, wie stark muss die Erde gebebt haben beim Zusammenbrechen ganzer Hochhäuser in der Nachbarschaft?
Vor diesem Hintergrund scheint die Aussage so banal, dass die Waffenruhe, die nun zwischen Israel und der islamistischen Hamas im Gazastreifen herrscht, eine gute Nachricht ist. Natürlich ist sie das - für alle Zivilisten, insbesondere für die Kinder auf beiden Seiten. Endlich Ruhe. Endlich wieder Durchatmen und Durchschlafen. Doch es könnte die Ruhe vor einem erneuten Sturm sein.
Denn die Auslöser der vergangenen kriegerischen Auseinandersetzung sind nicht annähernd gelöst. Das betrifft vor allem Jerusalem: die bevorstehende Zwangsräumung palästinensischer Häuser zugunsten von israelischen Siedlern im Ost-Jerusalemer Stadtteil Scheich Dscharrah. Die Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften auf dem Tempelberg, um nur einige zu nennen.
Gewalt zwischen jüdischen und arabischen Israelis
Doch das ist nicht alles: Die Auseinandersetzung wurde diesmal nicht nur zwischen Gaza und Israel ausgetragen, sondern auch innerhalb Israels kam es zu Zusammenstößen und Gewalt zwischen Juden und Arabern. Werden diese wieder aufhören - jetzt, wo eine Waffenruhe unterzeichnet ist? Oder trat hier nur zutage, was unterschwellig längst an Spannungen auch innerhalb Israels zwischen Arabern und Juden existierte und nicht so schnell wieder verschwinden wird?
Städte wie Akko galten bisher als positives Beispiel, wie ein friedliches Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern einmal im größeren Maßstab aussehen könnte. Israelische Freunde, die sich seit dem Teenager-Alter in der Friedensbewegung engagieren, haben ihre Tochter aus diesem Grunde Akko genannt. Als Zeichen, in was für einer Welt sie ihre Tochter gerne aufwachsen sehen würden. Nun wurde auch in dieser Stadt randaliert, wurde beispielsweise ein Restaurant niedergebrannt, dessen Betreiber sich seit Jahren für ein friedliches Zusammenleben einsetzt.
Die Konfliktparteien müssen endlich wieder miteinander sprechen - das mag wie eine Binsenweisheit klingen. Doch die jüngsten substanziellen Friedensverhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Führung fanden 2008 statt! Viele Analysten glauben, eine Zwei-Staaten-Lösung sei mittlerweile unmöglich geworden, weil inzwischen so viele Siedlungen im von Israel besetzten Westjordanland existieren.
Die Hoffnung auf Frieden wird nur noch belächelt
Und so bin ich trotz der Erleichterung um eine Waffenruhe in diesen Tagen traurig und besorgt. Welche Aussichten sind es, wenn selbst einer der führenden Kommandeure der israelischen Armee sagt, sollte es die kommenden fünf Jahre ruhig bleiben, werte er dies als einen Erfolg? In welchem Land werden die Freunde meiner Töchter leben? Wie oft noch müssen die Kinder auf beiden Seiten Traumata erleiden?
Die Hoffnung auf Frieden, so scheint es, wird nur noch belächelt. Das Beste, was die Kinder im Nahen Osten derzeit bekommen können, ist eine Waffenruhe. Man kann nur hoffen, dass sie hält - zumindest für eine Weile.